Dagmar Schratter, die designierte Leiterin des Tiergartens Schönbrunn, spricht über artgerechte Tierhaltung und ihre Pläne für die Zukunft des Zoos.
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Wiener Zeitung: Sind Sie mit der Bestellung zur Direktorin des Tiergartens Schönbrunn am Höhepunkt Ihrer Karriere angelangt?Dagmar Schratter: Ja, selbstverständlich. Eine weitere Steigerung gibt es eigentlich nicht.
Was prädestiniert Sie für diese Arbeit?
Die Begeisterung für Tiere und die Liebe zur Natur muss man als Grundlage mitbringen. Als Geschäftsführer des Tiergartens benötigt man aber auch ein Verständnis für kaufmännische Notwendigkeiten. Doch die wichtigste Voraussetzung ist eine qualitativ hochwertige Tierhaltung.
Beurteilen Sie Menschen auch danach, ob sie Tiere mögen?
Ich glaube schon - aber ich habe eher Probleme mit Leuten, die sagen, sie mögen keine Menschen mehr, sondern nur noch Tiere. Denn wir Menschen sind nicht weit weg von den Tieren.
Haben Sie ein Lieblingstier?
Kein bestimmtes Tier, sondern Lieblingsarten. Das war für mich einmal der Große Panda, und immer wieder sind es Wiederkäuer, wie z. B. Ziegen. Die sind einfach - vermenschlicht ausgedrückt - irrsinnig clever.
Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
Ziegen sind Ausbruchskünstler. Sie können Türen öffnen, wie unser kleiner Zwergziegenbock im Streichelzoo, den wir in der Zwischenzeit bei unserer Tochtergesellschaft in Schlosshof untergebracht haben, weil er bei uns nicht mehr zu halten war. Er hat die Türe geöffnet, indem er auf die Türschnalle gesprungen ist. Wir haben sie durch einen Knopf ersetzt, den er nicht drehen konnte. Da hat er gewartet, bis Besucher aus- und eingehen. Wenn die Tür offen war, ist er hinausgerannt.
Sie treten die Nachfolge von Helmut Pechlaner an. Werden Sie seinen Weg fortführen?
Dr. Pechlaner hat in den letzten 14 Jahren aus dem ältesten Zoo der Welt einen der modernsten, und in der tierhalterischen Qualität einen der anerkanntesten in der Fachwelt gemacht. Diese Qualität zu halten, ist mein oberster Anspruch. Es wird aber sicher ein paar andere Schwerpunkte in den nächsten Jahren geben. Schönbrunn ist ja auch Lebensraum für die heimische Tierwelt, das möchte ich mehr herausstreichen. Ein Projekt ist etwa ein Naturerlebniswanderweg, der vom Tiroler Hof bis zum Pelikanhaus führt und dieses Landschaftsschutzgebiet mit seiner heimischen Fauna den Leuten näher bringt.
Um nochmals auf Helmut Pechlaner zurückzukommen: Wollen auch Sie Bestandteil der "Adabei"-Szene sein wie er?(lachend) Helmut Pechlaner ist eine charismatische Persönlichkeit. Seine Präsenz in den Medien werde ich sicher nicht haben, weil das persönlichkeitsabhängig ist. Aber ich werde natürlich Kontakt zu den Medien halten. Das ist wichtig für uns, wir sind auf Besucher angewiesen.
Wie ist derzeit die wirtschaftliche Lage des Tiergartens? Steigen die Besucherzahlen wieder?
Nach 700.000 Besuchern im Jahr 1992 haben wir stetige Steigerungen verzeichnet. Im Jahr 2003 haben wir mit zwei Millionen Menschen unsere bisher höchste Besucherzahl erreicht. In den letzten beiden Jahren sind wir auf etwa 1,7 Millionen gesunken. Es kann natürlich bei Besucherzahlen keinen exponentiellen Anstieg geben. Wir möchten aber in den nächsten Jahrendie Zahlen zwischen 1,7 und zwei Millionen halten, denn wir streben zumindest 80 Prozent Selbstkostenabdeckung an.
