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"Dancing Queen" will ihre Krone retten

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Tory-Premier Theresa May verspricht für die Zeit nach dem Brexit ein "landesweites Festival".


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Birmingham. Für Frohsinn, Festivitäten und Feuerwerke soll gesorgt sein, wenn die Briten sich erst aus der Griff der EU befreit haben. Auf ihrem Parteitag diese Woche in Birmingham hat Tory-Premierministerin Theresa May der Nation ein "landesweites Festival" versprochen - eine ganzjährige Party von historischer Dimension.

Ans viktorianische Vorbild der "Great Exhibition" von 1851 oder auch ans Nachkriegs-"Festival of Britain" von 1951 soll diese Post-Brexit-Freudenfeier der "nationalen Erneuerung" erinnern. Das Jahr 2022, das zufällig auch das Jahr der nächsten Unterhauswahlen ist, soll durchgefeiert werden. Zugleich soll das Mega-Fest Touristen und ausländische Investoren anziehen.

So weit der Plan. Sonderliche Begeisterung vermochte May mit ihrer Ankündigung in Birmingham freilich nicht auszulösen. Zyniker fragten bereits, ob dann leerstehende Regale in Supermärkten und endlose Schlangen auf den Straßen nach Dover zu den Attraktionen des Festivals zählen würden - und ob Touristen bis dahin Besuchserlaubnis beantragen müssten.

Es herrscht Verunsicherung

Und auch enthusiastische Brexiteers sind sich keineswegs sicher, dass May ihnen wirklich Anlass zum Feiern geben wird. Mays Brexit-Plan sei ja "reiner Schwindel", hat Ex-Außenminister Boris Johnson ihr vorgehalten. Dieser Plan werde gar nicht wirklich zum Austritt aus der EU führen.

Johnson und andere Hardliner haben klargemacht, dass sie im Parlament gegen Mays Brexit-Plan, gegen den sogenannten "Chequers-Plan", stimmen würden. Nordirlands Unionisten, die Mays Minderheitsregierung derzeit an der Macht halten, drohen sogar schon fast offen mit dem Sturz der Premierministerin. Ihnen gefällt Johnsons "Vision" radikaler Abkehr von der EU.

Zwei Wochen nur vor einem Brexit-Gipfel, den EU-Ratspräsident Donald Tusk als "den Augenblick der Wahrheit" bezeichnet hat, findet sich Theresa May in einer schwierigen Lage. Ihre Partei ist, wie der Kongress zeigte, in drei Lager gespalten.

Die Brexit-Hardliner um Johnson lehnen jegliches weitere Rangeln mit der EU ab. Dagegen wäre der schrumpfende Kreis um May zu weiteren Kompromissen bereit. May hat aber für weitere Manöver praktisch keinen Spielraum mehr.

Auch viele Kabinettsmitglieder befürchten, dass keine Form von "Chequers-Plan" den von May erhofften Deal noch retten kann. Kein Wunder, dass auf dem Parteitag statt Feierlaune spürbare Feindseligkeit, Nervosität und Unruhe herrschten. Und dass immer mehr Tories vom liberalen, pro-europäischen Flügel inzwischen glauben, dass es keine andere Wahl als ein neues Brexit-Referendum mehr gibt.

Auf die Bühne getänzelt

Am Mittwoch, auf ihrer mit Spannung erwarteten Abschlussrede, appellierte May eindringlich an ihre Parteigänger, vom internen Grabenkrieg abzulassen und das Feuer einzustellen. "Zusammenhalten" müssten die Konservativen, nicht einander befehden. Andernfalls, warnte sie, "stehen wir zuletzt womöglich ganz ohne Brexit da". Ihre Gefolgschaft beschwor sie zugleich, als "anständige, moderne, patriotische Partei" aufzutreten. Mehr Wohnungsbau versprach sie den Wählern und mehr Geld für den Klinikbetrieb. Immer wieder deutlich war in Birmingham, wie sehr der Labour-Parteitag der Vorwoche die Tories beunruhigt hat, mit Labours neuen, populären Ideen.

Demonstrativ leichtfüßig, als wolle sie frisches Selbstbewusstsein demonstrieren, war May zu Abbas "Dancing Queen" und zu fröhlichem Gelächter auf die Bühne getänzelt. Zur Rettung ihrer Krone ist Theresa May zu manchem bereit.

Höflicher Beifall

In den Brexit-Passagen ihrer Rede zeigte sie sich jedoch schnell wieder hart und unbeweglich. Brexit-Wählern versicherte sie, sie werde deren Austrittsentscheidung von 2016 respektieren und sie "nie verraten". Freizügigkeit werde "ein für allemal" beendet. Für Nordirland werde es keine Sonderbehandlung geben. Und ein neues Referendum gebe es auf keinen Fall. Erleichtert ob dieser Gelöbnisse, zollten auch zweifelnde Delegierte May am Ende höflichen Beifall. Und doch konnte nichts darüber hinwegtäuschen, dass viele Tories lieber jemand anderen an der Spitze sähen. Typisch für Mays Kritiker war die giftige Bemerkung des Abgeordneten James Duddridge, die Brexit-Verhandlungen der letzten anderthalb Jahre seien "eine absolute Katastrophe" gewesen. "Wir brauchen eine starke Führung", klagte Duddridge. "Und die haben wir zurzeit nicht."

Wütender Beauty Contest

In der Tat nahm sich der Parteikongress nicht nur wie ein zunehmend chaotisches Brexit-Schlachtfeld aus, sondern zeitweise wie ein wütender Beauty Contest bitterer Rivalen. Außenminister Jeremy Hunt entblödete sich nicht, die EU mit einem Gulag zu vergleichen, nur um die Parteirechte für sich einzunehmen. Und Innenminister Sajid Javid erntete Zuspruch mit der Ankündigung, dass post Brexit den Europäern "keine Vorzugsbehandlung" gewährt werde im Königreich.

Die mit Abstand stärkste Resonanz aber fand Boris Johnson, der Ex-Außenminister. Wer an Johnsons Rockstar-Auftritt "am Rande" des Parteitags teilnahm, zusammen mit 1500 anderen Neugierigen, konnte sich einen Eindruck verschaffen von der Faszination, die der wild schwadronierende Blondschopf noch immer auf viele Parteigänger ausübt.

Eine ganze Riege von Top-Tories, einschließlich Ex-Brexitminister David Davis, hatte sich in der ersten Reihe, zu Füßen Johnsons, niedergelassen - die Polit-Groupies als Kern eines künftigen Johnson-Kabinetts. Delegierte, die mehr als eine Stunde Schlange standen, um Johnson zu hören, stimmten ihm johlend zu, als er verkündete, Mays Brexit-Plan sei "gefährlich und unstabil" für Britannien. "Mit Demokratie hat das nichts zu tun", meinte Johnson. "Dafür haben wir nicht gestimmt."

Johnson - "mit Charisma"

Wenn die Regierung jetzt das Falsche tue und Britannien nicht ganz von der EU abkopple, "dann werden die Menschen uns das kaum vergeben können", beschwor er seine Zuhörer. Ein Grüppchen junger Parteigänger kommentierte den Auftritt verzückt mit den Worten: "Der Mann hat solches Charisma."

Andere lieben ihn weniger - oder gar nicht. Johnsons vormalige Nummer zwei im Foreign Office, Staatssekretär Alan Duncan, ist der Überzeugung, dass "Boris" mit seiner überzogenen Kampagne sein Pulver schon verschossen, seinen großen Moment verpasst habe. Johnson suche umsonst, "Britanniens Trump" zu sein.