Am 14. September vor 700 Jahren starb der italienische Dichter Dante Alighieri, Autor der "Göttlichen Komödie".
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Zum Wesen nachhaltiger Inspiration gehört es, dass sie im Verborgenen wirkt und sich allen Festlegungen entzieht. Der italienische Dichter Dante Alighieri, dessen "Göttliche Komödie" als eines der überragenden Werke der Weltliteratur gilt, ließ sich früh, sogar sehr früh inspirieren: Am 1. Mai im Jahre 1274 - genau wissen wir es nicht, denn wir haben es auch mit einer poetisch bekränzten Legendenbildung zu tun - sieht der gerade einmal neunjährige Dante ein gleichaltriges Mädchen. Es heißt Beatrice und wurde ihm vom Himmel geschickt, das weiß er sofort.
Mit Beatrice kommt die Macht der Liebe in sein Leben, das von nun an, so sagt es die wissende Rückschau, ein anderes, ein neues Leben ist. "Vita nuova", das neue Leben, heißt denn auch ein Frühwerk, das vermutlich um 1292 entstand und von der schicksalsträchtigen Begegnung mit Beatrice erzählt. Schon der Beginn zeigt, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Herzensangelegenheit handelt, sondern um die Liebe als Himmelsmacht.
Sinnenfreude
"Schon zum neunten Mal war seit meiner Geburt der Himmel des Lichtes beinahe zu demselben Punkte wiedergekehrt, und zwar in seinem eigenen Kreislauf, als mir zum ersten Mal die verklärte Herrin meines Geistes erschien, die von vielen, die nicht wussten, wie sie sie nennen sollten, Beatrice genannt wurde. Sie war damals schon so lange in diesem Leben gewesen, dass während ihrer Zeit der Sternenhimmel sich um den zwölften Teil eines Grades gen Osten bewegt hatte, sodass sie ungefähr im Beginn ihres neunten Lebensjahres erschien und ich sie ungefähr zu Ende meines neunten Jahres sah. Sie erschien mir, in ein Gewand von der edelsten Farbe gekleidet, blutrot, bescheiden und ehrbar, gegürtet und geschmückt nach der Weise, die ihrem allerjugendlichsten Alter geziemte. In diesem Augenblick, das kann ich wahrhaftig sagen, begann der Geist des Lebens, der in der geheimsten Kammer des Herzens wohnt, so heftig zu zittern, dass er mir in dem leisesten Pulsen furchtbar erschien; und zitternd sagte er die folgenden Worte: Siehe, ein Gott, der stärker als ich ist und der daherkommt und mich beherrschen wird."
Beatrice heißt "die Segenspendende", und tatsächlich ist sie von Anfang an dazu da, dem jungen Dante den Segen höherer Erkenntnis vorzuführen. Dass sie dieses in aller Leibhaftigkeit tun muss, gehört zu unserem irdischen Geschick, das nun mal, dankenswerterweise, vor die vollkommene Abgehobenheit ein endliches Dasein der Sinnenfreude und Sinnenlast stellt. Ihm ist der junge Dante durchaus heftig ausgesetzt gewesen: Beatrice geht ihm nicht mehr aus dem Kopf, sein Herz schlägt heftiger, doch er weiß bereits, dass er prüfen muss, bevor er sich ewig bindet. Er durchmustert die Leidenschaften, die in ihm sind, und ordnet sie nach den Gesichtspunkten göttlicher Wahrheit, die nur am Wesen der Liebe, nicht aber an ihrem Tagesgeschäft und Personenbetrieb interessiert sein kann.
Die Geister geben klein bei vor einer Liebe, die höher sein muss als alle Vernunft - was wiederum ein Richterspruch ist, den die Vernunft selbst, unter dem freien Diktat der Gnade, verkünden darf. Eine Gewissheit wird damit geschaffen, in die sich der Liebende einzurichten hat, und er tut es nach den Gewohnheiten der Zeit, die zwischen hoher und niederer Minne zu unterscheiden weiß. Die eine ist eine Art Gottesdienst innigen Begehrens, die andere dient dem Lustgewinn und findet den Beifall der Kumpane. Die vorhandenen Standesunterschiede bleiben davon unberührt, ja werden sogar ausdrücklich bestätigt.