Sind Zoos denn noch zeitgemäß?
Sie sind zeitgemäßer denn je. Ein Zoo schafft Bewusstseinsbildung, er soll ein Fenster zur Natur sein. Es ist ein Unterschied, ob man einen Elefanten im Fernsehen sieht oder ihn wirklich erlebt - und seine Größe abschätzen und ihn riechen kann. Wir versuchen, dem Zoobesucher zu zeigen, was er verliert, wenn die Artenvielfalt zurückgeht.
Worin bestehen die eigentlichen Aufgaben eines Zoos?
Erholung, Bildung, Forschung und Artenschutz. Diese Aufgaben gibt es schon seit Jahrzehnten, die Gewichtung ist aber immer wieder eine andere.
Was steht derzeit im Vordergrund?
Der Artenschutz. Und dabei ist die Erhaltungszucht ein Schwerpunkt. Bei internationalen Zuchtprogrammen gefährdeter Arten bestimmt ein Zuchtkoordinator, welches Tier wohin kommt und wie die Paarungen verlaufen. So werden die Blutlinien sehr breit gefächert und Inzucht vermieden. Von Kritikern hört man immer wieder, dass ein Zoo nichts weiter tue, als Tiere einzusperren und zu züchten. Doch wir fördern auch Freilandprojekte auf allen Kontinenten.
Die Zoo-Gegner gebrauchen auch immer wieder das Argument, dass Tiere im Zoo nie absolut artgerecht gehalten werden könnten. Oft gebe es für die Tiere keine Rückzugsmöglichkeiten.
Bei uns schon, und darauf bin ich stolz. Wir bekommen sogar Beschwerden, weil manche Tiere oft nicht zu sehen sind. Das betrifft vor allem die Pandas und die Tiger. Wir nehmen das in Kauf. Der Besucher muss wissen, dass er durch den Erwerb der Eintrittskarte nicht das Recht erhalten hat, alle Tiere zu sehen.
Schon öfter hat es Disharmonien mit dem Österreichischen Tierschutzverein gegeben. Worauf gründen diese Unstimmigkeiten?
Es gibt Tierrechtsorganisationen, die nur auf der emotionalen Ebene arbeiten. Wenn ich nicht fachlich argumentieren kann, gibt es keine Basis. Doch betrifft das Gott sei Dank nur wenige Vereine. Wir arbeiten mit vielen zusammen - Vier Pfoten, Blauer Kreis und anderen. Ich selbst bezeichne mich auch als Tierschützerin.
Geht es um Artenschutz oder stehen marktwirtschaftliche Überlegungen dahinter, wenn man Publikumsmagneten wie Koalas oder Pandas im Haus hat?
Marktwirtschaftliches Denken steht nicht im Vordergrund, sondern Artenschutzüberlegungen. Wir haben vor einem Jahr eine Hitliste gemacht: Die Pinguine stehen ganz oben auf der Beliebtheitsskala, die Erdmännchen an der vierten Stelle. Das sind Arten, die viel Leben zeigen. Bei den Erdmännchen gibt es Alphamännchen und -weibchen, Aufpasser und Lehrer, die den Kleinen zeigen, was sie fressen können und was nicht. Vor diesen Gehegen stehen viel mehr Besucher als bei den Koalas, die 22 Stunden am Tag schlafen. Wenn sie ihr Futter bekommen, sind sie natürlich herzig. Aber die restliche Zeit liegen sie nur herum, da sind die Erdmännchen viel interessanter.
Aber die Pandas haben doch große Aufmerksamkeit erregt!
Ja, als sie gekommen sind, hatten wir eigene Absperrsysteme, weil so viele Leute angestanden sind. In Europa gibt es sie ja nur in Berlin und bei uns. Der Panda ist als Emblem vom WWF das Artenschutzsymbol schlechthin, und daher irrsinnig bekannt. Er wirkt auch sehr charismatisch, wenn er sitzt und frisst, und seine Hand wie ein Mensch benutzt. Trotzdem hat sich der Ansturm im Lauf der Zeit gelegt.
