Zum Hauptinhalt springen

Das Abendland wird aktuell

Von Peter Stiegnitz

Gastkommentare

Das Abendland hat es tatsächlich verdient, verteidigt zu werden. Allerdings nicht mit dem Kreuz in der Hand, das kein Kruzifix, sondern lediglich ein römischer Galgen ist, sondern mit der Wiederentdeckung seiner Tradition, die uns die nötige Stärke (nicht Kampfeslust) für die immer nötiger werdende Konkurrenz (nicht Kampf) der Kulturen vermittelt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Von den fünf Quellen des Abendlands - griechische Philosophie, römische Politik, jüdische Religion, christliche Religionsverbreitung, Aufklärung - haben wir die ersten vier zugeschüttet und uns bloß auf die schwachbrüstige, weil demokratie- und wohlstandsgebundene Aufklärung verlassen.

Die negative Einstellung des Abendlandes dem Islam gegenüber als einziger Bestandteil des eigenen kulturellen Standpunktes ist herzlich wenig und führt konsequenterweise zu einem sinnlosen "Kampf der Kulturen". Angebracht wäre aber eine Konkurrenz, die beide Seiten stärken könnte. Eine innerliche Annäherung beider Kulturen bleibt jedoch ein irrationaler Wunschtraum. Grund dafür sind unüberbrückbare Gegensätze zwischen Islam (samt Euro-Islam) und Judeo-Christentum: Während die heutige abendländische Kultur nur Emanzipation ohne Tradition kennt, akzeptiert der Islam nur Tradition ohne Emanzipation. Und der Islam kennt weder eine politisch-praktikable Aufklärung noch eine erfolgreiche Reformation. Schon allein deshalb wird eine dauerhafte kulturelle Annäherung zwischen Orient und Okzident nicht einmal langfristig möglich sein.

Ergo: Konkurrenz statt Kampf, eingebettet in einen ehrlichen Dialog in Augenhöhe. Der notwendige Dialog zwischen Abend- und Morgenland setzt allerdings gegenseitigen Respekt voraus. Vor diesem rangieren wie in der Liebe Stärkung und Anerkennung der eigenen Person. Ohne Selbstrespekt können wir auch andere nicht respektieren, so wie ohne Selbstliebe wohl niemand liebesfähig ist.

Die Verteufelung des Euro-Islam aus politischen Gründen ist zwar durchsichtig, trotzdem wird es kaum zu echter Integration (="eingebunden in ein Ganzes") kommen. Vergessen wir nicht, dass der Euro-Islam das Ergebnis einer fehlerhaften und kurzsichtigen Migrations(un)politik für die Arbeitsmärkte der Wohlstandsgesellschaften war.

Mindere Schulbildung und Ghettoisierung führen bei Muslimen in Europa zu Frustration, deren Kompensationsfeld religiöse, politische, aber auch aggressive Reaktionen umfasst. Auseinandersetzungen, berechtigte wie neurotische Ängste in der heutigen Migrationssituation bleiben bestehen; sie zu leugnen ist genauso falsch wie diese unnötig hochzupuschen.

Unser aller Ziel sollte die kulturelle Stärkung der eigenen Position (Wiederbelebung traditioneller Quellen des Abendlands) auf der einen und die optimale Anpassung nach außen auf der anderen Seite - jener der Migranten - sein. Dann ist es sicher nicht mehr notwendig, mit dem Kreuz in der Hand auf Wählerjagd zu gehen.

Peter Stiegnitz ist Soziologe; sein Buch "Guten Morgen Abendland - Guten Abend Morgenland" ist in der Edition va bene erschienen.