Österreichs Politik mangelt es nicht an Glamour, sondern an Mut, Sachverstand und Konsequenz. | Dass Josef Prölls Nachfolger "farblos" ist, sollte eigentlich das kleinste Problem der Volkspartei sein.
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Man kann über die Befähigung Michael Spindeleggers, die derzeit eher triste Lage der ÖVP zum Besseren zu wenden, durchaus unterschiedlicher Meinung sein; und erst recht kann man sich den Mann als österreichischen Bundeskanzler wünschen oder auch nicht.
Völlig irrelevant ist dabei freilich ausgerechnet jener Einwand gegen Spindelegger, der seit seiner Kür zum Nachfolger Josef Prölls von der kommentierenden Klasse am öftesten vorgebracht worden ist: dass der neue ÖVP-Obmann nämlich eine "graue Maus" sei, womit offenkundig ein tatsächlicher (oder auch bloß vermeintlicher) Mangel an Charisma, Ausstrahlung und Talent zum Schmähführen gemeint ist.
Es ist dies eine eher törichte Kritik, die mehr über die Kritiker und deren Klientel aussagt als über den Kritisierten - und über die Bedürfnisse einer offenkundig leicht infantilisierten Wählerschaft, die in einem Regierungsmitglied offenbar nicht einen politischen Dienstleister sieht, sondern eine Mischung aus Alleinunterhalter, spirituellem Führer und semiautoritärem Ersatzvater.
In diesen und ähnlichen Branchen mag dieses Charisma ja ein notwendiges Betriebsmittel sein; in der Politik einer entwickelten Demokratie hingegen sollte es im Normalfall mehr dekorativen als tragenden Charakter haben.
Dass Politiker zunehmend nicht primär nach ihren Ansichten zu Wirtschafts-, Gesellschafts-, oder gar Außenpolitik beurteilt werden, sondern nach ihrem Graue-Maus-Faktor und ihrer Glamour-Kompatibilität, dürfte weitgehend der Verschmelzung von politischem Betrieb, Medien und Unterhaltungsgeschäft zu schulden sein.
Ein Politiker wie der verblichene Jörg Haider - auf seine Art ja durchaus charismatisch - brachte einfach höhere Auflagen und höhere Einschaltquoten, als sie Herr Spindelegger vermutlich jemals schaffen wird. Der Unterhaltungswert des Politikers wird zum Gewinn des Medienbetriebs, ein Geschäft durchaus zum beidseitigen Vorteil, in dem freilich die graue Maus zum Quotenkiller und damit zum Störfall wird.
Das sagt freilich nichts über die politischen und inhaltlichen Fähigkeiten Spindeleggers aus, dafür aber viel über das leicht infantile Politikverständnis des politisch-medialen Komplexes und seiner Klientel. Einer Klientel, die sich ganz offenbar viel lieber mit dem Glam-Faktor eines Vizekanzlers beschäftigt als - nur so zum Beispiel - mit der Frage, inwieweit der Euro-Rettungsschirm eigentlich künftig die Budgethoheit des österreichischen Parlamentes eliminiert.
Dem klugen Philosophen Rudolf Burger verdanken wir in diesem Zusammenhang den grundrichtigen Hinweis, dass "ein aufregendes Privatleben und ein unaufregendes politisches Leben" anzustreben seien und nicht die umgekehrte Konstellation.
Wenn Politik jedoch gegen den daraus resultierenden Graue-Maus-Imperativ vom Primat der (politischen) Sache über den (persönlichen) Schein verstößt, dann passiert, was gerade zu beobachten ist: Politiker wie der neue Integrationsstaatssekretär Kurz am Karrierebeginn; die fabelhaften Guttenbergs und Grassers im fortgeschritteneren Reifestadium; und in der karikaturhaften Kulmination ein Silvio Berlusconi sind die logische, wenn auch überschaubar erbauliche Konsequenz. So grau aber kann auch die graueste aller Mäuse nicht sein, dass sie diesem grellen Angebot nicht vorzuziehen wäre.
Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.