Am 4. September bekam der Arbeiter Chang Sung Jong "überraschend" Besuch.
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Pjöngjang. Den 4. September 2012 wird der Arbeiter Chang Sung Jong nicht so schnell vergessen. Sein Leben sei jetzt anders, er sei "elektrisiert", beteuert er.
Die "Wiener Zeitung" durfte den Mann besuchen, der völlig unverhofft, aus "heiterem Himmel", Besuch von Kim Jong-un, dem verehrten "obersten Führer" Nordkoreas, bekam.
Der Mann, dem die Ehre zuteil wurde, wohnt in einem der 14 Hochhäuser in der Mansudae-Straße, die in den letzten 20 Monaten im Zentrum der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang hochgezogen worden waren. Die Volkskammer mit der großen Statue davor ist nicht fern.
Es geht mit dem Auto durch Pjöngjang; es ist 5 Uhr Nachmittag und wie überall auf der Welt ist auch hier Rush Hour. Trotzdem machen die Nordkoreaner einen gelassenen Eindruck, nichts deutet darauf hin, dass sich das Land offiziell im Kriegszustand mit dem Süden befindet. Die Menschen, so scheint es, haben sich an den permanenten Ausnahmezustand gewöhnt.
Vorsorglich habe ich Geschenke besorgt: In Nordkorea bringt man Streichhölzer mit, wenn man bei jemandem auf Besuch ist, der gerade umgezogen ist.
Dann klopft Kim
Der Eingang zu dem Hochhaus ist klein und dunkel, überall riecht es nach frischer Farbe. Der Lift kommt im Erdgeschoß an, zwei Menschen steigen aus. Der Aufzug ist innen kitschig beleuchtet, ein Kalender hängt hier, eine Dame ist eigens dazu abgestellt, die Knöpfe zu bedienen. Es geht in den dritten Stock, die Lift-Lady öffnet die Tür; man wird von einem roten Schild begrüßt: Das besagt, dass der "Marschall Kim Jong-un" hier war. Ich betrete die Wohnung, sie ist penibel sauber, an den Wänden hängen die Porträts der "großen" und des "geliebten" Führers Nordkoreas, Kim Il-sung und Kim Jong-il. Ein Foto zeigt den aktuell herrschenden Kim Jong-un im Kreise der geehrten Familie. Ich überreiche Chang Sung Jong die Streichhölzer, Schokolade aus Wien und andere Kleinigkeiten.
Ich frage Chang, ob der Besuch des "obersten Führers" wirklich so überraschend war. Er bejaht. Plötzlich sei ein Auto bei ihm in der Arbeit vorbeigekommen und habe ihn abgeholt. Jemand warte schon auf ihn, habe es geheißen. Zuhause habe er sein bestes Gewand angezogen. Dann ein Klopfen an der Tür. Draußen steht die Frau Kim Jong-uns, dicht gefolgt vom Gatten. Er habe sich gefühlt, als seien Verwandte auf Besuch, versichert Chang; freilich sei er nervös gewesen und habe zuerst nicht gewusst, wie ihm geschehe. Doch der "große Kim" habe das Eis schnell gebrochen. Er komme direkt von der Front, habe der große Führer zu berichten gewusst, und wolle einmal nachsehen, wie es dem Volk so geht.
Chang Sung Jong geht es gut. Die neue Wohnung ist kein Vergleich zu dem Zimmer, das er zuvor im Tae-Dong District bewohnte. Hier gibt es zwei Kinderzimmer, ein Esszimmer, in der Küche brummen zwei Kühlschränke. Chang Sung Jong, der einen ehrlichen Eindruck macht, ist sehr stolz auf sein neues Domizil. Auch wenn er oft zur Schau gestellt wird.