Generationenwechsel rechtzeitig zum Gedenkjahr. | Wachablöse an der Tiroler SPÖ-Spitze wahrscheinlich. | Am Inn steht eine Probebühne für Wien: Tirols ÖVP erzielte das schlechteste Landtagsergebnis ihrer Geschichte, die SPÖ erreichte gar den bundesweit historischen Regional-Tiefpunkt diesseits des Arlbergs. Und dennoch wieder Koalition. Gegen eine Opposition unter Führung von Fritz Dinkhauser.
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Die massiven Mandatsverschiebungen durch die vorgezogene Landtagswahl am 8. Juni ließen einen politischen Föhnsturm erwarten. Doch mittlerweile weht höchstens ein Parteilüfterl.
Günther Platter wird zum Redner. Der Landeshauptmann lässt die auffälligsten Schwächen des früheren Verteidigungs- und Innenministers vergessen. Der einstige Bürgermeister von Zams und Kulturlandesrat ist angekommen und kommt an. Geschliffen durch die Jahre in Wien wirkt der dort stets holprig fabulierende politische Überlebenskünstler daheim in Tirol plötzlich so ungesteuert selbstbewusst wie nie zuvor. Das zeigt sich gleichermaßen an Körperhaltung und Rhetorik, wenn er beim Innovationstag der Zukunftsstiftung im überfüllten Congress Igls vor Wirtschaftsspitzen spricht; oder beim Symposium Ecoregio 2020 im Bozner Eurac vor schütter, aber prominent besetzten Reihen die Annäherung zu Südtirol und dem Trentino beschwört.
Platter hat seine ungebührlich lange Schonfrist gut genutzt. Im politischen Windschatten von Koalitionsbruch, Neuwahl, Haider-Tod, Regierungsbildung und Wirtschaftskrise moderierte er sich vom politischen Hochsommer geschickt in den Tiroler Tourismuswinter. Der bisherige Mangel an Akzenten in seiner Regentschaft verliert sich im Karussell der Notengebung für das Team.
Erster Landeschef aus dem Arbeitnehmerbund
Der erste Stellvertreter Toni Steixner bleibt erwartungsgemäß im Kreuzfeuer der Opposition. Der Bauernbundobmann kriegt das Dauerthema Agrargemeinschaften nicht los, während erstmals einer aus dem ÖAAB an der Spitze des Landes steht.
Der Koalitionspartner vermag aus dem bündischen Zwiespalt der ÖVP jedoch kein Kapital zu schlagen: SPÖ-Chef Hannes Gschwentner wirkt amtsmüde und inaktiv neben seinem Parteifreund Gerhard Reheis: Über ihn meinen selbst kritische Beobachter aus der NGO-Szene, er sei "seit langem der erste Soziallandesrat, der diese Bezeichnung verdient". Folgerichtig gilt eine baldige Wachablöse an der Spitze der Genossen als wahrscheinlich. Immerhin hat sie unter ihrem Noch-Obmann mehr Stimmen und Prozentpunkte bei der Landtagswahl am 8. Juni verloren als die ÖVP unter Herwig van Staa, der schon 14 Tage später von Platter abgelöst wurde.
Die Koalition der Verlierer leidet nicht nur unter dem Vorwurf, dass außer Steixner und Gschwentner kein aktuelles Regierungsmitglied zur Wahl stand. Ausgerechnet die beiden schwarzen Damen im Team, Beate Palfrader (Kultur) und Patricia Zoller-Frischauf (Wirtschaft), gelten als Schwachstellen mit großen fachlichen oder zumindest kommunikativen Mängeln. Dabei hatten sich die VP-Frauen schon empört über ihre Unterrepräsentation im Landtag: gerade einmal drei Abgeordnete - gleich viele wie in der marginalisierten SP (Mandatsverteilung: 16 VP, 7 Fritz, 5 SP, 4 FP, 4 Grüne).
Die Skepsis gegenüber Finanzlandesrat Christian Switak, den Platter aus seinem Ministerbüro mit heimgebracht hat, ist dagegen weitgehend geschwunden - nicht nur in der eigenen Beamtenschaft. Gesundheits- und Uni-Referent Bernhard Tilg punktet unterdessen aufgrund seiner Sachkompetenz als ehemaliger Rektor der Privatuniversität Umit.
Programmatisch gewinnt die neue Tiroler Landesregierung erst jetzt, ein halbes Jahr nach ihrem Start, ein wenig Kontur: Neben der allerorts üblichen und versprochenen Wirtschaftsoffensive zeigt sich dies in der jüngsten Forderung Platters nach Italienisch-Unterricht schon im Kindergarten.
Auf der Suche nacheiner Neupositionierung
Die Akzentuierung ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt von "200 Jahre Tiroler Freiheitskampf 1809-2009" zu sehen. Der 82. Landeshauptmann der vor 666 Jahren begründeten und nach Eigeneinschätzung ältesten Festlandsdemokratie Europas sucht eine neue Standortpositionierung. Platter knüpft dazu wenig beim aus Oberösterreich stammenden Herwig van Staa an. Aber Wendelin Weingartner, dessen Vorgänger mit Südtiroler Wurzeln, lächelte zufrieden im Publikum. Unter ihm hatte zur Jahrtausendwende Platters Aufstieg begonnen.
Fritz Dinkhauser war damals noch der widerspenstige und unangefochtene AK-Präsident. Nun ist es um den Chef der zweitstärksten Landtagsliste so ruhig wie um den Landtagspräsidenten van Staa. Die Tiroler ÖVP hat den Generationswechsel vollzogen.
Der Autor ist Medienexperte und Politikanalyst.
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