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Darwin im Labor

Von Alexandra Grass

Wissen

Der Nobelpreis für Chemie zeichnet die Forschungen zu Enzymen und Antikörpern aus.


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Stockholm/Wien. Die Evolution zum Vorbild nehmen, um sie im Labor zu beschleunigen. Diesen Weg sind die drei Molekularbiologen Frances H. Arnold (USA), Gregory P. Winter (Großbritannien) und George P. Smith (USA) in ihren Forschungen der letzten Jahre gegangen. Für die Ergebnisse ihrer Arbeiten wurden sie am Mittwoch mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt. Ihre Methoden werden "international eingesetzt, um eine grünere Chemieindustrie zu fördern, neue Materialien herzustellen, nachhaltige Biokraftstoffe zu produzieren, Krankheiten zu lindern und Leben zu retten - und das alles zum Nutzen der Menschheit", betonte das Komitee der Schwedischen Akademie der Wissenschaften.

Tausend Mal schneller

Seit die ersten Samen vor rund 3,7 Milliarden Jahren das Leben entstehen ließen, haben sich Organismen entwickelt, die sich an ihre Umwelt geschickt anzupassen verstehen. Dieser Clou der Evolution hat Chemiker auf den Plan gerufen. Denn das Leben auf der Erde existiert, weil die Natur es geschafft hat, selbständig zahlreiche komplexe chemische Probleme zu lösen. Allen Organismen ist es möglich, Nährstoffe und Energie aus ihrer nahen Umgebung zu extrahieren und sie durch einzigartige chemische Prozesse aufzunehmen und zu nutzen. So können etwa Fische dank kälteresistenter Proteine in ihrem Blut im Polarmeer schwimmen. Muscheln ist es möglich, sich an Steine zu heften, weil sie unter Wasser eine Art molekularen Klebstoff produzieren.

Diese Einzigartigkeit solcher chemischer Vorgänge ist in unseren Genen programmiert. Und sie werden weitervererbt und weiterentwickelt, wie es das Grundwesen der Evolution ist.

Die Wissenschafter nutzen "das molekulare Verständnis, das wir vom Evolutionsprozess besitzen, und bildeten den Prozess in ihren Laboratorien nach", heißt es seitens der Nobeljury. So sei es ihnen gelungen, die Evolution "viele Tausend Mal schneller zu machen" und so zu verändern, dass neue Proteine entstehen.

Die ehemalige Maschinenbau- und Luftfahrtingenieurin und nunmehrige Molekularbiologin Frances Arnold vom California Institute of Technology in Pasadena widmete sich den Enzymen. Anstatt Medikamente, Plastik oder andere chemische Stoffe traditionell herzustellen, indem Schwermetalle, ätzende Säuren oder Lösungsmittel eingesetzt werden, war es ihre Idee, diese chemischen Werkzeuge der Natur zu nutzen.

Antikörper in der Medizin

Enzyme sind aus 20 verschiedenen Aminosäuren aufgebaut, die unendlich kombiniert werden können. Ein einzelnes Enzym kann dabei aus mehreren Tausend Aminosäuren bestehen, die in langen Ketten verbunden und dreidimensional gefaltet sind. Mittels Genveränderung konnte sie mit der Zeit gezielt Proteine erzeugen. In ihrem Labor können heute Materialien geschaffen werden, die es in der Natur gar nicht gäbe. So lassen sich neue Substanzen für die Medizin produzieren, aber auch alternative Treibstoffe für Autos und Flugzeuge. Für diese "gerichtete Evolution von Enzymen" wurde sie nun auch ausgezeichnet.

George Smith von der University of Missouri und Gregory Winter vom Laboratory of Molecular Biology in Cambridge nutzten für ihre Methode Viren, die Bakterien infizieren, sogenannte Bakteriophagen. Um sich fortzupflanzen, injizieren die Viren ihr genetisches Material in die Bakterien und lassen diese neue Kopien davon produzieren. Aber auch Proteine, die eine Schutzhülle um sie bilden. Smith schaffte es, dass Bakteriophagen verschiedene Proteine produzieren, und konnte sie mit Hilfe spezifischer Antikörper, die an das gesuchte Protein binden, aus der Phagensuppe herausfischen. Mit der Phagen-Display genannten Methode der beiden Preisträger können heute Antikörper hergestellt werden, die etwa bei Autoimmunerkrankungen oder auch Krebs erfolgreich eingesetzt werden.

Der diesjährige Nobelpreis geht zur Hälfte an Arnold, zur anderen Hälfte an Smith und Winter. Er ist mit umgerechnet 870.000 Euro dotiert. Frances Arnold ist die fünfte Frau, die den Nobelpreis für Chemie erhält. Übergeben wird der Preis am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.