Welche Tierarten sind in Schönbrunn am schwersten nachzuzüchten?
Die Koalas. Sie sind Einzelgänger, deswegen wird unser Pärchen auch in zwei verschiedenen Gehegen gehalten. Wenn das Weibchen fortpflanzungswillig ist, beginnen Männchen und Weibchen einander zu rufen. Zu dem Zeitpunkt setzen wir sie kontrolliert zusammen. Das Männchen vergewaltigt das Weibchen mehr oder weniger. In der freien Natur kann das Weibchen nach der Paarung davonlaufen. Im Zoo geht das nicht, deswegen werden unsere Koalas zur Paarungszeit rund um die Uhr beobachtet.
Gibt es ungewollten Nachwuchs?
Man schaut, dass so etwas nicht passiert, aber es kommt vor.
Es gibt Tiergärten, die ihren ungewollten Nachwuchs töten. Was halten Sie davon?
Das ist eine Gratwanderung. Das Tier soll ja ein Maximum seiner natürlichen Verhaltensweisen ausleben. Die Frage, ob wir das auch im Bereich der Fortpflanzung zugestehen können, wird diskutiert. Wenn man sie bejaht, dann muss man für die Jungen einen guten Platz finden, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Oder man entscheidet sich dafür, sie schmerzlos zu töten.
Wie wird das in Schönbrunn gehandhabt?
In Schönbrunn wird "verhütet", um ungewollten Nachwuchs zu verhindern, die Großkatzen bekommen beispielsweise die Pille. Bei den gefährdeten Haustierrassen, die wir am Tiroler Hof haben, geht der eine Teil in die Zucht weiter, der andere wird schmerzlos getötet und verfüttert: Das ist das beste Futter für unsere Großkatzen. Sonst müsste das Fleisch beim Fleischer gekauft werden - dann weiß man aber nicht, wie die Tiere früher gelebt haben.
Im Februar 2005 wurde ein Pfleger vom pubertierenden Elefantenbullen Abu erdrückt. Heuer sind Abu und seine Mutter Sabi nach Halle an der Saale gekommen. Hängt die Weitergabe mit dem Unfall zusammen?
Nein. Beim Bau der Elefantenanlage gingen wir davon aus, dass wir zwei Bullen halten können. Nach dem neuen Tierschutzgesetz ist aber die Außenanlage für zwei zu klein, daher musste entweder Pambo oder Abu abgegeben werden. Es hat sich gut ergeben, dass Halle gerade eine neue Elefantenanlage gebaut hat. Damit Abu nicht alleine dorthin musste, ist Sabi mitgekommen.
Hätte sich das Unglück damals verhindern lassen?
Vielleicht. Die Pfleger haben alle die Anweisung, nur zu zweit in die Anlage zu gehen. Der Pfleger ist alleine hineingegangen - vielleicht ein Blackout. Ein gewisses Risiko gibt es in diesem Beruf, nicht nur bei den Elefanten.
Über die Arbeit der Tierpfleger in Schönbrunn gibt es jetzt eine Doku-Soap. Waren Sie an der Konzeption beteiligt?
Die Konzeption ist von der Firma Interspot gekommen, aber wir waren daran beteiligt. Wir wollen den Besuchern und Freunden des Tiergartens einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen: Wir zeigen etwa eine Pflegerin, die gerade einen Flughund aufzieht. Sie versucht, ihn in die Gruppe zu integrieren. Das ist ein 24-Stunden-Job, der auch Spaß macht, aber man kann das Tier nicht abgeben, wenn man einmal mit Freunden ausgehen will. Das ist Tierpflegerarbeit, die der Besucher nicht mitbekommt, und die wir den Zusehern vermitteln wollen.