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Darwins Evolutionstheorie - eine "gottlose Irrlehre"

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Leiter des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Recep Tayyip Erdogan ersetzt Kemal Atatürks laizistischen Staat zielsicher und stückweise durch den Islam.


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Das türkische Parlament billigte nun einen brisanten Gesetzesentwurf von Präsident Recep Tayyip Erdogan: Statt bestimmter Staatsbeamter dürfen nur noch islamische Rechtsgelehrte Ehen schließen. Damit endet für Heiratswillige die Trennung von Religion und Staat. Die Islamisierung des Staates erfasste auch das Bildungssystem: Ab Neujahr 2018 ist Charles Darwins Evolutionstheorie an allen türkischen Schulen gestrichen, weil Erdogan und strenggläubige Muslime die "gottlose Irrlehre" bekämpfen. Und die Jugendorganisation von Erdogans AKP verlangt noch mehr: So falsch wie Darwins Theorie sei auch die Lehre, dass die Erde eine Kugel sei, denn sie sei eine Scheibe.

Vor 90 Jahren schrieb Staatsgründer Kemal Atatürk die Trennung von Staat und Religion in die türkische Verfassung. Erdogan kann den "Vater der Türkei" nicht aus der Geschichte tilgen, wohl aber als Unterrichtsfach drastisch kürzen. Und das schafft Platz für die Geschichte des im Juli 2016 gescheiterten Militärputsches und dessen terroristischer Hintermänner. In seiner Neujahrsansprache 2017 erklärte Erdogan zu einer Serie von Terrorakten in der Türkei, Terrororganisationen seien "nur die sichtbaren Gesichter und Werkzeuge dieses Kampfes gegen den Staat; wir kämpfen gegen die Mächte dahinter." Deren Namen nannte er allerdings nicht. Das ist purer Populismus: Plakative Behauptungen sollen Ängste wecken und das eingeschüchterte Volk um die Staatsführung sammeln, um die Trennung von Staat und Islam scheibchenweise rückgängig zu machen.

Im heurigen Juli erklärte Erdogan den gescheiterten Putsch als "Geschenk Gottes". Erdogan hat seit dem Putschversuch den Ausnahmezustand alle drei Monate verlängert. Damit steht er über dem Parlament und der Justiz. Er regiert mit Dekreten, die nicht vor dem Höchstgericht angefochten werden können. Und er räumte gleich Hürden aus dem Weg: Armee gesäubert, 150.000 "verdächtige" Beamte gefeuert, 4500 Richter und Professoren entlassen, 180 Medien geschlossen, 55.000 Personen in U-Haft gesteckt, die bis zu sieben Jahre dauern kann. Konkrete Beweise für eine angebliche "Unterstützung des Terrorismus" fehlen.

Allerdings unterlief Erdogan eine Fehleischätzung: Bei der Volksabstimmung im April waren nur 51 Prozent für die neue Präsidialverfassung, die ihm so viel unkontrollierbare Macht zuspricht wie unter dem Ausnahmezustand. 49 Prozent der Türken sind also gegen einen unkontrollierbar starken Mann an der Staatsführung.

Erdogans repressive Politik richtete bereits massive Schäden an: Ratingagenturen stuften die Türkei auf "Ramschniveau" herunter, der Tourismus brach um ein Drittel ein. Auch aufgrund des Aufrufs an Auslandstürken zur Denunzierung von Personen, die den Präsidenten "beleidigen", trauen sich nun viele nicht mehr in die Türkei zu reisen, weil bis zu vier Jahre Haft drohen.

Die EU agiert vorsichtig, weil Erdogan den Flüchtlingspakt aufkündigen könnte. Auch strebt Erdogan weiterhin den EU-Beitritt an. Diesen mühsamen Prozess will die EU nicht abbrechen, denn damit ließe sie jene 49 Prozent der Türken fallen, die nicht für Erdogans Verfassungsänderung gestimmt haben.