Die Abschiebepolitik der USA droht Mittelamerika ins Chaos zu stürzen: Befürchtet werden vor allem ökonomische Folgen.
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Ciudad Juarez. Das Unternehmen mit den gelben Buchstaben auf schwarzem Untergrund kennt in Lateinamerika jedes Kind. Ob in Rio de Janeiro, San Salvador oder Ciudad Juarez: In den Warteschlangen der Filialen der "Migrantenbank" Western Union gibt es derzeit nur ein Thema: Donald Trump und die neue Migrationspolitik der USA.
Der Aktienkurs der Western Union hat den Stimmungsumschwung bereits zu spüren bekommen, er sackte in den letzten Wochen spürbar ab. Denn mit den drohenden Abschiebungen aus den USA ist auch ein Geschäftsmodell bedroht, dass in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung in Lateinamerika geworden ist.
Noch vor ein paar Wochen überboten sich die Geldinstitute in Mittelamerika mit neuen Bestmarken: Mehr als sieben Milliarden Dollar überwiesen die guatemaltekischen Migranten im abgelaufenen Jahr aus den USA in ihre Heimat. So viel wie noch nie zuvor, so dokumentiert es die aktuelle Statistik der Banco de Guatemala. Und im etwas kleineren Nachbarland El Salvador meldeten die lokalen Medien im Jänner 2017: "Historischer Höchststand an Überweisungen aus den USA." Rund 345 Millionen US Dollar - 40 Millionen mehr als noch im Jahr zuvor - schickten die Migranten zurück Richtung El Salvador. Am Ende des vergangenen Jahres waren es fast fünf Milliarden US Dollar, die den salvadorianischen Wirtschaftskreislauf stärkten.
In den beiden kleinen mittelamerikanischen Ländern zählen die sogenannten "Remesas" (Geldsendungen) zu elementaren Säulen des Bruttoinlandsproduktes (BIP). In El Salvador machen sie etwa fast ein Fünftel des BIP aus.
In Mexiko sind die Dimensionen noch größer. Von November 2015 bis November 2016 schickten die mexikanischen Migranten fast 27 Milliarden US Dollar über den Rio Grande gen Heimat. Damit überstiegen die Überweisungen der Auslandmexikaner laut Portal "Expansion.com" in diesem Zeitraum sogar die mexikanischen Einnahmen aus dem Ölexport um rund vier Milliarden US Dollar. "Mexiko ist in großem Umfang von seinen Arbeitern abhängig, die im Ausland leben und Geld nach Hause schicken", kommentiert das Wirtschaftsportal Expansion.
Doch nun scheint das alles bedroht. Erst verkündete der neue US-Präsident Donald Trump die Drohung, seine Regierung wolle diese Geldsendungen sonderbesteuern, um damit die Mauer zwischen den USA und Mexiko zu finanzieren. Das wäre für die mexikanische und mittelamerikanische Wirtschaft bereits ein harter Schlag. Noch heftiger aber würde es die Länder treffen, wenn Trump seine Drohung wahr macht und die Millionen sich illegal im Land aufhaltenden Migranten in die Heimat abschiebt. Dann würden nicht nur Hunderttausende plötzlich auf einen Arbeitsmarkt drängen, der ohnehin kaum Jobs zu bieten hat. Dann würden auch noch die Geldsendungen in die Heimat dramatisch einbrechen. Eine Rezession samt sozialen Unruhen wären die Folge.
"Mexiko ist auf ein solches Szenario eigentlich gar nicht vorbereitet", sagt der mexikanische Priester Javier Calvillo im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Er leitet in der Grenzstadt Ciudad Juarez ein Flüchtlingsheim. "Natürlich ist das hier ein großes Thema unter den Migranten. Die Geldsendungen machen einen ganz erheblichen Teil unserer Volkswirtschaft aus, nicht auszudenken, wenn das alles plötzlich wegbrechen würde. Dann stirbt die mexikanische Wirtschaft", gibt Calvillo das Stimmungsbild wieder. Das ist allerdings nicht die einzige Sorge, die den Flüchtlingshelfer umtreibt. Bisher kommen die Migranten nämlich überwiegend nur aus einer Richtung. Aus dem Süden. Sie wollen nach Norden, über die Grenze in die USA. Zwar gab es auch schon unter US-Präsident Barack Obama verstärkt Abschiebungen, ohne das darüber laut geredet wurde, klagt Calvillo. "Aber wenn nun die Anzahl der Rückkehrer noch weiter steigt, dann brauchen wir ein riesiges logistisches Auffangprogramm für die abgeschobenen Migranten, und ich kann nicht erkennen, dass unser Land das in der Hinterhand hat."
Auffanglager benötigt
In den Grenzstädten wie Ciudad Juarez wächst die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Die lokalen Zeitungen malen bereits Horrorszenarien von Auffanglagern aus, die die Massen aufnehmen sollen. Immerhin beruhigte US-Außenminister Rex Tillerson die Mexikaner bei seinem Besuch vergangene Woche, es werde keine Massenabschiebungen geben. Am Freitagmorgen schmückte dieses Versprechen nahezu jede Titelseite in der Region. Groß ist die Erleichterung über das Versprechen, die Abschiebungen koordiniert und in Absprache mit den betroffenen Ländern durchführen zu wollen. Und Mexiko machte seinerseits deutlich, dass es keine Abschiebungen von Migranten zulassen werden, die nicht aus Mexiko stammen.
Kein Land vorbereitet
Es wäre damit ohnehin komplett überfordert. Guatemala, El Salvador und Honduras, das bettelarme und gewalttätige Länderdreieck im nördlichen Mittelamerika, versucht sich inzwischen so gut es geht, auf das vorzubereiten, was da bald aus dem Norden kommt. In den ersten elf Monaten des Jahres 2016 nahmen die drei Länder mehr als 197.000 abgeschobene Rückkehrer wieder auf. Schon mit diesen Zahlen aus Zeiten der Obama-Administration stoßen diese Länder an ihre Grenzen. Das Sozialforum "Fosdeh" aus der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa stellt der Region gar ein verheerendes Zeugnis aus: Kein Land sei darauf vorbereitet, einen weiteren Zustrom an Abschiebungen zu verarbeiten. Für Fosdeh-Direktor Mauricio Diaz wäre eine Massenabschiebung deswegen eine wirtschaftliche und humanitäre Katastrophe für die Region. Setzen die USA unter Trump ihre Ankündigungen von massiven Abschiebungen um, wäre das das Ende eines von allen Beteiligten heimlich geduldeten Geschäftsmodells. Die mittelamerikanischen Länder dulden den Exodus ihrer Bevölkerung in Richtung USA, weil sie damit soziale Probleme entsorgen und sich selbst nicht um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung kümmern müssen. Im Gegenteil: Je mehr Migranten es in die USA schafften, umso höher wurde die Zahl der Geldsendungen. Die Unternehmen in den USA deckten sich ihrerseits jahrelang mit Arbeitskräften ein, die zu Dumping-Preisen arbeiteten. Und Jobs annahmen, zu denen Amerikaner selbst nicht mehr bereit waren.