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Damit die Nachbarschaft gelingt

Von Yordanka Weiss

Politik
Ein Plakat auf dem Baugerüst wirbt für Mitmenschlichkeit.
© © Stanislav Jenis

Diskussionen, Filme und Kochen helfen beim Abbau von Vorurteilen.


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Wien. Erst Vertrauen aufbauen und Akzeptanz schaffen, dann ziehen die Flüchtlinge ein. Dies ist die Strategie von Ute Bock für das neue Heim in der Zohmanngasse 28 in Favoriten. Ein halbes Jahr werden die Anrainer ihre Ängste mitteilen und mit der Flüchtlingshelferin und Mediatoren diskutieren. Ende April 2012 öffnet die Einrichtung ihre Pforten. Büroräume für den Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock, Beratungsräume sowie Zimmer für kostenlose Deutsch- und Alphabetisierungskurse wird es dort geben. 75 kleine Wohnungen werden jungen alleinstehenden Asylwerbern ein Zuhause bieten.

"Für mich ist dies eine Art von Rückkehr", sagt Bock. Im ehemaligen Gesellenheim in der Zohmanngasse 28 hat sie jahrzehntelang gearbeitet, ab 1969 als Erzieherin, 1976 wurde sie Leiterin. Seit Anfang der 90er Jahre schickte das Jugendamt dorthin ausländische Jugendliche, zunächst Kinder aus Gastarbeiterfamilien, später auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, die in Österreich um Asyl ansuchten. Viele Jahre wurden junge Menschen, die niemand wollte, "zur Bock" geschickt.

Im September 1999 wurden bei einer Razzia im Heim mehr als 30 afrikanische Jugendliche wegen des Verdachts auf Drogenhandel festgenommen. Bock selbst wurde wegen Bandenbildung und Drogenhandels angezeigt und kurzfristig vom Dienst suspendiert. Die Anklage gegen Bock wurde fallen gelassen, ihre Suspendierung aufgehoben. Die Gemeinde Wien verbot ihr aber, afrikanische Asylwerber weiterhin im Heim unterzubringen. Später wurde das Heim geschlossen und stand leer. Dann kaufte es eine Privatstiftung des Bauindustriellen Hans Peter Haselsteiner. Er renoviert es nun und stellt es Bock zur Verfügung. "Für wohlhabende Menschen sind Investitionen für Sozialprojekte eine Pflicht", lautet Haselsteiners Motivation. Er unterstützt Ute Bock seit 2008.

Der Widerstand der Nachbarschaft vor dem Start des neuen Flüchtlingsheims ist groß. Die Erinnerungen sitzen tief: Keiner möchte frühere Zustände wieder erleben. Bereits 270 Unterschriften wurden dagegen gesammelt und Ute Bock ausgehändigt. Protestzettel wurden in den umgebenden Gemeindebauten an die schwarzen Bretter gepinnt.

Damit die Anrainer Antworten auf ihre Fragen bekommen, fungiert der Verein "Lernen aus der Zeitgeschichte" als Mediator. "Wir baten unsere Hilfe an. Wir haben Erfahrung damit, Menschen zueinander zu bringen. Wir wollen, dass das Heim harmonisch eingebettet ist und ein Ort der Begegnung wird", sagt der Vereinsvorsitzende Josef Neumayr.

Das erste Treffen mit erzürnten Nachbarn fand am 15. Dezember statt. Fast 70 Personen aus der Umgebung haben dort ihrem Unmut Gehör verschafft. "Eruptiv passierte alles am Anfang. Es war kein Gespräch möglich, alle haben gleichzeitig geredet", erzählt Neumayr. Nach einer halben Stunde habe sich die Stimmung etwas beruhigt. Zu den Hauptbedenken der Anrainer zählt die Angst, dass die Preise der Wohnungen rund ums Flüchtlingshaus stark sinken werden, sowie die Angst vor Lautstärke und vor der Polizei. Eine Frau Mitte 50 war total erzürnt über die Idee, Ausländern in Not zu helfen. "Ein Drittel der Nachbarn sind eigentlich für das Flüchtlingsheim, ein Drittel sind strikt dagegen, und der Rest ist eine bewegliche Masse - deren Vertrauen wollen wir gewinnen", meint Neumayr.

Einstellungsveränderungen und Vertrauensaufbau dauern meistens lange, deshalb werden die Treffen nicht nach dem Einziehen der ersten Flüchtlinge im April 2012 eingestellt. Durch das Kennenlernen der jeweiligen Lebensgeschichten und gemeinsame Tätigkeiten wird weiterhin eine gelungene Nachbarschaft angestrebt. Gemeinsames Filme-Schauen und Kochen sind im Flüchtlingsheim geplant. Das Angebot der Mediatoren richtet sich nach der Nachfrage der Anrainer.

Für die Wünsche und Sorgen wurde ein Beschwerdebriefkasten neben der Eingangstür montiert. Zwei Nachbarn haben sich bereits gemeldet. "Der eine Brief war eine anonyme Beschimpfung. Frau Bock sei zu alt und könne Millionen mit solchen Projekten verdienen", erzählt Neumayr. Der zweite Brief wurde mit österreichischem Vornamen unterschrieben und unterstützte die Idee, Flüchtlingen Unterkunft und Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben zu geben.

Hilfe für junge Menschen

"Wir wollen niemanden auf der Straße stehen lassen", meint auch Bock. Nach ihrer Pensionierung im Jahre 2002 gründete sie ihren Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock und kümmert sich rund um die Uhr um ihre Schützlinge. Ihr anfänglich kleines Wohnprojekt ist mittlerweile auf rund 130 Wohnungen angewachsen. Mehr als 430 Menschen aus 23 Ländern finden dort Obdach und Verpflegung. Zusätzlich hat sie für mehr als 1000 Asylwerber, die unzureichende staatliche Unterstützung erhalten und nicht arbeiten dürfen, zumindest eine Meldeadresse und juristische Beratung organisiert.

Im Flüchtlingsheim in der Zohmanngasse 28 möchte sie nicht nur Asylwerber, sondern auch junge Menschen unterstützen, die bereits Asyl bekommen haben. "Sie stehen meistens auf der Straße ohne Versicherung und Hilfe", erzählt Bock. Sie möchte ihre Ausbildung und den Einstieg ins Arbeitsleben unterstützen, weil sie ihr Leben in Österreich verbringen werden.

Die Nachbarn der schon seit langem bestehenden 130 Ute-Bock-Wohnungen würden sich immer weniger durch die "Stimmungsmache Einzelner" beeinflussen lassen, meint Bock. "Das Miteinander funktioniert sehr gut!" Sie möchte dies auch für das neue Flüchtlingsheim erreichen. Ein großes Plakat ist auf dem Baugerüst montiert. Darauf steht: "Hier wohnen bald 80 Menschen aus aller Welt. Menschen, die unsere Hilfe brauchen."