"Wenige Geschichten sind so spannend wie die von Flüchtlingen", schreiben Robert Schlesinger und Melita Sunjic in ihrem jüngst im Czernin-Verlag erschienen Buch "Flucht nach Österreich". Darin kommen Flüchtlinge selbst zu Wort, in Porträts werden historische Ereignisse wie der Ungarnaufstand 1956 oder die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 aus der Sicht unmittelbar Betroffener geschildert. Sie erzählen warum und wie sie geflohen sind, der Leser erfährt auch, wie es ihnen seither in Österreich ergangen ist.
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Da ist zum Beispiel die Geschichte von Alexander Martsa, der 1958 nach Österreich gekommen ist. Er wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Kommunisten aufgefordert, als Ausbildner auf einer Militärakademie zu arbeiten. Martsa weigerte sich, weil er lieber als Zahntechniker wirken wollte. Er zog sich somit den Zorn der Machthaber zu, wurde gelegentlich grundlos eingesperrt, konnte seine Ausbildung aber beenden. Als er 1958 erneut von der polnischen Geheimpolizei vorgeladen wurde, brach Martsa in Panik aus und floh nach Österreich. Erst später stellte sich heraus, dass alles ein Missverständnis war: Denn eigentlich hatten sich die Geheimdienstleute nur bei Martsa bedanken wollen, weil er im Revolutionsjahr 1956 mehrere Frauen und Kinder von Geheimpolizisten vor dem wütenden Mob gerettet hatte.
"Blöder Streich" mit Folgen
Ganz amüsant wirken auch die Erlebnisse von Elek Parazis, ebenfalls Ungar, der 1951 seiner Heimat den Rücken kehrte. Sein Verhängnis begann nach eigenen Angaben damit, dass er, was weiter nicht ungewöhnlich scheint, am Neujahrstag 1946 "ein bisschen getrunken" hatte. Weiters führt der heute 78 - Jährige zur Rechtfertigung seines Tuns ins Treffen, dass er "jung und unternehmungslustig" gewesen sei. Wie dem auch sei, Paraizis stahl mit zwei Freunden die rote Fahne der Sowjetkommandantur, demonstrierte die "Beute" bei einer Tanzveranstaltung, hängte das Laken danach an einen Baum, ging heim - und wanderte für fünf Jahre in den "Knast".
Kurz nach seiner Entlassung floh er über Stolperdrähte und Minenfelder nach Österreich, wo er Schuster und Hilfsarbeiter wurde.
Palmers-Plakat
15-jährig und in stockdunkler Nach floh auch die Ungarin Judith Majlath nach Österreich, nachdem sie mitansehen musste, wie ihre Freundin von einem sowjetischen Panzer aus erschossen wurde. Zuvor hatte sie gegen die Okkupation demonstriert, Flugzettel verteilt und mitgeholfen, Barrikaden zu bauen. Sie kann sich erinnern, dass sie beim Grenzübertritt "entsetzliche Angst vor Tretminen" gehabt hat. Als sie in Wien eintraf, wurde es hell. Das erste, was ihr dann ins Auge stach, war eines der Palmers-Plakate für Damenunterwäsche. "Da dachte ich mir: Das ist Freiheit" erinnert sich Judith Majlath.