ÖVP will Sozialhilfe für Flüchtlinge "wie Dänemark" verringern. Eine Kopie ist aber nicht möglich.
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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat in der "Pressestunde" im ORF eine baldige Studienreise nach Dänemark angekündigt. Er will sich dort das System der Sozialhilfe ansehen, das Personen, die sich noch nicht lange im Land befinden, bei der Bezugshöhe schlechter stellt. Eine derartige Differenzierung steht nicht im Regierungsprogramm, es ist vielmehr eine ältere, zuletzt eben erneut von Nehammer aufgebrachte Forderung der ÖVP.
Die "Wiener Zeitung" hat zwar keine Reise nach Kopenhagen unternommen, aber bei verschiedenen Ministerien anfragt, wie genau die Dänen bei Sozialleistungen differenzieren und sie diese Unterscheidung auch rechtlich haltbar hinbekommen. In Dänemark hat 2012 das Höchstgericht die Regelung bestätigt, sah weder EU-Recht noch die Genfer Flüchtlingskonvention verletzt.
Juristisch trivial ist die Umsetzung unterschiedlicher Bezugshöhen nicht. Schon jetzt ist im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz auf Bundesebene (die Ausführungsgesetze obliegen den Ländern) eine Fünf-Jahres-Frist enthalten, wie sie auch Nehammer einmahnt. Doch diese Voraussetzung unterliegt "völkerrechtlichen oder unionsrechtlichen" Einschränkungen. Und da die Flüchtlingskonvention explizit eine Gleichstellung Schutzbedürftiger mit österreichischen Staatsbürgern verlangt, können Asylberechtigte nicht weniger erhalten. Doch genau hier will die ÖVP ansetzen.
Der Hebel, den Dänemark gezogen hat und den auch Nehammer bedienen will, ist eine allgemeingültige Residenzvoraussetzung, also auch für heimische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, wenn diese nach einem längeren Auslandsaufenthalt wieder zurückkehren. Viele Personen betrifft das nicht, weshalb es vermutlich eine mittelbare Diskriminierung darstellt. Das heißt, die Regelung selbst ist zwar neutral, in der Praxis läuft es aber auf eine Benachteiligung hinaus wie bei einer Stellenannonce, die für Frauen und Männer offen ist, aber ohne sachliche Begründung eine Mindestkörpergröße von 1,80 Meter verlangt.
VfGH kippte bereits Residenzvoraussetzung
"Das ginge ganz sicher nicht und ist auch ausjudiziert", sagt der Sozialrechtler Walter Pfeil und verweist auf eine VfGH-Entscheidung zur Sozialhilfe in Niederösterreich. Aber warum geht es dann in Dänemark?
Was der Kanzler dort zu sehen bekommen wird, sind mehrere Systeme. Das ist vermutlich ein zentraler Punkt, weshalb eine Kopie gar nicht möglich, sondern eine Gesamtreform notwendig wäre. Zwar verfügen beide Länder, Österreich wie Dänemark, über bedarfsorientierte Sozialhilfen, doch die Dänen differenzieren innerhalb des Systems stärker und haben zudem zwei Programme.
Bei der sogenannten Kontanthjælp ("Bargeldhilfe") legen die Behörden - in Dänemark sind die Kommunen zuständig - nach einer Prüfung einen individualisierten Betrag fest, wobei andere Sozialleistungen auch berücksichtigt werden. Ist man mit der Höhe nicht zufrieden, kann man eine Überprüfung beantragen. Im Vergleich zu Österreich fallen die Leistungen der Bargeldhilfe üppig aus, auch wenn das Gehaltsniveau in Dänemark höher ist. Eine alleinstehende Person erhält in Österreich aktuell 1.050 Euro, in Dänemark sind es umgerechnet 1.600 Euro, wobei mit Wohnbeihilfe noch einmal bis zu 800 Euro hinzukommen können. Die Kontanthjælp unterliegt insgesamt sehr strengen Auflagen, eben auch der Residenzvoraussetzung.
Anders die Selvforsørgelses ("Selbstversorgung"). Diese orientiert sich bei der Höhe an der dänischen Studienbeihilfe, die umgerechnet rund 870 Euro beträgt. Angesichts des Preisniveaus in Dänemark bedingt das eine geringere Kaufkraft als für Bezieher der heimischen Sozialhilfe. Das Gesamteinkommen kann aber in Dänemark durch andere Leistungen auf bis zu 1.400 Euro steigen. Insgesamt ist auch bei dieser "Selbstversorgung" die Bedarfsorientierung stärker ausgebaut als in Österreich. Grundsätzlich sind in beiden Ländern Sanktionen vorgesehen, wenn Arbeitsfähigkeit besteht, aber keine Arbeit aufgenommen wird, in Dänemark müssen aber pro Jahr mindestens 225 Stunden Erwerbsarbeit geleistet werden, um den vollen Bezug zu erhalten.
"Baukastensystem"für Sozialhilfe?
Mit der Frage, ob die Sozialhilfe (bzw. damals die Mindestsicherung) in eine Grundleistung und eine Zusatzleistung aufgesplittet werden kann, hat sich 2016 der mittlerweile verstorbene Sozialrechtler Robert Rebhahn in einem Gutachten für die Bundesregierung beschäftigt. Auch damals überlegte man an einen höheren Bezug für Österreicherinnen und Österreicher. Rebhahn bejahte zwar die Frage, schrieb aber: "Von einer Ergänzungsleistung kann nur gesprochen werden, wenn diese merklich niedriger ist als die Grundleistung." Eine Halbierung, wie sie Nehammer fordert, wäre demnach zuviel.
Dänemark hat sich für zwei Parallelsysteme entschieden, die nun seit mehr als 20 Jahren Bestand haben. Eine Blaupause für Österreich? Die rechtlichen Grenzen sind jedenfalls sehr eng gesteckt.