In Dantes Fall bedeutet dies, dass er seine Beatrice über Jahre hinweg anhimmelt; das genügt ihm und genügt ihr, die von seiner sublimen Leidenschaft zudem gar nicht viel mitbekommt, denn im wirklichen Leben hat man anderes mit ihr vor. Die historische Beatrice, so sagen es übereinstimmende Vermutungen, stammte aus vermögendem Hause und wohnte in Florenz nicht weit von den Alighieri entfernt; es war also ein Nachbarkind, auf das Dantes begeisterungswilliger Blick fiel.
Später heiratete dieses Kind einen Bankier, das war familienintern so abgemacht worden, während ihr Verehrer mit einer gewissen Gemma Donati erst verlobt und dann verehelicht wird; auch das entsprach elterlichem Kalkül und war in den besseren Kreisen, die es für ihre Kinder immer noch etwas besser haben wollen, üblich. Dantes Liebe zu Beatrice musste das keinen Abbruch tun, im Gegenteil: Von den Bewährungsproben und Beweislasten des Alltags freigestellt, konnte sie nahezu ungestört vor sich hin glühen und schließlich zum ewigen Licht werden. Um sich an diesem zu wärmen, braucht der Liebesvisionär keinen Anlass, und auch die normale, jederzeit abrufbare Vergänglichkeit kann ihn nicht mehr erschrecken.
"Partei für sich selbst"
"Als so viele Tage vorübergegangen waren, dass gerade neun Jahre seit (...) der Erscheinung jener Lieblichsten verflossen waren, geschah es am letzten jener Tage, dass jenes wunderbare Mägdlein mir erschien, in das allerweißeste Kleid gehüllt und inmitten zweier edler Frauen von älteren Jahren. Und da sie durch eine Straße ging, wendete sie ihre Augen nach der Stelle, wo ich furchtsam und schüchtern stand, und in ihrer unaussprechlichen Holdseligkeit, die nun bereits in dem Reiche der Ewigkeit ihren Lohn gefunden hat, grüßte sie mich sehr tugendlich, dass ich das Endziel aller Seligkeit zu schauen meinte. Die Stunde, in welcher ihr süßer Gruß mich erreichte, war bestimmt die neunte jenes Tages, und da dieses das erste Mal war, dass ihre Worte sich bewegt hatten, um an mein Ohr zu dringen, fühlte ich solche Wonne, dass ich wie trunken aus der Menge eilte ..."
Dante Alighieri stammt aus einer Florentiner Adelsfamilie. Die Mutter stirbt früh, der Vater findet in den Schriften des Sohnes keine besondere Erwähnung. Dante wird eine standesgemäße Ausbildung zuteil; er studiert die sieben freien Künste: Dialektik, Grammatik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik; zudem kann er Latein und Französisch. Auch für die schönen Künste interessiert er sich, er ist mit Dichtern und Malern befreundet. Sein Hauptaugenmerk legt er zunächst auf die Politik, die zur damaligen Zeit, anders als heute, nicht mehr nur die gebremste Kunst des gerade noch Machbaren meint, sondern Glaubens- und Machtkämpfe um jeden Preis.
In den Florentiner Stadtkämpfen steht Dante zunächst auf Seiten des Papstes gegen die Anhänger des Hohenstauferkaisers; später bekennt er sich zur Monarchie, von der er eine uneingeschränkte Vernunftherrschaft unter göttlichen Vorzeichen erhofft. Diese Hoffnung allerdings trügt, so wie auch Dantes Erfolge als Politiker, freundlich gesprochen, eher trügerisch sind und, auf Dauer gesehen, unter keinem guten Stern stehen. Nachdem er im Jahre 1300 einige Monate im Priorat, dem höchsten Gremium der Republik Florenz, mitwirkt, wird er bald darauf in die Verbannung geschickt und in Abwesenheit mehrfach zum Tode verurteilt. Dante zieht daraus seine Konsequenz: Er will nur noch "Partei für sich selbst" sein.
