Erinnerung an den Naturforscher Thomas Henry Huxley, der vor 190 Jahren geboren wurde - und entscheidend zur Verbreitung der Evolutionstheorie beitrug.
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Anlässlich einer Sitzung der "British Association for the Advancement of Science" kam es am 30. Juni 1860 zu einem Eklat. Thomas H. Huxley wurde vom anglikanischen Bischof Samuel Wilberforce (1805-1873) vor großem Publikum herausfordernd gefragt, ob er denn lieber großväterlicher- oder großmütterlicherseits vom Affen abstammen wolle. Huxley antwortete mit spitzer Zunge: Lieber von einem Affen als von einem Mann, der seine Fähigkeiten lediglich dazu benützt, eine ernste wissenschaftliche Diskussion lächerlich zu machen. Also lieber von einem Affen als von einem Bischof.
Der Kirchenfürst war entsetzt. Eine Dame fiel in Ohnmacht und musste hinausgetragen werden. Robert Fitzroy (1805-1865), Darwins frommer Kapitän auf der Weltreise mit der "Beagle", begann fassungslos herumzuirren, seine Bibel über dem Kopf haltend. Die Sitzung geriet aus den Fugen.
Großvater von Aldous
Außer Biologen und Biologiehistorikern dürfte Huxley heute nur wenigen bekannt sein. Mit dem Namen verbinden wohl die meisten den Autor des utopischen Romans "Brave New World", Aldous Huxley (1894-1963), einen Enkel des Naturforschers. Aus der Geschichte der Evolutionstheorie ist Thomas H. Huxley, der gelegentlich als "Darwins Bulldogge" bezeichnet wurde, allerdings nicht wegzudenken. Nicht nur leistete er einen großen Beitrag zur öffentlichen Verbreitung dieser Theorie, sondern bereicherte sie auch durch eigene wichtige Arbeiten. Anders als der öffentlichkeitsscheue, zurückgezogen lebende Charles Darwin (1809-1882) war Huxley ein streitbarer Geist, der in Diskussionen wortgewaltig aufzutreten wusste und hervorragende wissenschaftliche Prosa schrieb.
Geboren am 4. Mai 1825 in Ealing, Middlesex (England), als siebentes von acht Kindern des Ehepaares George und Rachel Huxley, war Thomas eine glänzende wissenschaftliche Laufbahn keineswegs in die Wiege gelegt. Die Grundschule, an der sein Vater Mathematik unterrichtete (bevor er aus unbekannten Gründen bald seinen Dienst quittierte), besuchte er nur zwei Jahre lang und brachte sich Grammatik selbst bei. Der Schulunterricht selbst hinterließ bei ihm einen denkbar schlechten Nachgeschmack. Aber schon als Zwölfjähriger las er Werke über Geologie und Logik und führte einfache wissenschaftliche Experimente durch.
Sein Wunsch, Ingenieur zu werden, erfüllte sich nicht. Stattdessen erhielt er ein Stipendium an einer medizinischen Schule in London. Nach Ablauf der Stipendienzeit war Huxley einundzwanzig Jahre alt und noch nicht als Mediziner qualifiziert. Dennoch sicherte er sich die Stelle eines Assistenz-Chirurgen an der Fregatte "Rattlesnake", mit der er vier Jahre in der Südsee unterwegs war. Wann und wo auch immer er die Möglichkeit hatte, studierte er während dieser Zeit mit sehr einfachen technischen Hilfsmitteln marine Lebewesen und schickte seine Aufzeichnungen nach England, wo sie in renommierten Journalen veröffentlicht wurden.
Als er (im Oktober 1850) in seine Heimat zurückkehrte, warteten damals führende Biologen schon darauf, seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Gerne hätte Huxley noch ein akademisches Studium abgeschlossen beziehungsweise einen akademischen Grad erworben, verzichtete aber darauf, als er bereits im Alter von nur sechsundzwanzig Jahren in die exquisite Royal Society als Mitglied aufgenommen wurde. Und zumindest mit Ehrendoktoraten wurde er später ohnedies reichlich "versorgt" - von den Universitäten Breslau, Edinburgh, Dublin, Cambridge, Würzburg, Oxford, Bologna und Erlangen.
Royal College of Science
In den 1850er Jahren festigte Huxley seinen Ruf durch einschlägige wissenschaftliche Publikationen über Mollusken, Methoden der Paläontologie, die Struktur und Funktion von Nerven und den Schädel der Wirbeltiere, aber auch über Grundlagen und Methoden der Wissenschaft sowie wissenschaftliche Erziehung und Bildung. Da es damals wenige bezahlte wissenschaftliche Anstellungen gab, nahm Huxley einen Lehrauftrag an einer kleinen Schule in London wahr und sicherte sich ein Zubrot mit schriftstellerischer Arbeit. Obwohl er bald verlockende Angebote von renommierten Universitäten erhielt, blieb Huxley seiner Schule treu, baute sie zu einer wissenschaftlichen Institution aus, und schließlich zum großen "Royal College of Science". Auch im weiteren Verlauf seines Lebens beschäftigte er sich intensiv mit Erziehungs- und Bildungsreformen und trug entscheidend zur Reorganisation höherer Schulen bei.
