Litauen ist heute ein Land, das schnurstracks und sehr erfolgreich auf EU- und NATO-Beitritt zusteuert. Die wirtschaftliche Entwicklung des baltischen Landes ist, sieht man von beträchtlicher Arbeitslosigkeit ab, eine Erfolgsgeschichte, die Integration in westliche Strukturen so gut wie vollzogen. Der Blick in die Zukunft ist für die meisten Litauer mit Optimismus und Hoffnung verbunden. Was wenig verwundert, wenn man die Vergangenheit des Landes in Betracht zieht, die von 50 Jahren sowjet-kommunistischer Repression geprägt war. Die Litauer überlassen die Bewältigung dieser Periode allerdings nicht kommenden Generationen, die Aufarbeitung hat bereits begonnen. Und das in oft sehr origineller Form. Wie die Monumenten-Schau im Grutas-Park beweist.
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Wenn es so etwas wie den "litauischen Traum" geben sollte, dann ist Herr Viliumas Malinauskas dessen perfekte Verkörperung: Während der sowjetrussischen Besatzung hatte der gleichzeitig behäbig und energiegeladen wirkende Mann wenig zu lachen. Heute dürfte der Firmenchef und Museumsdirektor für KP-Relikte zu den reichsten Persönlichkeiten des Landes zählen.
Ehrgeiz eines Missachteten
Als Sohn eines Häftlings, der zu Sowjet-Zeiten zehn Jahre in Sibirien Zwangsarbeit leisten musste, (die Mutter wurde in einer Kolchose zum Kühemelken verdonnert), waren der Karriere des ehrgeizigen Mannes von vorne herein enge Grenzen gesetzt. "Wer damals etwas werden wollte, musste bei der Kommunistischen Partei sein", erinnert sich Malinauskas. Das Problem in seinem Fall: Dem Sohn eines geächteten "Volksfeindes" blieb ein derartiger Status verwehrt. Malinauskas versuchte in der Landwirtschaft Fuß zu fassen, baute ein Jagdrevier für die privilegierten Funktionärskader auf. Von einer Leitungsfunktion blieb er wegen mangelnder Parteifunktion ausgeschlossen: Als ihm dieser Sachverhalt eröffnet wurde, "bin ich einfach aufgestanden und habe wortlos die Türe zugeknallt". Eine unter dem Sowjetsystem eher waghalsige Reaktion. Seinen damaligen Gegnern hat der Unternehmer aber mittlerweile verziehen. "Nicht jeder Kommunist ist automatisch ein schlechter Mensch."
Nachdem Litauen 1991 die Fremdherrschaft endgültig abschütteln konnte, entwickelte sich der widerspenstige Querkopf zu dem, was man einen "selfmademan" nennen könnte: Malinauskas stieg in den Handel mit Pilzprodukten ein, sein ursprünglich kleiner Betrieb soll heute einen Umsatz von mehreren Millionen Euro aufweisen.
Malinauskas beschränkte sich aber nicht nur auf die Rolle des gewitzten Geschäftsmannes, er entwickelte ganz offensichtlich Sinn für die jüngere Geschichte seiner Heimat, die ihn zunächst so schmählich an seiner Entfaltung behindert hatte.
So kaufte er ein versumpftes Grundstück in der Nähe von Druskininkai, südwestlich von Vilnius, legte das morastige Terrain trocken und bepflasterte es mit Lenin-, Stalin- und anderen KP-Statuen, die einstmals den Herrschaftsanspruch des Sowjetsozialismus versinnbildlichen sollten. Und es wäre nicht Viliumas Malinauskas, wenn er mit seinen Ideen nicht erneut auf Widerstand gestoßen wäre. Vorgeworfen wurde ihm vieles, von "schlechtem Geschmack" bis hin zu "verderblichem Einfluss auf die Jugend". Eine heftige Kontroverse entspann sich und wurde von den litauischen Medien begierig aufgenommen. "Für Werbung habe ich keinen einzigen Litas ausgeben müssen", freut sich Malinauskas noch heute über den Rummel. Und zahlt es seinen Gegnern auf heimtückische Weise heim: Deren Gesichter wurden von einem Künstler in Holz geschnitzt und im Grutas-Park in unmittelbarer Nähe zu den steinernen bzw. metallenen KP-Götzen der Lächerlichkeit preisgegeben. Dieses Mal hat Malinauskas eindeutig den Sieg davongetragen, zumal "von den Gegnern meines Projekts heute keiner mehr im Amt ist".
Stalin im Fegefeuer
Das Verhältnis Malinauskas zu den Schrecken der 50-jährigen Besatzung - etwa eine Million Litauer wurden ab 1944 entweder deportiert, umgebracht oder verließen das Land - ist ein höchst ironisches. In einem litauischen Tourismus-Prospekt wird zwar angeführt, dass die Gestaltung der Ausstellung an "Dantes Inferno" gemahnen soll. Der unbefangene Besucher erlebt aber eine Atmosphäre, die ein wenig an Erlebnisparks erinnert. Denn wie wäre es sonst zu erklären, dass anlässlich der Eröffnung der Schau am 1. April 2001 ein regelrechtes "Festival" veranstaltet wurde, bei dem alle KP-Versatzstücke fröhliche Urstände feiern durften? Ein Fest, das übrigens jeweils am 9. Mai - dem Tag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland - wiederholt wird. Da kann man einen waschechten Lenin, verkörpert durch ein Double, vor einer Strohhütte beim Fischen beobachten. (Der kommunistische Revolutionär musste sich 1917 vor den russischen Behörden im Wald verstecken.) Dazu werden in der Kantine Original-Spezialitäten aus der Sowjetzeit gereicht.
Einen etwas obszönen Touch erhält das Ensemble durch den Umstand, dass der Besucher permanent mit sowjetrussischer Propaganda in Form von Musik berieselt wird. Malinauskas erklärt selbst: "Diese Lautsprecher waren damals allgegenwärtig. Selbst bei Deportationen und öffentlichen Erschießungen hat man diese Lieder gespielt." Da ist zu befürchten, dass manchem Gulag-Veteranen das nett servierte Schwammerlgulasch im Halse stecken bleibt. Ein wenig merkwürdig wird man auch von dem Umstand berührt, dass unweit eines leeren Eisenbahnwaggons - "In solchen Zügen wurden tausende Litauer von 1944 bis 1953 ins Gulag transportiert", steht auf dem Schild, - Nostalgie-T-Shirts mit Hammer und Sichel verkauft werden.
Kuriose Irrtümer
Daneben hat der Statuen-Park auch Kuriositäten anderer Art zu bieten: Zu sehen sind zahlreiche Exponate, die den Bildhauern "misslangen" und heute Anlass zu Heiterkeit geben: so etwa das Idol eines Soldaten der Roten Armee, das im Jahr 1947 von deutschen Kriegsgefangenen modelliert wurde: Das Antlitz des Sowjet-Helden besticht durch betont germanische Züge, wie sie Adolf Hitlers Leibbildhauer Arno Breker nicht besser hätte meißeln können, die Wehrmachts-Bekleidung der Siegesstatue stieß bei den KP-Auftragebern ebenfalls nicht auf Gegenliebe. So verschwand die Skulptur in irgendwelchen Lagerhallen. Das gleiche Schicksal widerfuhr einer aufwendig gestalteten Lenin-Statue, deren Beine um etliches zu kurz gerieten.
Internet-Adresse des Museums: http://www.travel-lithuania.com/grutas/welcome.htm