Zum Hauptinhalt springen

Das alte Lied im neuen Kleid

Von Simon Rosner

Analysen

Die Föderalismusreform hat noch gar nicht begonnen, da bricht schon der Bund-Länder-Konflikt durch.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Die Veränderung hat begonnen." So steht es in türkisen Lettern auf Plakaten, die zur Gleichenfeier der neuen Bundesregierung nach 100 Tagen im Amt in ganz Österreich affichiert wurden. Doch jetzt, wo der Rohbau steht, Zeitpläne erstellt wurden und Ministerinnen und Minister eingearbeitet sind, stellt sich die Frage mehr denn je, wie es mit dem Fundament des Reformhauses aussieht. Bundeskanzler Sebastian Kurz wollte die "Kompetenzverteilung in Österreich von Grund auf neu denken", wie seinem Wahlprogramm zu entnehmen war. Es geht um die Reduktion von Doppelgleisigkeiten, eine bessere Transparenz bei Förderungen, eine Verwaltungsreform und mehr Klarheit bei staatlichen Aufgaben.

Diese Forderungen sind natürlich nicht neu und niemand bei Verstand würde sich ostenativ für das Gegenteil einsetzen. Was bisher aber fehlte, war die politische Kraft, solche Reformen auch umzusetzen, ja, sie wenigstens einmal zu beginnen.

Diesmal schienen die Rahmenbedingungen aber günstig wie nie zuvor: keine rot-schwarze Regierung, ein parteiintern mit großer Machtfülle ausgestatteter ÖVP-Obmann als Kanzler, der Abschied von drei sehr gewichtigen Landeshauptleuten (Josef Pühringer, Erwin Pröll, Michael Häupl) sowie zwei Optionen für die Regierung im Parlament, um eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen.

Diesen Luxus hatte Wolfgang Schüssel als Kanzler nicht, für ihn war die SPÖ damals der einzige Zwei-Drittel-Mehrheitsbeschaffer. Nun gibt es die Neos, die der Regierung ebenfalls eine Verfassungsmehrheit bieten könnten, und die Pinken sind ihrerseits sehr an einer Föderalismusreform interessiert. Es ist denkbar, dass der Versuch einer großen Verfassungsreform unter Schwarz-Blau I ("Österreich-Konvent") nicht versandet wäre, hätten die Regierungsparteien damals eine zweite Option für diese Reform gehabt.

Gerüchte um Moser

Diese Woche war jedoch nicht dafür geeignet, den Glauben darin zu stärken, dass unter Türkis-Blau echte strukturelle Veränderungen gelingen können, wie es verheißungsvoll auf dem Werbeplakat heißt. Im Gegenteil: Während Kurz gemeinsam mit anderen Ministern in China weilte, sind zwischen den Ländern und demBund in einigen Themenfeldern Konflikte entbrannt.

Dazu kam, dass ausgerechnet über jenen Minister, der für die strukturellen Reformen zuständig ist, Rücktrittsgerüchte lanciert wurden. Josef Moser, einst Rechnungshofpräsident, wurde von Kurz speziell für seine Reformagenda geholt und zum Deregulierungs- und Reformenminister ernannt, wie es in der Beschreibung seines Ressorts explizit heißt.

Die Spekulationen um Moser wurden umgehend dementiert, gut möglich, dass sie auch jeder Grundlage entbehrten. Klar ist aber: Moser ist als Symbol für Veränderung geholt worden, daher wäre ein Rücktritt ebenso ein Zeichen und daher für Türkis-Blau ein echtes Problem gewesen. Nicht undenkbar daher, dass hinter den Gerüchten auch einfach nur ein ministerielles Armdrücken steckt (Stichwort: Budget). Das soll in den besten Familien vorkommen.

Eine tragende Rolle in Sachen Föderalismusreform spielt Moser bisher aber nicht. Zudem sind die diversen Vorhaben und auch bereits umgesetzten Beschlüsse der Regierung in keine Strukturreformagenda eingebettet gewesen. Und so passiert eben dann, was in dieser Woche passiert ist: Die Länder formieren sich und artikulieren eine Beschwerde, dass sie es seien (gemeinsam mit den Gemeinden), die für die Entscheidungen in Wien zahlen müssten.

So sei es bei der Abschaffung des Pflegeregresses, dem Familienbonus, dem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr und vielleicht auch bei der Reform der AUVA. Denn hier könnten die Unfallspitäler in die Obhut der Länder übersiedeln. Beim Plan der Deutschklassen formierte sich ebenfalls Widerstand in den Ländern, und wer für Deutschkurse für Flüchtlinge zahlen soll, wenn das AMS dafür deutlich weniger Mittel erhält als bisher, wird auch zu klären sein.

Neue Stärke der Landeschefs

Gänzlich von der Hand zu weisen ist die Kritik der Länder nicht, doch vorerst antwortet diesen niemand - weder Finanzminister Hartwig Löger, noch Moser, noch Sebastian Kurz. Doch irgendwann werden diese Themen auch beim Kanzler aufschlagen.

Was sich auch anders entwickelt hat als ursprünglich erwartet, ist die neue Stärke der Länder. In den drei Landtagswahlen bisher (NÖ, Tirol, Kärnten) wurden die Landeshauptleute gestärkt, kommende Woche in Salzburg ist Selbiges zu erwarten. Was also wollen die Wählerinnen und Wähler? Wollen sie nun Veränderung oder doch Stabilität?

Eine Kritik der Länder bezieht sich auf die mangelnde Kommunikation mit dem Bund. Zwar kann sich Kurz nach wie vor auf ein gutes, zum Teil auch freundschaftliches Verhältnis zu den ÖVP-Landeschefs verlassen. Aber es gibt auch andere Ministerien. Und offenbar fehlt es hier noch an Koordinierung. Neue Vorstöße, wie jüngst bei der AUVA, bleiben Schlagzeilen und schaffen mehr Unsicherheit als Klarheit, wohin die Reformreise geht.

Auch die Kommunikation mit der Opposition hat sich im Vergleich zu früheren Regierungen nicht verbessert. Will Türkis-Blau wirklich eine Verfassungsreform angehen, muss es bald ein Projekt geben, in das SPÖ und Neos eingebunden werden, die man für allfällige Zwei-Drittel-Mehrheiten benötigt. Der "Österreich-Konvent" hatte immerhin drei Jahre gedauert.