)
Zyprioten bekommen frische Euro-Scheine aus Deutschland geliefert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nikosia. Um 11.50 Uhr steht Angeliki Foustana bereits eine Viertelstunde in der Warteschlange. Erst in acht Minuten wird die Filiale der Bank of Cyprus in Nikosias Stadtteil Aghia Paraskewi an diesem Donnerstag ihre Pforten öffnen. Überpünktlich - nach 12 Tagen Leben ohne Banken.
"Was sind da schon ein paar Minuten", sagt Angeliki Foustana. Die 24-Jährige, die bald ihr Wirtschaftsstudium an der Universität Nikosia beendet haben wird, sagt das mit einem kurzen Lächeln. Rasch wird klar: Der befürchtete Banken-Run auf Zyperns Banken bleibt aus.
Das liegt nicht zuletzt an den beschlossenen Kapitalverkehrskontrollen. Sie sollen in Zypern für sieben Tage gelten. In der Geschichte der EU, und der Eurozone sowieso, ist das ein einmaliger Vorgang. "Es liegt an uns allen, ob wir die Kapitalkontrollen nach Ablauf dieser Zeit aufheben können. Die ersten Anzeichen lassen mich guter Hoffnung sein", sagt am Nachmittag eine hörbar erleichterte Notenbank-Sprecherin im Staatssender RIK.
Lufthansa beförderte Euros
Vor Wiedereröffnung der Banken am Donnerstag waren in der Nacht unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen Lastwagen mit großen Bargeldbeständen auf den Hof der Zentralbank in Nikosia gerollt. Die Euro-Noten stammten aus Beständen der Europäischen Zentralbank (EZB), die in Mainz gelagert wurden. Wie das "Handelsblatt" berichtete, wurden die rund fünf Milliarden Euro mit einer Maschine der Lufthansa von Frankfurt nach Zypern geflogen.
Der EZB zufolge wurden eigens frische Scheine in einer Größenordnung von rund fünf Milliarden Euro aus Deutschland auf die Insel gebracht. Vor den schwer bewachten Filialen kam es nicht zu dem befürchteten Hauen und Stechen, aber zu Enttäuschungen.
"Ich wollte eigentlich mehr Geld abheben. Aber das geht leider nicht. Sie geben mir nur 300 Euro", sagt Angeliki Foustana nach ein paar Minuten. Ihr Bruder Nikos studiere im teuren London - so wie tausende Zyprioten. Immerhin: Die Familie kann Nikos 5000 Euro pro Quartal schicken - das erlaubt Zyperns Notenbank in diesen Fällen.
Komplizierte Regelungen
Anderes gilt bei Festgeldkonten, von denen man maximal zehn Prozent des Guthabens abziehen darf - jeweils am Auszahlungstag. Kreditkartenzahlungen sind auf 5000 Euro pro Monat beschränkt. Bei Überweisungen ins Ausland für geschäftliche Zwecke sind 5000 Euro pro Tag ohne Beschränkungen drin.
Auf Auslandsreisen dürfen Zyprer nur 1000 Euro mitnehmen. Zu groß ist die Furcht, dass das Land im östlichen Mittelmeer durch Kapitalflucht finanziell austrocknen könnte. Nach Polizeiangaben mussten sich Passagiere an Flughäfen auf schärfere Kontrollen einstellen. Laut Notenbank in Nikosia haben Anleger aus anderen Euro-Ländern im Februar schon 18 Prozent ihrer Bestände aus Zypern abgezogen. Auch in den vergangenen Tagen soll es größere Abflüsse gegeben haben. Details sind aber noch nicht bekannt.
Schon am frühen Nachmittag, lange vor dem Ende der Öffnungszeiten der Banken um 18 Uhr Ortszeit, bedankt sich Zyperns Staatspräsident Nikos Anastasiadis bei den disziplinierten Bürgern. "Für die Reife und den hohen Geist der Verantwortung für das Land und die Stabilität des Bankensystems", wie er sagt. Doch auch Anastasiadis weiß: Dem kleinen Euro-Land stehen harte Zeiten bevor. Der Schatten der Krise hatte sich zwar schon längst über den Inselstaat gelegt. Die jüngsten Beschlüsse der Eurogruppe haben den Eindruck der Krise aber enorm befeuert.
Im ganzen Land herrscht Tristesse. Leere Einkaufsstraßen, verwaiste Tankstellen, geschlossene Industriebetriebe, ausbleibende Gehaltszahlungen für die Beschäftigten. "Es herrscht in den Städten so wenig Betrieb wie sonst nur an Maria Himmelfahrt", sagt Dinos Galatakis, Inhaber eines Lebensmittel-Markts. Die Touristenhochburg Aghia Napa gleiche "einer bombardierten Landschaft" ohne Auto- und Geschäftsverkehr, klagen Ansässige. Auch in den Dörfern herrscht blanke Verzweiflung. "Wir drehen jeden Cent zweimal um. Wir kaufen nur das Nötigste ein: Brot, Milch, Tomaten und Gurken", sagt Andreas Theofanou, ein 56-jähriger Bauer aus einem Dorf bei Larnaka.
Ob Stadt oder Land, in Zypern gilt derzeit überall: Die Zyprioten machen abends sogar früh die Lichter aus - um Geld zu sparen. Das habe es nicht einmal nach der Invasion der Türken im Jahre 1974 in den Norden der Insel gegeben, sagen Einheimische. Die zypriotischen Medien haben für das neue Euro-Sorgenkind schon einen neuen Namen kreiert: "das Argentinien des Mittelmeers".