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Das Adrenalin des Immunsystems

Von Alexandra Grass

Wissen
Die Erregerabwehr verdanken wir Neuronen.
© Fotolia/psdesign1

Forscher entdeckten eine neue Eigenschaft von Nervenzellen - eine immunologische Bombe ist das Ergebnis.


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Lissabon/Wien. Die meisten Nervenzellen (Neuronen) eines Menschen sind in seinem Gehirn und dem Rückenmark platziert und bilden das zentrale Nervensystem. Das ist jener Komplex, der im Körper Regie führt. Ihm entspringt unser Denken, Fühlen und Handeln. Jedoch auch Schleimhäute besitzen solche Neuronen. Ihnen ist es möglich, Infektionen blitzschnell zu erkennen und eine Substanz zu produzieren, die wie ein Adrenalinschub auf die Immunzellen wirkt, beschreiben portugiesische Forscher nun im Fachblatt "Nature" eine neue entdeckte Eigenschaft. Mit diesem Signal werden die Immunzellen scharfgemacht, um Schäden, die durch Infektionen in umliegenden Geweben entstanden sind, wieder zu beheben.

Wissenschafter beginnen erst langsam zu verstehen, wie wichtig diese peripheren Nervenzellen für den Organismus sind - nämlich um eine Immunantwort auszulösen und damit die Gesundheit zu bewahren.

Im Jahr 2016 hatte ein Team um Henrique Veiga-Fernandes vom Institut für Molekulare Medizin in Lissabon eine Studie publiziert, in der die Funktion von Gliazellen im Verdauungstrakt beschrieben worden war. Gliazellen sind quasi die Satelliten der Neuronen, die den Zusammenhalt des Nervengewebes sicherstellen. Und im Darm sind sie besonders zahlreich vorhanden - deshalb werden sie kollektiv auch als das zweite Gehirn bezeichnet.

Immunzellen im Darm

Veiga-Fernandes hatte gezeigt, dass jene Gliazellen im Darm einen bestimmten Typ von Immunzellen stimuliert, die sogenannten Innate lymphoiden Zellen - in diesem Fall die Gruppe ILC3 -, um Substanzen gegen bakterielle Infektionen zu produzieren.

ILC sind eine Familie von Zellen des angeborenen Immunsystems, die morphologisch den Lymphozyten - den Abwehrzellen der Gruppe der weißen Blutkörperchen - ähneln. Sie spielen unter anderem bei Immun- und Entzündungsreaktionen eine bedeutende Rolle. Auch die Reaktion des Immunsystems auf Allergene wird durch Untergruppen der ILC beeinflusst.

In ihrer vorherigen Studie haben die Forscher die Eigenschaften der ILC3 im Darm und ihren Dialog mit den benachbarten Gliazellen beschrieben. In der aktuellen Arbeit widmeten sich den ILC2. Diese produzieren Substanzen, die für die Immunantwort gegen Parasiten wichtig sind. Sie kommen vor allem im Darm, der Lunge und der Haut - den wichtigsten Barrieren des Körpers gegenüber Erregern - vor.

Dialog erforderlich

Diese können allerdings nur im Dialog mit den Nervenzellen aktiv werden. Damit ist es möglich, dass diese Neuronen in ihrer Gesamtheit die Immunantwort des gesamten Organismus "koordinieren, kommandieren und kontrollieren", beschreiben die Forscher. Zudem handelt es sich dabei der Studie zufolge um die stärkste Immunreaktion, die jemals erkannt wurde.

Möglicherweise könnte dieser Impuls auch einmal in der Therapie Anwendung finden. Aber derzeit "sind wir noch weit weg davon, wie die diese neuroimmunologische Bombe tatsächlich sicher anwenden können", betont Veiga-Fernandes.