Mit dem Antiteuerungspaket will die Regierung ab 2023 auch die kalte Progression abschaffen.
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Mit einem 28 Milliarden großen Paket will die türkis-grüne Regierung dem "hartnäckigen Gegner der Politik", dem "größten Feind bei Entlastungsmaßnahmen" (O-Ton Bundeskanzler Karl Nehammer) bis 2026 begegnen. Es ist die Teuerung, der die Regierung zumindest Grenzen setzen will. Zuletzt im Mai lag sie bei 8 Prozent, Finanzminister Magnus Brunner geht davon aus, dass sie von Juli 2021 bis zu diesem Juni bei 5,3 Prozent liegen dürfte.
Neben sofort wirksamen Maßnahmen für die Bevölkerung im Ausmaß von fünf Milliarden Euro, wo erstes Geld, wie etwa eine 13. Familienbeihilfe von 180 Euro, bereits im August fließen soll, und einer Milliarde Euro für Unternehmen soll es auch längerfristige, strukturelle Veränderungen geben. Die kalte Progression wird abgeschafft, die Sozialleistungen werden künftig jährlich wertangepasst, also um die Inflation erhöht, außerdem werden die Lohnnebenkosten gesenkt. Letzteres soll laut Finanzministerium bis 2026 zwei Milliarden Euro kosten. Mit vier Milliarden Euro kostet die Valorisierung der Sozialleistungen bis zum selben Jahr etwas mehr.
Den größten Posten macht bis 2026 allerdings Nehammers "historischer Schritt, den sich Regierungen bereits seit 30 Jahren immer wieder vorgenommen haben" aus: die "Entlastung von dieser schleichenden Steuererhöhung", also die Abschaffung der kalten Progression. Von 2023 bis 2026 veranschlagt Finanzminister Brunner dafür "je nach tatsächlicher Inflation" 15 bis 20 Milliarden Euro. "Das Volumen dieser Reform ist tatsächlich riesig", stellt der Kanzler fest. Es ist eine Maßnahme, mit der sich laut Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) "Steuerreformen künftig erübrigen werden, weil sie schon durch das Zurückgeben der kalten Progression entlastet werden". Laut den Berechnungen des Ökonomen Peter Brandner von der Initiative "Wei[s]se Wirtschaft", der sich seit Jahren mit der kalten Progression auseinandersetzt, könnte die Regierung die gleiche Entlastung allerdings auch günstiger bekommen.
Kalte Progression bedeutet eine ansteigende Steuerquote
Was aber ist mit der kalten Progression überhaupt gemeint? Bei einem progressiv gestaffelten Lohn- und Einkommenssteuersystem wie dem österreichischen steigt die Steuerquote mit der Höhe des Einkommens. So sind in Österreich die ersten 11.000 Euro gar nicht besteuert, für jeden weiteren Euro bis zu 18.000 Euro müssen 20 Prozent Lohn- und Einkommenssteuer an den Staat abgeführt werden. Für den 18.001. bis zum 31.000. eingenommenen Euro sind bereits 32,5 Prozent Steuer fällig, bei bis zu einer Million Euro zu versteuerndem Einkommen folgen Tarifstufen mit Steuersätzen von 42, 48 und 50 Prozent. Für jeden Euro über einer Million Euro ist der Spitzensteuersatz von 55 Prozent zu bezahlen.
Mit jeder Lohn- und Gehaltserhöhung oder einem höheren zu versteuernden Einkommen bei Selbständigen steigt die durchschnittliche Steuerbelastung. Warum? Weil für einen immer höheren Anteil des Einkommens höhere Steuersätze zu bezahlen sind, der durchschnittliche Steuersatz steigt also. So kommt es, dass die Teuerung mit einer Einkommenssteigerung in Höhe der Inflation genau abgegolten wäre. Das hieße, dass das, was man sich mit dem Lohn, Gehalt oder Einkommen kaufen kann, damit gleichgeblieben wäre. Aber: Wegen der höheren Besteuerung der Gehaltserhöhung, gibt es einen Kaufkraftverlust.
Zwei Drittel werden künftig automatisch zurückgegeben
Was hat die Regierung nun konkret vor? Konkret sollen die Stufen, ab denen jeweils ein höherer Steuersatz zu bezahlen ist, also 11.000 Euro zu versteuerndes Einkommen, dann 18.000 Euro pro Jahr, 31.000, 60.000 und 90.000 Euro, jährlich angepasst werden. Ausgenommen ist nur die höchste Steuerstufe, der Spitzensteuersatz von 55 Prozent, den Personen mit über einer Million Euro zu versteuerndem Einkommen jährlich ab dieser Höhe für jeden weiteren Euro zu bezahlen haben.
