Hinter dem neuen Heimatministerium der CSU stecken Landflucht und die Angst vor der AfD.
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Nürnberg/Wien. Heimat, das ist im deutschsprachigen Raum noch immer ein Reizwort. Im Besonderen bei der Linken. Alexander Van der Bellen schickte sich in seinem - letztlich erfolgreichen - Präsidentschaftswahlkampf an, diesen Kampfbegriff umzuformen. "Heimat braucht Zusammenhalt", stand auf den Plakaten. Nicht nur koppelte er ein vermeintlich rechtes Schlagwort mit dem urlinken Thema Solidarität. Van der Bellens Team formte auch die negativen Assoziationen in eine positive Botschaft um.
Kein starrer Heimatbegriff
Seit der industriellen Revolution steht Heimat auch für Wehmut und Verlust. Als die Schlote mitten im Stadtgebiet rauchten und die Bürger unter der schrecklichen Luftqualität litten, wurde Heimat mit Natur und Peripherie verknüpft. In einem weiteren Schritt hätten die Nationalsozialisten Heimat ihren kleinräumigen, landschaftlichen Charakter genommen und das Konzept an den Nationalstaat gekoppelt, schreibt Alena Dausacker, die ihre Masterarbeit an der Universität Bochum über Erfahrung medialer Räume als Heimat verfasste. Ursprünglich aber war Heimat ein juristischer Begriff. Das "Heimatrecht" verpflichtete die Geburtsgemeinde, jemandem Wohnung und Nahrung zur Verfügung zu stellen, auch wenn die Person mittellos wurde.
Seit CDU, CSU und SPD in der vergangenen Woche die Liste der Ministerien verkündet haben, ist Heimat wieder in aller Munde. Bayerns Noch-Ministerpräsident Horst Seehofer übernimmt das Innenministerium, neu dazu kommen die Bereiche Bau und - Obacht! - Heimat. Ruckzuck wurde im Kurznachrichtendienst Twitter ein entsprechender Satireaccount eröffnet. "Das Heimatministerium empfiehlt heute einen Spaziergang im deutschen Wald. Lauschen Sie den Vögeln, halten Sie inne und spüren Sie ihre Heimatverbundenheit", frotzeln die anonymen Betreiber. Auch mehr oder minder ernst gemeinte Sorgen, bajuwarische Humptata-Folklore würde nun auch nördlich des Weißwurst-Äquators einkehren, machten sich in den sozialen Medien breit.
Natürlich bedient sich die CSU traditioneller Heimatbilder. "Welome DAHOAM" prangt in großen Lettern auf einer Webseite der bayerischen Staatskanzlei. Dazu ein riesiges Foto von Schloss Neuschwanstein samt Alpenkulisse - mehr Klischee geht nicht. Im Freistaat finden aber auch politische Innovationen statt: 1970 hat Bayern das erste Umweltministerium der Welt eingerichtet. 2014 startete das deutschlandweit erste Heimatressort; es ist Teil des Finanzministeriums.
Dort zeigt ausgerechnet Markus Söder, Seehofers Erzfeind und designierter Nachfolger als Ministerpräsident, dass die CSU Heimat auch als soziales Konzept versteht. Und zwar primär gegen die Landflucht. Gleichzeitig soll der Ansturm auf die Ballungszentren gebremst werden - allen voran nach München, wo Wohnungen nur mehr zu absurd hohen Preisen erhältlich sind. "Heimat heißt: zu Hause sein, zu Hause bleiben und sich zu Hause fühlen", sagte Söder 2014, als er das Programm "Heimat Bayern 2020" vorstellte. Alleine für die Erschließung mit schnellem Internet stellt der Freistaat den Kommunen Förderungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung, davon sind 1,3 Milliarden Euro für den ländlichen Raum reserviert. Auch werden Kindertagesstätten geschaffen, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Laut dem letzterhältlichen "Heimatbericht" kamen 2016 im ländlichen Raum so viele Kinder zur Welt wie zuletzt 2005.
Tradition gebrochen
Der Abwanderung von Maturanten begegnet Bayern, indem es Fachhochschulen in ländlichen Gebieten errichtet. In den vergangenen zehn Jahren hat sich dort die Studentenzahl auf knapp 38.000 Personen annähernd verdoppelt. Der Franke Söder schreckt auch nicht davor zurück, den bayerischen Zentralismus aufzuweichen. Das Heimatministerium residiert in seiner Geburtsstadt Nürnberg. Zum ersten Mal seit der Erhebung Bayerns zum Königreich 1806 sind nicht mehr alle Regierungsstätten in München beheimatet.
So gesehen könnte das Heimatministerium genauso gut Ministerium für ländliche Entwicklung heißen oder das Wortungetüm Infrastrukturförderungsministerium tragen. Bloß weckt das bei keinem Wähler Emotionen. Mit "Glockenläuten, Bratwurstduft, Lebkuchen", so definiert Söder Heimat, gelingt das schon viel besser. Heimatminister zu sein, hat für Söder den praktischen Nebeneffekt, dass er nicht nur vor Ort ständig mit potenziellen Wählern in Kontakt kommt - und dies bei jeder Gelegenheit in den sozialen Medien dokumentiert. Der ruppige Finanzminister war in der Partei lange Zeit nicht gut angeschrieben. Als Ressortchef für Heimat trifft er andauernd Bürgermeister der geförderten Gemeinden und erweitert dadurch seine Hausmacht.
Mit dem Aufstieg der Alternative für Deutschland erfährt das neue Heimatministerium im Bund zusätzliche Bedeutung. Wer am Land zurückgelassen ist, wendet sich eher von den traditionellen Parteien ab, lautet das Kalkül der Christsozialen. Im Koalitionsvertrag nehmen sich CDU, CSU und SPD daher vor, Strukturschwächen "wirkungsvoll" zu bekämpfen. Aber: "Es geht auch um Kultur", sagt Seehofer. Also um Identitätspolitik.
Entscheidend wird der Osten der Bundesrepublik sein. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen sympathisiert mittlerweile jeder Fünfte mit der AfD. Gleichzeitig radikalisiert sich die Partei im Osten. Zwei Landesverbände denken mittlerweile offen darüber nach, die Abgrenzung zur Rechtsaußen-Bewegung Pegida aufzugeben. Ob die AfD-Anhänger Dorferneuerung, Breitbandinternet und bessere Busverbindungen honorieren und ihnen so die Abstiegsängste genommen werden, muss sich erst weisen. Ein besserer CSU-Ansatz als ausschließlich die Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik zu thematisieren, ist es allemal.