Als Darwin 1859 sein evolutionstheoretisches Hauptwerk "Die Entstehung der Arten" veröffentlichte, fand er in Huxley von Anfang an einen glühenden Fürsprecher. Jene legendär gewordene Sitzung in Oxford, bei der sich Huxley so wirkungsvoll und unvergesslich in Szene gesetzt hatte, muss man in ihrer ganzen geistesgeschichtlichen Tragweite erfassen. Es ging nicht nur darum, für Darwin und die Evolutionstheorie eine Lanze zu brechen, sondern um die Loslösung der Naturwissenschaften von der Theologie. Da im 19. Jahrhundert - zumal in England - viele Naturforscher Theologen waren, war dies ein entscheidender Schritt. Huxley prägte denn auch den Ausdruck "Agnostizismus" für die erkenntnistheoretische Haltung des Naturwissenschafters gegenüber dem Unergründlichen: Phänomene außerhalb der empirischen Erkenntnis sind prinzipiell nicht erfahrbar, und die "Gottesfrage" ist zurückzuweisen.
Zu den bedeutendsten Werken Huxleys gehört sein 1863 erschienener schmaler Band "Evidence as to Man’s Place in Nature" ("Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur"). Acht Jahre bevor Darwin in seinem umfangreicheren Buch über die Abstammung des Menschen die "niedere Abkunft" unserer Spezies umfassend belegte, wies Huxley uns einen Platz in der Welt der Lebewesen zu.
Missverständnis
Während Darwin noch zögerte, in seinem "Artenbuch" nur etwas geheimnisvoll bemerkt hatte, dass "viel Licht fallen wird auf den Menschen und seine Geschichte", wandte Huxley dessen Theorie der Evolution durch natürliche Auslese konsequent auf den Menschen an. So wurde er zu einem Pionier der Evolutionstheorie und Vorläufer der heute als "evolutionäre Anthropologie" bekannten Disziplin. Hier ist allerdings auf ein Missverständnis hinzuweisen, das sich bis heute hartnäckig hält. Weder Darwin, noch Huxley oder ein anderer bedeutender Evolutionstheoretiker haben jemals ernsthaft behauptet, der Mensch stamme "vom Affen", ab, also etwa vom (heutigen) Schimpansen oder Gorilla. Vielmehr ging es von Beginn an um den Nachweis der gemeinsamen Abstammung und mithin der engen Verwandtschaft zwischen dem Menschen und den Menschenaffen. Huxley hat, nicht zuletzt aufgrund seiner hervorragenden anatomischen Kenntnisse, zu diesem Nachweis entscheidend beigetragen.
Der Engländer war ein vielseitiger Geist, der ein enormes Spek-trum von Problemen behandelte. Die "Encyclopaedia Britannica", die ihm in ihrer Ausgabe von 1985 vier eng bedruckte Spalten widmet, vermerkt, dass es zwar größere Gelehrte gegeben hat als ihn, aber nur einige wenige, die auf so vielen Gebieten der Naturwissenschaften und darüber hinaus damals so einflussreich wirkten und absolute Anerkennung genießen durften. Aber zumindest mit seiner Arbeit über die Position des Menschen in der Natur hat er auch ins 20. Jahrhundert hineingewirkt.
Huxley war verheiratet und hatte acht Kinder, von denen das erstgeborene im Kleinkindalter starb, die anderen vor allem auf künstlerischem und literarischem Gebiet erfolgreich tätig wurden. Drei seiner Enkel brachten es im vergangenen Jahrhundert zu großer Berühmtheit: neben dem Schriftsteller Aldous der Biologe und Humanist Julian Huxley (1887-1975) und der Physiologe und Medizinnobelpreisträger Andrew Huxley (1917-2012).
Thomas Henry Huxley starb am 29. Juni 1895 an Influenza und wurde wenige Tage später in Finchley, heute ein Stadtteil Londons, ohne religiöse Zeremonien beigesetzt. Dreißig Jahre später, fast auf den Tag genau, wurde im US-Bundesstaat Tennessee der Lehrer John Thomas Scopes (1900-1970) angeklagt, weil er in einer öffentlichen Schule im Biologieunterricht die Evolutionstheorie vorgetragen hatte. In Tennessee war nämlich im selben Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das staatlichen Schulen und Universitäten nicht erlaubte, von der Bibel abweichende Lehren zur Entstehungsgeschichte des Menschen zu verbreiten.
"Affenprozess" 1925
Die als "Affenprozess" bezeichnete Gerichtsverhandlung gegen Scopes begann am 10. Juli 1925 in der Kleinstadt Dayton, damals ein Nest mit weniger als zweitausend Einwohnern. Die unzähligen Journalisten und etwa fünftausend Neugierigen, die aus diesem Anlass nach Dayton gekommen waren, verwandelten das Städtchen vorübergehend in einen riesigen Jahrmarkt. Am 21. Juli wurde schließlich das Urteil gesprochen. Scopes wurde für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von hundert Dollar verurteilt. Das Gesetz wurde übrigens erst 1967 aufgehoben.
Heute, neunzig Jahre später, glaubt noch immer beinahe die Hälfte der Amerikaner, dass die derzeit existierenden Lebewesen von Anfang an so beschaffen waren wie jetzt, also nicht durch Evolutionsvorgänge aus "andersartigen" Organismen hervorgegangen sind. Naturforscher und Bildungsreformer wie Huxley sind also nach wie vor - nicht nur in den USA - gefragt.