Warschau/Wien - Polens Ministerpräsident Leszek Miller hat die Flucht nach vorn angetreten: Er schlägt vorgezogene Neuwahlen vor. Ein möglicher Termin dafür wäre der 13. Juni 2004, parallel zu den Wahlen zum Europaparlament. Die nächste Bewährungsprobe muss die polnische Regierung aber schon früher bestehen - beim EU-Referendum. Dieses treffe einen äußerst ungünstigen Zeitpunkt, meint der ehemalige Botschafter und Außenminister Wladyslaw Bartoszewski.
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Auch wenn es ein gewohntes Bild ist - vertrauensbildend wirkt es nicht: Präsident Aleksander Kwasniewski hat die nächsten neuen Minister vereidigt. Damit haben Gesundheitsminister Leszek Sikorski und Schatzminister Piotr Czyzewski die Nachfolge von Marek Balicki und Slawomir Cytrycki angetreten. Weitere Wechsel in der Regierung werde es nicht geben, kündigte Ministerpräsident Leszek Miller an. Gleichzeitig schlug er vorgezogene Neuwahlen am 13. Juni 2004 vor.
Mit dieser Idee dürfte Miller, der nach dem Zerfall der Koalition mit der Bauernpartei PSL eine Minderheitsregierung führt, im Parlament offene Türen einrennen. Die meisten Parteien haben bereits ihre Zustimmung signalisiert. Auch Kwasniewski sprach sich für vorgezogene Neuwahlen aus.
Einer Meinung waren Staats- und Ministerpräsident nicht immer. Von Spannungen zwischen den beiden war in letzter Zeit häufig die Rede. "Es gibt keinen Krieg an der Spitze", versicherte Kwasniewski aber vor zwei Tagen. Gemeinsam solle nicht zuletzt am Beitritt zur Europäischen Union gearbeitet werden.
Über die Mitgliedschaft in der EU sollen die Polinnen und Polen am 8. Juni - vielleicht sogar an zwei Tagen - entscheiden. Damit falle das Referendum in eine äußerst ungünstige Zeit, meinte der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski am Rande einer Veranstaltung des Netzwerks "Stimmen für Europa" im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Es gibt eine Minderheitsregierung - und deutliche Gräben zwischen den Fraktionen im Parlament. Auch in der regierenden SLD (dem Bündnis der Demokratischen Linken) sind Anzeichen einer inneren Krise zu bemerken. Hinzu kommen die verstärkten Bemühungen der Populisten: Sie gaukeln den Wählern vor, Antworten auf alle Probleme zu kennen."
Dabei macht sich Bartoszewski nicht in erster Linie Sorgen um den Ausgang des Referendums. Er sei "vorsichtig optimistisch", dass sich eine deutliche Mehrheit für einen Beitritt zur EU aussprechen werde. Eine größere Hürde könnte aber die Frequenz darstellen: Über 50 Prozent der Wahlberechtigten müssen zu den Urnen gehen, damit die Abstimmung gültig ist. Andernfalls kann das Parlament einen Beitritt mit einfacher Mehrheit beschließen. "Und es ist nicht gewiss, ob sich diese Mehrheit finden wird", erklärt Bartoszewski.
Was die Folge eines verhinderten Beitritts wäre? "Dann würden es die Polen bald bereuen - und allen anderen die Schuld dafür geben, dass sie nicht in die Union kommen."