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Der stellvertretende Gouverneur der Oblast Sumy über Produktionseinbrüche und die Abhängigkeit von russischem Kernbrennstoff.
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Die Oblast Sumy liegt exponiert im Nordosten der Ukraine. Sie ist eine von 25 Verwaltungseinheiten des Landes, rund 1,1 Millionen Menschen leben in Sumy. Laut der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2001 gaben 85 Prozent der Bürger Ukrainisch als Muttersprache an, bei 15 Prozent war es Russisch. Zu Gefechten kam es im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland in Sumy zwar nicht, die lokale Wirtschaft ist von dem Konflikt jedoch stark betroffen.
"Wiener Zeitung":Wie wirkt sich der Konflikt auf die Wirtschaft in Sumy aus?Andrij Kramtschenkow: Der Konflikt wirkt sich ja insbesondere auf die Wirtschaft in den Grenzregionen sehr stark aus - wir haben eine 540 Kilometer lange Grenze zu Russland. In unserer Region gibt es vor allem Landwirtschaft und Industrie. Die fünf größten Unternehmen in der Oblast Sumy erwirtschaften rund 60 Prozent unseres regionalen Bruttoinlandsprodukts. Das sind Unternehmen des Maschinenbaus, der Chemie und der Hochtechnologie. Und es sind im Wesentlichen Exporteure nach Russland. Dieser Krieg hat mehrere Dimensionen: Es ist ein Informationskrieg, ein bewaffneter Krieg, ein diplomatischer Krieg - und eben auch ein Wirtschaftskrieg.
Welche konkreten Probleme gibt es?
Für die ukrainische Industrie gibt es ja nicht Sanktionen oder Verbote, wie beispielsweise auf Lebensmittelprodukte aus der Ukraine. Aber es werden keine neuen Verträge mehr abgeschlossen. Das betrifft vor allem das Unternehmen Frunse, das bisher im Wesentlichen die russischen Gasleitungen mit Kompressoren ausgestattet hat - 90 Prozent der russischen Gasleitungen wurden bei uns gebaut. Dieses Unternehmen ist entscheidend für die Region und das Regionalbudget. 12.000 Leute arbeiten dort. Die Produktion ist dort zuletzt eingebrochen, es wird jetzt nur noch an drei Tagen die Woche produziert.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie dagegen?
Das hat uns natürlich nicht ganz unvorbereitet getroffen - wir haben schon im Frühling geahnt, dass da so etwas kommen könnte. Wir haben deswegen die Unternehmen aufgefordert, sich mehr auf den Binnenmarkt zu konzentrieren und sich im Außenhandel umzuorientieren, zum Beispiel mehr in die Europäische Union zu liefern. Ziel ist es, eine neue Exportstrategie für Länder auszuarbeiten. Mit einem Wort: in alle Länder mehr zu exportieren, außer nach Russland. Es ist aber vor allem für Zulieferer und Poly-Fabrikate sehr schwer, in bereits bestehende Produktionsketten - zum Beispiel am europäischen Markt - einzudringen.
Wie stark wird die Wirtschaft leiden?
In der Region Sumy rechnen wir mit einem Rückgang der Industrieproduktion von acht Prozent - das ist allerdings das positivste Szenario. Dabei haben wir ja noch Glück: Bei uns gibt es wenigstens keinen Krieg, nicht so wie in Donetsk und Luhansk.
Wie wird sich der Engpass bei Gaslieferungen auf die Industrie in Sumy auswirken?
Die Gasspeicher sind voll, und die Regierung hat uns ja aufgefordert, für diesen Winter 30 Prozent an Energie einzusparen. Ich sehe aber eine viel größere Bedrohung für die ukrainische Energieversorgung: 50 Prozent unseres Stroms gewinnen wir aus Atomkraft, und den Kernbrennstoff dafür erhalten wir zu 95 Prozent aus Russland. Wenn die Russen so weit gehen sollten und uns keinen Brennstoff mehr liefern, dann werden die Atomreaktoren in der Ukraine aufhören, zu arbeiten - das wäre dann ein Energiekollaps. Aber so weit gehen sie noch nicht: Der Brennstoff ist teuer und auch für die Russen eine wichtige Einnahmequelle. Wir haben in den vergangenen Jahren versucht, unsere Brennstoffe zu diversifizieren, aber so einfach ist das nicht: Unsere Atomkraftwerke sind sowjetische Modelle, da gibt es wesentliche technische Unterschiede zu Lieferungen zum Beispiel aus den USA.
Zur Person
Andrij
Kramtschenkow
ist seit Februar 2014 stellvertretender Gouverneur der Oblast Sumy und verantwortlich für die Bereiche Wirtschaft, Finanzen und Industrie.