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Damokles-Schwert im Nacken

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Carlo Cottarelli muss als Übergangs-Premier finanzpolitische Klippen umschiffen.


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Rom. "Ich weiß nicht, wen ich wählen soll", sagte Carlo Cottarelli einige Woche vor der Parlamentswahl in Italien. Demnächst muss der 64 Jahre alte Ökonom wohl erneut mit sich ringen, welcher Partei in Italien er sein Vertrauen schenken soll. Nach der gescheiterten Regierungsbildung zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega sind Neuwahlen im Herbst wahrscheinlich.

Der Mann, der Italien bis dahin über die finanzpolitischen Klippen und internationalen Gipfeltreffen führen soll, ist Carlo Cottarelli. Am Montag beauftragte Staatspräsident Sergio Mattarella den Wirtschaftswissenschafter und langjährigen Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der Bildung einer Übergangsregierung.

Signal der Beruhigung

Cottarelli als designierter Premierminister ist nun so etwas wie die Gegenfigur zum Euro-Schreck Savona. Seine Nominierung soll ein Signal der Beruhigung an die EU und die Finanzmärkte aussenden. Cottarelli garantierte in einer ersten Stellungnahme am Montag eine "sorgsame Führung der öffentlichen Konten" sowie die "Teilnahme Italiens an der Euro-Zone". Die Mailänder Börse gab am Montag dennoch nach, auch der sogenannte Spread, der den Zinsaufschlag auf italienische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Papieren misst, stieg auf über 200 Punkte.

Cottarellis Vita müsste in der Finanzwelt allerdings für Entspannung sorgen. Seit 1988 arbeitete der Ökonom beim IWF in Washington, zuletzt als für Italien und Griechenland zuständiger Geschäftsführer. Der in Cremona geborene und in Mailand wohnende Manager ist mit den Mechanismen von Kreditvergabe an Staaten in Zahlungsschwierigkeiten ebenso vertraut wie mit der Verpflichtung dieser Staaten im Gegenzug zu harten Sanierungs-Auflagen.

Zwischen 2013 und 2014 war Cottarelli Sparkommissar der Regierungen von Enrico Letta und Matteo Renzi und machte konkrete Vorschläge zur Verringerung der Staatsausgaben. Seine Kündigung machte deutlich, wie schwierig es gerade in Italien ist, Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Von Ideen wie dem Euro-Austritt Italiens, drastischer Neuverschuldung oder gar der Forderung nach einem großzügigen Schuldenerlass hält Cottarelli gar nichts. Sein Credo lautet: Solange die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank Italiens Wachstum unterstützt, sind die Staatskonten so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen. Italien soll sich also an die eigene Nase fassen und die Schuld nicht bei anderen suchen.

Die drittgrößte Volkswirtschaft der EU wird von einer Schuldenlast in Höhe von 2300 Milliarden Euro gedrückt, das entspricht rund 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ist der zweithöchste Wert in der EU nach Griechenland. Dieses Damokles-Schwert hofft Staatspräsident Mattarella nun mit der Nominierung Cottarellis unter Kontrolle zu bekommen. Dabei gilt es als wahrscheinlich, dass der designierte Premier keine Mehrheit im Parlament bekommt und deshalb nur als relativ machtlose Übergangsfigur bis zu Neuwahlen im Herbst amtieren wird.

Ohne die Stimmen von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega gibt es keine Mehrheit im italienischen Parlament. Keine der beiden populistischen Parteien scheint geneigt, nach dem Veto des Staatsoberhaupts gegen ihren EU-kritischen Minister Savona den Kompromisskandidaten einer neuen Exekutive zu wählen. Stattdessen befinden sie sich schon wieder im Wahlkampf.

***Zitate***<p>Wut und Enttäuschung auf der einen Seite, Mahnungen auf der anderen: Das Scheitern der Regierungsbildung von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega erregt nicht nur in Italien die Gemüter.

"Die EU und die Finanzmärkte beschlagnahmen erneut die Demokratie. Was in Italien passiert, ist ein Staatsstreich, ein Raubüberfall illegitimer
Institutionen auf das italienische Volk. Angesichts dieser
Demokratie-Verweigerung wächst überall in Europa die Wut der Völker!"
Marine Le Pen, französische Rechtspopulistin

"Die italienischen Wähler sind wütend, weil das Establishment neue Minister blockiert. Zeit für weitere Wahlen und mehr Stimmen."
Nigel Farage, Ex-Chef der EU-feindlichen britischen Ukip-Partei, auf Twitter

"Wir hoffen darauf, dass es bald zu einer stabilen proeuropäischen Regierung in Italien kommt. Wir in Deutschland sollten uns mit Ratschlägen, was die Regierungsbildung anbelangt,
etwas zurücknehmen. Wir haben schließlich auch sechs Monate
gebraucht, um eine neue Regierung zu bilden."
Michael Roth, deutscher Europa-Staatsminister

"Ich glaube, wir brauchen Italiens Präsidenten Sergio Mattarella
keine Gebrauchsanleitung zu geben. Er ist ein guter Italiener und ein guter Europäer. Er weiß schon, was er tut."
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn

"Dies ist keine freie Demokratie."
Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio

"Wir sind nicht die Sklaven der Deutschen oder Franzosen. An diesem Punkt muss das Wort wieder an euch zurückgegeben werden."
Lega-Chef Matteo Salvini an die italienischen Wähler