Die Inflation wird gemäß eines Teuerungsberichts, den die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS auf der Grundlage der Inflationsraten von Juli bis Juni des Jahres davor erstellen, berechnet. Von Juli 2021 bis Juni 2022 dürften es rund 5,3 Prozent sein, das wird wohl die Grundlage für die Entlastung der kalten Progression im ersten Jahr 2023 werden. Im Jahr darauf mit den heurigen hohen Inflationsraten geht das Finanzministerium auf Grundlage der Wifo-Prognosen von einem Wert von 7,6 Prozent aus. Dann soll die Inflation wieder sinken - bis auf 2,3 Prozent 2026. Da diese selbst für das kommende Jahr noch unsicher sind, ergibt sich bei den Gesamtkosten ein Spielraum von 15 bis 20 Milliarden Euro.
Finanzminister Brunner ist es wichtig zu betonen, dass die kalte Progression zu "100 Prozent abgeschafft wird". Zwei Drittel der so errechneten Volumen der kalten Progression werden den Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen über eine Erhöhung der Tarifstufen sowie der Absetzbeträge automatisch zurückgegeben. Auch die Negativsteuern für jene, die wegen ihres geringen Einkommens keine Lohnsteuer bezahlen, werden dementsprechend erhöht.
Über das restliche Drittel entscheidet der Nationalrat, es wird laut Brunner aber ebenfalls gesetzlich garantiert. Ob das Drittel aber beispielsweise in höhere Freibeträge, einen niedrigeren Tarif oder eine zusätzliche Erhöhung einer Tarifstufe fließt, entscheide der Nationalrat. Damit begegne man laut Kogler auch kritischen Stimmen, die den Spielraum zu einer Umverteilung mit dem Abschaffen der kalten Progression vermissen. Niedrigere Einkommen könne man somit auch künftig mehr entlasten, so es die politisch Verantwortlichen wollen.
Brandners "echte" Entlastung von der kalten Progression
Die 15 bis 20 Milliarden Euro klingen für den Ökonomen Brandner jedenfalls "absurd hoch". "Wobei man natürlich wissen müsste, welches Jahr als Grundjahr herangezogen wird." Wäre es 2020, käme Brandner bis 2026 kumuliert auf 8,4 Milliarden Euro kalte Progression. Anhand der Wifo-Prognosen vom April berechnet er nun von 2022 bis 2026 eine kalte Progression von insgesamt 3,85 Milliarden Euro.
Brandner berücksichtigt in seinem Modell dabei nur das Lohnsteueraufkommen, dass die Steuerpflichtigen nach Lohn- und Gehaltserhöhungen tatsächlich über die kalte Progression zuviel bezahlt haben. "Nur das hat der Finanzminister auch eingenommen", sagt er. Die hohen Werte des Ministeriums, aber auch von Instituten wie der Agenda Austria oder Momentum kämen dadurch zustande, dass Menschen mit gleichem oder weniger Einkommen wie all jene, die in Pension gehen, Arbeitslose oder Karenzierte nicht herausgerechnet werden. "Die kalte Progression wird so also überkompensiert", kritisiert der Ökonom.
Finanzielle Auswirkungendes Gesamtpakets
Für die Steuerpflichtigen ist die Frage insofern relevant, weil sie das Volumen des Pakets finanzieren müssen. Brunner geht davon aus, dass sich die Hälfte der Kosten durch Mehreinnahmen etwa bei der Umsatzsteuer durch die Inflation und ein Drittel über einen erhöhten Konsum finanziert werde - offen blieben vier Milliarden Euro. "Das ist nicht schlecht für die Politik, weil wir dadurch einen gewissen Reformdruck haben", sagt Finanzminister Brunner.
Und der Budgetpfad? Heuer erhöhen sich die Staatsschulden von 80 auf 81 Prozent des BIP, 2026 geht das Finanzministerium von 76 Prozent Schuldenquote aus. Das Budgetdefizit soll heuer vier statt 3,1 Prozent ausmachen. Und 2026 dann wieder bei circa einem Prozent statt der ursprünglich prognostizierten Null liegen.