Stadtplaner könnten künftig rasch herausfinden, wie Gebiete sicherer wirken.
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Wien. Was verbindet Linz und Salzburg mit New York und Boston? Auf den ersten Blick nur der Luftweg. Auf den zweiten Blick haben sie eine Online-Befragung gemein, die ihren Stadtplanern nützen könnte.
Wissenschafter um die Österreicherin Katja Schechtner vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben ein Online-Tool entwickelt, das einen gründlichen Einblick in die emotionalen Reaktionen von Menschen auf ihre Umgebung gewährt. Freiwillige bekommen dabei im Internet unterschiedliche Bild-Paare zu sehen, die weitgehend der Sammlung von Google Street Maps entnommen sind. Die Probanden geben an, welche der beiden Straßenszenen sicherer, wohlhabender oder einzigartiger auf sie wirken. Etwa werden dichter bebaute, aufgeräumte Gebiete als sicherer empfunden als Gegenden, in denen Graffiti auf Straßenmauern prangen. Mithilfe von Algorithmen erhielten die bewerteten Straßenabschnitte Punkte von eins bis zehn in den jeweiligen Kategorien.
"Natürlich ist uns klar, dass in österreichischen Städten die Übergänge zwischen den Stadtvierteln nicht so abrupt verlaufen wie in den USA. Dennoch sieht man sie auch bei uns bis auf etwa 50 Meter genau", sagt Schechtner, die jüngst von der Leiterin des Geschäftsfeldes Dynamic Transportation Systems am Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien zur Abteilung für Stadtplanung der Asian Development Bank in Manila wechselte, während sie weiterhin am MIT forscht.
Wie sich zeigte, empfanden die Stadtbewohner dieselben Gegenden als unsicher wie Befragte aus aller Welt. "Zwar sagt die Sicht Einzelner noch nichts darüber, ob etwas richtig oder falsch ist. Doch das Aggregat der Sichtweisen vieler Nutzer gibt die allgemeine Wahrnehmung wieder, und dessen Übereinstimmung mit objektiven statistischen Daten ergibt eine sehr gute Annäherung an die Realität", erklärt Schechtner. Etwa korreliere die Wahrnehmung der Befragten von bestimmten Gegenden in New York mit den städtischen Statistiken für Mord und Totschlag.
Wie kann das Tool die Welt verbessern? Um das herauszufinden, haben die Forscher Graffiti oder Abfall von manchen Fotos entfernt oder auf anderen Bäume "gepflanzt". Danach legten sie den Testpersonen die Bilder erneute vor - die Szenen wurden anders beurteilt. "Somit ist leicht feststellbar, welche Maßnahmen eine Stadt setzen kann, um ein besseres Gefühl für ihre Bürger zu erreichen", sagt die Informatikerin.
Alles, was im Stadtraum zu sehen ist, kann abgefragt werden. Flott könnten Stadtplaner abtesten, was zu tun ist, damit ein bestimmter Straßenzug gemütlicher, belebter oder sicherer wirkt und wird. Immobilienentwickler könnten herausfinden, welche Mieten drin wären, wenn ein Schanigarten unter dem Fenster ist. Zielgruppenorientiert könnte ermittelt werden, was unternommen werden muss, wenn ältere Menschen sich in einem Grätzel wohlfühlen sollen, oder womit man Touristen anlocken kann. Das Tool erlaubt Multikriterien-Analysen.
Veröffentlicht wurde dessen Entwicklung im Open Access Journal "PLoS One". Demnächst soll es selbst öffentlich und gratis im Internet zugänglich gemacht werden, sodass jeder seine eigenen Studien darauf aufsetzen kann.
Auf der Website http://pulse.media.mit.edu/rankings/ läuft derzeit ein Ranking von 56 Städten nach den Kategorien langweilig, depressiv, belebt, sicher, wohlhabend. Ziel der MIT-Forscher ist ein weltweiter Vergleich. Denn die Städte stehen im Wettbewerb, und das Tool helfe dabei, "effizient und ressourcenschonend herauszufinden, wie einer Stadt gelassen und gegeben wird, was an ihr besonders ist", sagt Schechtner: "Denn was an Salzburg besonders ist, kann man nicht an 15 Kilometer Glasfaser-Kabel oder der Pünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs messen."