Dantes großem Werk, der "Göttlichen Komödie", liegt ein Plan zugrunde, der Jahre der Reifung braucht. Wann er mit der Niederschrift begonnen hat, weiß man nicht so genau; vermutlich wird die endgültige Fassung im Jahre 1313 geschrieben. Während all der Zeit ist Beatrice, die, 24-jährig, im Sommer 1290 verstorben war, unvergessen geblieben. Sie, die zur reinen Erinnerung, zum Heiligenbild der Liebe wurde, erfährt in der "Göttlichen Komödie" ihre letztgültige Beglaubigung: Beatrice wird zum engelgleichen Wesen; sie geleitet Dante, der Abbuße tun muss, bevor er den Königsweg der Erkenntnis antreten darf, durch die Himmelssphären bis hin zu Gott.
Tod in Ravenna
Schon ihr erster Auftritt im Paradies, den er vorgeführt bekommt, hat Stil: "So kam in einer dichten Blumenwolke,/ Die aus der Engel Händen dort entströmte/ Und niederregnete nach allen Seiten,/ Im weißen Schleier mit Olivenzweigen/ Dort eine Frau in einem grünen Mantel/ Und einem Kleide von der Flammen Farbe./ Da hat mein Geist, der schon seit langen Zeiten/ Von ihrer Gegenwart mit jenem Staunen/ Und tiefem Beben nicht erschüttert worden,/ Auch ohne dass die Augen sie erkannten,/ Nur durch geheime Kraft, die von ihr ausging,/ Der alten Liebe große Macht erfahren ..."
Die himmlische Beatrice, die sich seiner annimmt, kann Dante einige Vorwürfe nicht ersparen: Zu wenig hat er auf Erden aus seinen Talenten gemacht, zu unstet war er in seinen Entscheidungen, zu selbstbezogen, und zu spät ist er darauf verfallen, dass es auch auf Erden schon eine höhere Einsicht gibt. Im Himmel lässt man es jedoch nicht beim Aufrechnen eines gelebten Lebens bewenden; die Uhren in Gottes Reich gehen anders. Als Dante seinem Ziel näherkommt, verschwindet Beatrice von der Bildfläche; sie hat getan, was sie tun sollte, ihm bleibt nur der Nachruf: "O Herrin, die du meine Hoffnung nährest/ Und die du gütig bis zur Hölle nieder/ Zu meinem Heile deine Spuren führtest;/ Von allen Dingen, die ich hier gesehen,/ Verdank ich deiner Macht und deiner Güte/ Die Kraft und Gnade, die sie mir gewähren./ Du hast mich aus der Knechtschaft hin zur Freiheit/ Geführt auf allen Wegen, jede Weise,/ Die dir dazu in deine Macht gegeben."
Dante stirbt am 14. September 1321 in Ravenna. Der Weg zu Gott, den er anzutreten hat, ist ein Wiederholungspfad; an seinem Ende wartet ein Lichterrund, in dem auch der Geläuterte, obwohl er alles zu wissen glaubt, noch immer als Fragender steht. Das Unbegreifliche lässt sich nicht begreifen, der Dichter wird stumm. Dennoch weiß er, dass keines seiner Worte vergebens war; er ist am Ziel seiner Wünsche, mehr Aufklärung kann nicht sein.
Otto A. Böhmer, geboren 1949, lebt als Schriftsteller in der Nähe von Frankfurt am Main. Mitte September erscheint sein neuer Roman: "Auf das was da noch war" (Kröner/Edition Klöpfer).