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Darf man noch "Lueger" sagen?

Von Engelbert Washietl

Kommentare

Ich bin hundertprozentig dafür, dass sich die Leute gewählt ausdrücken sollen. Aber wer schreibt mir vor, was erlaubt ist und was nicht?


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Es gibt Sonderbeauftragte für Radfahrer, für Datenschutz, für Universitäten und demnächst vielleicht für Fußgänger. Mir geht ein Beauftragter für political correctness ab.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".

Dass in Bayreuth vier Tage vor der Premiere der Titelheld des "Fliegenden Holländers" ausgetauscht wurde, verstehe ich noch, aber nicht wegen des Hakenkreuzes, sondern wegen der Verwicklung der Weihfestspiel-Firma Bayreuth mit der Nazi-Ära. In Bayreuth darf sich ein Hakenkreuz auf des Sängers Brust nicht einmal ahnen lassen. Abgesehen davon ist die Affäre bloß skurril. Ein russischer Bassbariton, dem in seiner martialischen Jugendzeit auf seiner flächendeckend tätowierten Lederhaut auch ein Hakenkreuz drauf geraten ist, der dieses später "überstechen" ließ und es sogar öffentlich bereut hat: Solange er als ewig seereisender "Holländer" seine ideologische Dermatitis unter der Windjacke behält und dieselbe nicht auf der Bühne aufreißt, soll er singen. Falls er ein Stalin-Porträt aufgemalt hätte, auch.

Mit Opern und Operetten wird es überhaupt noch größere Schwierigkeiten geben. Der energische neue Presserat hat anlassbezogen einen Bann gegen das Wort Neger auf die Zeitschrift "Zur Zeit" gemünzt, was wegen deren rechtslastiger Weltsicht nicht überrascht. Es kommt ja darauf an, was jemand sagen will, wenn er unbedingt "Neger" sagt. Aber das Wort generell aus der deutschen Sprache zu entfernen, bloß weil es einen "Bedeutungswandel" durchgemacht hat, wer ordnet das an? Auch dieses Verbot wäre "zeitgebunden". Es ist zum Glück noch niemand ernsthaft auf die Idee gekommen, die Opern von bösen Gestalten wie Monostatos zu säubern und die Operetten von inkorrekten Zigeunerbaronen. Wenn schon, schminkt man sie schön. Darwin hat auf seiner Reise "Wilde" studiert. Besorgte italienische Humanisten diskutieren, welche Passagen in Dantes "Göttlicher Komödie" rassistisch, antisemitisch oder islamophob sind. Ja, es gibt solche. Würde man diese aber nicht weiterhin im historischen Kontext ertragen, sondern retuschieren - was wäre das anderes als die soeben erfolgte Tilgung einer Penis-Abbildung des "Zeit-Magazins" in Facebook, bloß weil Facebook-Nutzer durch den Anblick des Zumpferls irritiert sein könnten?

Die Abschaffung des Dr.-Karl-Lueger-Rings entspricht der Mode und ist ein krampfhafter Leistungsnachweis der Regierungskoalition in der Großgemeinde Wien. Sie räumt auf. Darf man den Namen Lueger überhaupt noch aussprechen? Ich freue mich ja, dass sich der Kulturstadtrat mit seinem differenzierten Geschichtsbild nicht auch noch über den Dr.-Karl-Renner-Ring hermacht, weil das aus Parteiräson gar nicht ginge. Dabei hat Renner den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland "freudig begrüßt" und 1945 als Staatskanzler seinen sozialistischen Genossen ausdrücklich den Vorrang vor "jedem kleinen jüdischen Kaufmann oder Hausierer" eingeräumt, obwohl Renner im Gegensatz zu Lueger erlebt hat, was Hitler aus dem Antisemitismus machte.