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"Dann lasst die Kinder doch tanzen"

Von Christa Karas

Politik
Wo Sir Ken Robinson ist, ist auch Spaß. Foto: iffaca/flickr.com

Herkömmliche Schulsysteme sind einseitig orientiert. | Unterschiedlichen Talenten wird kaum Rechnung getragen. | Wien. Sir Ken Robinson ist weltweit der Star unter den Bildungsexperten - und zwar vor allem, weil er die derzeitigen Bildungssysteme heftig kritisiert: "Nicht nur, dass sie keine Rücksicht auf die angeborene Kreativität jedes Menschen nehmen, erziehen sie ihm diese sukzessive ab."


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Gelehrt würde nicht, wie man mit Fehlern umgeht, sondern nur, dass sie strikt zu vermeiden seien. Dies führe letztendlich dazu, Menschen so zu konditionieren, dass sie zwar ängstlich Fehler vermieden, aber auch nicht imstande seien, je etwas Originales zu schaffen.

"Egal, wo auf der Welt. Es ist überall gleich: Jedes Bildungssystem hat die selbe Hierarchie der Lehrinhalte. An der Spitze stehen Mathematik und Sprachen, gefolgt von den üblichen Fächern wie Biologie und Geografie und zuletzt von den Künsten, die wiederum eine eigene Hierarchie haben, nämlich Musik und bildnerische Kunst, die einen höheren Status haben als etwa Drama, Theater und Tanz."

Verkehrt daran sei insbesondere, dass die Kinder ihren natürlichen Bewegungsdrang nicht ausleben dürften - denn gleichzeitig sei dies die erste Form ihrer körperlichen Kommunikation mit der Umwelt, lang bevor sie sprechen können.

Tänzerin, nicht krank

Robinsons Lieblingsbeispiel ist die bekannte Choreografin Gillian Lynne. In der Grundschule unkonzentriert und unfähig zum Stillsitzen, galt sie als hoffnungsloser Fall. Die Lehrer konstatierten Lernstörungen und ein Aufmerksamkeitsdefizit. Der Spezialist, zu dem ihre Mutter Gillian brachte, sah hingegen die Nöte des Kindes und führte ein Experiment durch. Er drehte das Radio auf und verließ mit der Mutter den Raum, den sie von außen einsehen konnten. Fast im selben Augenblick sprang Gillian auf und bewegte sich zur Musik. "Da haben Sie es", sagte der Spezialist zur Mutter, "sie ist nicht krank oder gestört. Sie ist eine Tänzerin. Stecken Sie sie in eine Tanzschule."

Für Gillian Lynne begann damit eine Weltkarriere, die sie vom Royal Ballet über eine eigene Tanzgruppe bis zu Musicalproduktionen mit Andrew Lloyd Webber führte. Zuvor allerdings machte sie die wichtigste Entdeckung: "Als ich in diese Ballettschule kam, waren da nur Leute wie ich. Leute, die sich bewegen mussten, um zu denken."

Robinson: "Sie hat ein Millionenpublikum begeistert und glücklich gemacht, sie ist berühmt und reich. Aber ein anderer Spezialist hätte sie mit Medikamenten ruhig gestellt und damit hätte es sich dann gehabt. Gewiss, wir sind nicht alle Tänzer. Aber es gibt Millionen Gillians und die Notwendigkeit, dem Reichtum ihrer persönlichen Kapazitäten einen höheren Stellenwert in der menschlichen Ökologie zuzumessen."

Dazu sei freilich ein völliges Umdenken in einem Bildungssystem erforderlich, das in erster Linie darauf abziele, Universitätsprofessoren zu produzieren. Robinson: "Nichts gegen Uni-Professoren, aber wir sollten aufhören, sie als die gelungensten Exemplare des Bildungswesens zu betrachten. Das ist nur eine Form des Lebens, nämlich eines im Kopf. Ihren Körper sehen sie als Transportmittel, das den Kopf zu ihren Meetings bringt."

Robinson in Linz

Sir Ken Robinson lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Los Angeles und arbeitet als Senior Advisor des Paul Getty Trust. Geboren in Liverpool, wuchs er als eines von sieben Kindern in eine Arbeiterfamilie auf. Mit vier Jahren erkrankte er an Polio. Seine Eltern, betont er heute, ermutigten ihn, sich niemals über seine Behinderung zu definieren. 1981 promovierte er an der University of London über die Rolle des Theaters in der Erziehung und übernahm die Leitung eines Projekts, durch das Kunst an die Schulen gebracht wurde.

Berühmt wurde der visionäre Denker 1998 als Verfasser des sogenannten "Robinson Report" für die britische Regierung: "All Our Futures: Creativity, Culture and Education". Im Rahmen der TED Konferenz 2006 hielt der brillante Redner einen Vortrag, der mittlerweile zu einem der meistgesehenen Vorträge geworden ist. (Zu finden auf Youtube). Robinson ist weiters Bestsellerautor und berät die Regierungen von Großbritannien, Hong Kong und Singapur, die Europäische Kommission und die Unesco. Auf seinen Rat setzen auch internationale Agenturen, große Unternehmen und Organisationen.

Robinson ist auch Keynote Speaker bei "I like to move it move it, Linz09, Out Of Our Minds - Bildung & Kreativität" am kommenden Montag. Seine Standpunkte inspirierten die Initiative Pasi, die im April lanciert wurde, um eine offene, inhaltliche und lustvolle Debatte über Bildung in Österreich zu initiieren.

Dafür konnten bereits Kunst- und Kulturschaffende wie Karl Markovics, Alfred Dorfer, Emmy Werner, Klaus Maria Brandauer, Dirk Stermann, Amina Handke, Wim Vandekeybus, Edelbert Köb, Edgar Honetschläger, Milli Bitterli, Karl Ferdinand Kratzl und viele andere gewonnen werden. Die Initiative ruft zur Unterstützung der Petition auf ihrer Webseite auf.

Vortrag Sir Ken Robinson in englischer Sprache mit deutscher Simultanübersetzung: 25. Mai 2009, 19.30, Linz, Hafenhalle09

www.PASI.or.at