Ankündigung am 52. Jahrestag des Volksaufstandes. | Volk ist schockiert und will ihn lieber als politischen Führer behalten. | China sieht in der Ankündigung einen "Trick". | New Delhi. Der Dalai Lama hat am Donnerstag seinen Rückzug als politischer Führer der Exilregierung von Tibet angekündigt. Es sei ganz klar der Zeitpunkt für diesen Schritt gekommen, erklärte der 75-jährige buddhistische Mönch im nordindischen Dharamsala, wo die tibetische Exilregierung sitzt. Die Ankündigung am 52. Jahrestag des tibetischen Aufstandes gegen China kommt nicht überraschend. | Kampf der Tibeter steht vor großen Herausforderungen
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Das spirituelle Oberhaupt der Tibet hatte schon seit längerem davon gesprochen, dass er alle politischen Ämter abgeben wolle. Auch er habe das Anrecht auf Ruhestand, hatte er in einem Interview im vergangenen Jahr gesagt.
Längere Krankenhausaufenthalte des Nobelpreisträgers nährten immer wieder Spekulationen über seinen Gesundheitszustand.
Weltweit die moralische Stimme Tibets
"Die Tibeter brauchen einen von ihnen frei gewählten Führer, an den ich meine Macht abtreten kann", hieß es in seiner Erklärung. Die Exiltibeter haben neben dem Dalai Lama auch ein gewähltes Parlament und einen Premierminister, der sie vertritt. Der Dalai Lama gilt jedoch wegen seiner weltweiten Popularität und seines jahrzehntelangen Einsatzes als die moralische Stimme Tibets. Es wird für die gewählte Exilregierung schwer sein, das politische Vakuum nach seinem Rückzug zu füllen, auch wenn der Dalai Lama weiterhin Religionsführer bleibt.
Der 14. Dalai Lama war 1959 aus Lhasa nach Indien geflohen, nachdem chinesische Truppen den Volksaufstand in Tibet blutig niedergeschlagen hatten. Mehr als 10.000 Tibeter sollen damals ums Leben gekommen sein. Indiens damaliger Ministerpräsident Jawaharlal Nehru bot dem exilierten Mönch und seinen Vertrauten in Dharamsala, einer Bergstadt im Himalaya, Zuflucht an.
Der Rücktritt kommt für Exilregierung zu früh
Das Parlament in Dharamsala soll am kommenden Montag über den Wunsch des Dalai Lama befinden. Allerdings hat der Premierminister der Exilregierung, Samdhong Rinpoche, bereits seine Bedenken zum Ausdruck gebracht. "Nach dem Rücktritt des Dalai Lama ist die Legitimität das größte Problem für uns. Ohne den Dalai Lama werden wir, die Exilregierung, in den Augen der Tibeter keine Legitimität haben. Das ist eine ernste Frage für uns, und wir müssen eine Lösung finden", sagte Rinpoche der indischen Nachrichtenagentur IANS. Gleichzeitig betonte der Politiker, der Schritt des Dalai Lama komme zu früh: "Wir fühlen uns noch nicht dazu in der Lage, die Verantwortung zu übernehmen und unabhängig vom Dalai Lama zu werden." Es gebe bereits "tausende Bitten" an das geistige Oberhaupt, seine Entscheidung zu vertagen.
Bereits in der Vergangenheit hatte sich der Dalai Lama von seinen Anhängern immer wieder beknien lassen, sich nicht aus der Politik zu verabschieden. Allerdings dürfte es ihm diesmal ernst sein. Er muss befürchten, dass sein politisches Lebenswerk zunichte gemacht wird, wenn sich nicht ein charismatischer Nachfolger findet, der weiter die Freiheit für die Tibeter einfordert und dem politisch und wirtschaftlich immer wichtiger werdenden China die Stirn bietet.
Die politische Haltung des Dalai Lama, der als Vertreter des "Mittleren Weges" eine Autonomie für die Bergregion und keine Unabhängigkeit von China fordert, ist allgemein bei der tibetischen Exilbevölkerung anerkannt, auch wenn ihm einige vorwerfen, nicht hart genug gegenüber dem Reich der Mitte aufgetreten zu sein. Dem Dalai Lama ist es zwar gelungen, die Sache Tibets international immer wieder in Erinnerung zu bringen, doch trotz zahlreicher Gespräche hat sich China nie kompromissbereit gezeigt und regiert die Region weiter mit eiserner Hand.
Frage nach der spirituellen Nachfolge
Neben der Sorge um das Schwinden des politischen Stimme für Tibet beschäftigt auch die Frage nach der spirituellen Nachfolge des Dalai Lama die Exiltibeter. In Interviews hat der buddhistische Mönch angedeutet, er könne der letzte Dalai Lama sein.
Er hat offengelassen, ob er vor seinem Tode selbst den 15. Dalai Lama erwählen werde und ob dieser in Tibet oder außerhalb von Tibet gefunden werde. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass eine Frau die Wiedergeburt des geistigen Oberhauptes sein werde.
Auch die chinesische Regierung, die in der Rücktrittsankündigung nur einen "Trick sieht, mit dem die internationale Gemeinschaft getäuscht werden soll", bedingt sich aus, den nächsten Dalai Lama zu bestimmen. So könnte es nach dem Tode des 14. Dalai Lama zwei Nachfolger geben, einen von Peking und einen von Dharamsala ausgewählten.
Der derzeitige Dalai Lama, geboren 1935 als Tenzin Gyatso in eine Bauersfamilie, war im Alter von zwei Jahren in einem kleinen Dorf in Tibet von Mönchen als die Wiedergeburt des 13. Dalai Lama aufgefunden worden.