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"Danke, wir gehen" auf Polnisch

Von Martyna Czarnowska

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Ärzte in vier osteuropäischen Ländern protestieren gegen niedrige Gehälter - und drohen mit massenhaften Kündigungen.


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In Tschechien ist die Uhr noch gegangen, wenn auch rückwärts. In Polen aber ist die Zeit bereits abgelaufen. Es ist nicht fünf vor sondern fünf nach zwölf. Um diese symbolische Uhrzeit wollen sich am Dienstag polnische Ärzte vor dem Gesundheitsministerium in Warschau versammeln. Sie demonstrieren gegen niedrige Löhne, schlechte finanzielle Ausstattung der Spitäler, Entlassungen und Privatisierungen von Krankenhäusern. Und die Polen werden nicht die Einzigen bleiben. In drei weiteren osteuropäischen Ländern sind ähnliche Protestaktionen geplant: in Tschechien, der Slowakei und Ungarn.

In all diesen Staaten, wo das Gesundheitswesen jahrzehntelang nur öffentlich geregelt und finanziert worden war, verschärft sich die Lage: Die Regierungen müssen sparen, Versicherungen haben keine lange Tradition, Privatisierungen sind oft ohne Konzept. Spitalsärzte verdienen kaum mehr als 1000 Euro, weit weniger als ihre Kollegen in Westeuropa.

"Danke, wir gehen" hat daher vor gut einem Jahr die tschechische Gewerkschaft befunden und ihren Protest unter dieses Motto gestellt. Tausende Ärzte haben mit ihrer Kündigung gedroht und auf ihrer Homepage den Stichtag dafür mit einer rückwärts tickenden Uhr veranschaulicht. Die polnische Vereinigung stellt nun ebenfalls Massenkündigungen in Aussicht.

Dabei sind bereits viele tatsächlich gegangen - ins Ausland, wo sie bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter haben. Spätestens nach den EU-Beitritten 2004 und 2007 hat der Exodus von Ärzten und Pflegepersonal aus Ost- und Südosteuropa immense Ausmaße erreicht. Rumänien etwa haben nach 2007 mehr als 5000 Ärzte verlassen, die Zahl ihrer polnischen Kollegen in der Emigration in den ersten Jahren ihrer EU-Mitgliedschaft soll ähnlich hoch gewesen sein.

Manche Schätzungen gehen von insgesamt zwei Millionen ausgewanderten Polen aus. Die Rockwool Foundation Research Unit gibt eine geringere Summe an: Rund 600.000 Menschen bis zum Jahr 2007. Doch auch damit wäre die Zahl der Emigranten in nicht einmal zehn Jahren auf das Sechsfache gestiegen. Das in Dänemark ansässige Forschungsinstitut hat die Auswirkungen der Auswanderung auf die Gehälter in Polen untersucht. Die Studie ergab, dass die Löhne zwischen 1998 und 2007 jährlich um rund 1,7 Prozent gestiegen sind - vor allem für Arbeitskräfte mit höherer Bildung. Ein Zehntel des Anstiegs wird auf die Emigration zurückgeführt, unter anderem wegen der Mängel auf dem Heimats-Arbeitsmarkt.

Aus Sicht der polnischen Ärzte hat sich die Situation dennoch kaum gebessert. Ihre Lage schätzen sie sogar noch schlechter ein als die ihrer Kollegen in anderen osteuropäischen Ländern. Das bestätigt teils ein Bericht der EU-Kommission und OECD. Während etwa in Österreich der Anteil öffentlicher und privater Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt elf Prozent beträgt, sind es in Polen sieben Prozent - weniger als in Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Und in keinem EU-Land gab es 2010 eine so geringe Ärztedichte. Auf 1000 Polen kamen gerade einmal 2,2 Ärzte.