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Das Attentat stärkt die Idee der Freiheit

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken ist freier Journalist, Publizist und Schriftsteller. Er hat Philosophie und Romanistik studiert und in Barcelona und Paris gelebt.

Statt Wasserstandsmeldungen braucht es endlich ein neues Demokratieverständnis.


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Die Schüsse auf die Mitarbeiter von "Charlie Hebdo" waren Schüsse ins Herz der Freiheit. Dennoch ist die Gräueltat von Paris für die Hardcore-Islamisten ein Eigentor. Mit dem Tod, den sie brachten, haben sie auf die Freiheit als höchstes Ideal hingewiesen, sie haben der Vernunft den Rücken gestärkt. Das zeigte auch der beeindruckende Trauermarsch in Paris, an dem sich mehr als 40 europäische Staatschefs und hunderttausende Franzosen beteiligten.

Die Absicht der Terroristen ist es, die Religionen gegeneinander hochzuschaukeln, um daraus ihren vergifteten Honig saugen zu können.

Um zu verhindern, dass diese Strategie aufgeht, darf Europa nicht zum Verschiebebahnhof für Flüchtlinge und Zuwanderer verkommen, sondern muss eine nachvollziehbare Integrationspolitik praktizieren.

Die Pegida-Bewegung in Deutschland hat starken Zulauf. Eine vermeintliche Islamisierung Europas wird von ihr zum Schüttelfrostpanorama hochstilisiert. Der massive Gegenprotest fordert ein weltoffenes Deutschland. Wissenschafter warnen vor einer Zweiteilung der Gesellschaft und fordern, eine Kommission solle ein neues deutsches Leitbild erstellen. Ein Akt der Hilflosigkeit. Es ist vielmehr an der Zeit, ein neues deutsches Demokratieverständnis zu diskutieren. Die Vielfalt der Ansichten und der öffentliche Diskurs sind die Stabilitätssäulen einer offenen, freien Gesellschaft; politisches Taktieren um der Wählerstimmen willen läutet der Freiheit das Totenglöcken.

Derzeit werden Wasserstandsmeldungen verbreitet: Wer demonstriert, wann, wo und in welcher Anzahl für oder gegen Pegida.

Das ist keine Form der Auseinandersetzung, sondern kontraproduktiv. Es hilft auch nicht, wenn Beleuchtungen an öffentlichen Gebäuden in Köln, Berlin und Dresden ausgeschaltet werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt vor der Pegida-Bewegung, sie instrumentalisiert die Angst, indem sie mit den Extremen spielt.

Es gibt auch Demokraten, die mit den Füßen eine Politik abstrafen, die mehr Fragen als Antworten erzeugt. Die konservativen Parteien sehen ihre Gefolgschaft vermehrt von hinten. Sie wendet sich ab und läuft Gefahr, sich zu "radikalisieren". Nur der öffentliche Diskurs kann die Verängstigten von den Demagogen fernhalten.

Leitkultur, wie sie jetzt in sehr deutscher Denkungsart gefordert wird, und Weltoffenheit passen nicht zusammen. Leitkultur ist Bevormundung in anderer Form und zerstört die Statik der Demokratie. Deutschland ist ein beliebtes Einwanderungsland, auf der politischen Bühne wird dieser Fakt aus wahltaktischen Gründen wie eine tickende Bombe weitergereicht, niemand möchte, dass sie in seiner Hand explodiert. Merkels Regierung regiert in der Furche und wartet ab, woher der Wind weht, um sich die Meinungsführerschaft zu sichern. Das ist Panoptikumpolitik. Oktroyiertes Denken ist Meinungsfaschismus und das Ende einer jeden offenen Gesellschaft. Integrationsratschläge lassen sich nun einmal nicht in der Dose kaufen. Streitkultur verlangt den Mut zu Offenheit, Toleranz und die Fähigkeit zum Kompromiss - auf allen Seiten. Ansonsten werden wir uns an das Grauen, das Paris erschütterte, gewöhnen müssen.