Für Mexikos Regierung unter Vicente Fox wird der Umgang mit dem Mord an der Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa (die "Wiener Zeitung" berichtete) zum Testfall in Sachen Integrität.
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Der Anschlag am 19. Oktober war der erste politische Mord seit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten im Dezember letzten Jahres. Damals hatte Fox versprochen, gegen Straflosigkeit und Korruption vorzugehen, die während der 71-jährigen Regierungszeit der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) ins Kraut geschossen waren. Doch besteht, was die Umsetzung der Vorsätze angeht, nach wie vor Handlungsbedarf.
An Glaubwürdigkeit hat Fox verloren, weil er seine Zusage zurücknahm, eine Wahrheitskommission einzurichten. Diese hätte sich mit Folter, Mord und den Verschwundenen der 1970er und 1980er Jahre befassen sollen; diese Fälle sollen nur von den regulären Stellen des Rechtssystems untersucht werden. Doch auch, dass er sich drei Tage Zeit nahm, um sein Bedauern über Ochoas Tod zum Ausdruck zu bringen, hat bei Menschenrechtlern Misstrauen hervorgerufen.
Zynische Militärjustiz
Das Verbrechen an der 37-jährigen Mitarbeiterin des Menschenrechtszentrums "Miguel Agustin Pro Juarez" (ORODH) hat ihrer Meinung nach gezeigt, dass es in Mexiko mit der Straflosigkeit noch längst nicht zu Ende ist. Mitschuld trägt u. a. der Generalstaatsanwalt Rafael Macedo de la Concha, der unter dem Fox-Vorgänger Ernest Zedillo das Amt des Chefanklägers der Militärjustiz bekleidet hatte. Laut PRODH hätte er niemals oberster Staatsanwalt werden dürfen, weil er Fälle von Folter und Beweisfälschung gegen Unschuldige gedeckt haben soll und Gefahren für Menschenrechtler in Mexiko verharmloste. So entschied er, dass die unzähligen Morddrohungen, die Aktivisten aus den Reihen von PRODH seit 1995 erhielten, keinen Grund zum Handeln geben.
Ochoa hatte vor ihrer Ermordung eine ganze Serie von Morddrohungen erhalten und ihr Testament gemacht. Sie selbst dürfte die Bedrohung also sehr ernst genommen haben, zumal sie von noch immer Unbekannten wegen angeblicher Verbindungen zum Untergrund entführt und gefoltert worden war.
"Ochoas Ermordung belegt, dass die Gesetze der Straffreiheit in Mexiko noch immer gelten und Menschenrechtler bis heute einer enormen Gefahr ausgesetzt sind", sagte Edgar Cortes, Direktor des Zentrums Agustin Pro Juarez. Er geht davon aus, dass militärische Kreise, die sich von Ochoas Arbeit bedroht fühlten, für den Mord verantwortlich sind. Die Anwältin hat u. a. die beiden Bauern Teodoro Cabrera und Roberto Montiel vertreten, die bis zu ihrer Verhaftung 1999 einen erbitterten Kampf gegen die Abholzung der Wälder im Bundesstaat Guerrero führten. Vor Gericht sagten sie aus, das Militär habe ihre Geständnisse mit Folter erzwungen. IPS