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"Das Bild der heilen Familie ist veraltet"

Von Bernd Vasari

Politik
Als Haus- und Hofarchitekt sieht sich Albert Wimmer nicht.
© Luiza Puiu

Architekt Albert Wimmer erklärt im Interview, warum er sich nicht als neuen Otto Wagner wahrnimmt.


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Alpbach. Wer sich die Liste seiner Projekte ansieht, könnte meinen, Albert Wimmer ist der Haus- und Hofarchitekt der Stadt Wien. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" spricht der 67-Jährige über Investoren, plötzliche Kostenexplosionen und die Rolle des Architekten in einer kontinuierlich wachsenden Stadt.

"Wiener Zeitung": Herr Wimmer, das Kraftwerk Freudenau, zahlreiche Wohnbauprojekte wie Monte Laa, das Krankenhaus Nord, der Hauptbahnhof, der Bahnhof Praterstern, der Masterplan Passivhaussiedlung Eurogate - es gibt kaum ein Projekt in der Stadt, das Sie nicht geplant haben. Wie kommt das?Albert Wimmer: Der Ursprung liegt in der langsamen Entwicklung, die ich gemacht habe. Eines der Geheimnisse war, dass ich auch versucht habe, viele Themen zu formulieren. Es war für mich klar, als Freizeit, Sport ein Thema war, dass ich mich damit intensiv als eine Linie des Büros beschäftige. Daraus sind zum Beispiel meine drei EM-Stadien in Österreich entstanden. Dass man in Wien über Wohnbau nachdenkt, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist wichtig zu erkennen, welche Themen die Gesellschaft vorgibt. Dass ich 20 Jahre gearbeitet habe, ohne auf Präsenz, so wie ich sie heute genieße, zu schauen, ist auch ein Teil der Geschichte.

Sind Sie damit einverstanden, wenn man Sie in einem Atemzug mit Otto Wagner nennt?

Nein, sicher nicht. Das soll in keinster Weise als Understatement klingen. Allein deswegen, weil ich in meiner Studienzeit das Glück hatte, Leitbilder zu haben, die aber nie Leitbilder in Fragen der Architektur waren, sondern in Fragen ihrer Menschlichkeit. Und dazu weiß ich einfach über die Menschlichkeit Otto Wagners zu wenig.

Kritiker bezeichnen Sie als Haus- und Hofarchitekten der Stadt. Was sagen Sie dazu?

Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich hätte es mir sehr leicht machen können, kontinuierlich und nur für die zu arbeiten. Und jetzt werden Sie sehen, dass alles über Wettbewerbe gegangen ist.

Also Sie schütteln nicht mehr Hände, als Sie Pläne zeichnen?

Viele Jahre bin ich im Büro gesessen und habe gehackelt, während die anderen auf Empfängen oder Ausstellungseröffnungen waren. Natürlich sitze ich nach wie vor auch an den Wochenenden im Atelier, bin aber gleichzeitig mehr präsent. So wie ich auch gegenwärtig zum Forum Alpbach gefahren bin. Ich tue das aus Neugierde, weil ich glaube, etwas lernen zu können. Ich mache aber nur dort Beiträge, wo ich glaube, dass ich etwas beitragen kann.

Stimmen Sie dem zu, dass Architekten heutzutage vor allem funktionieren müssen und der Investor bestimmt, wie das Objekt letztendlich aussieht?

Nein. Da tue ich mir aber auch ein wenig leichter, weil ich nicht am Anfang meiner Karriere bin.

Dass sich der Investor durchgesetzt hat, dieses Gefühl könnte man bei einem Ihrer großen Projekte, der Passivhaussiedlung Eurogate, bekommen. Der Bauteil 6, der von Ihnen geplant wurde, überragt mit jährlichen 41 Kilowattstunden pro Quadratmeter (kWh/m2) den maximalen Passivhausstandard von 15 (kWh/m2) um fast das Dreifache. Der Wert ist gegenüber dem Vorjahr sogar gestiegen. Wie kann das passieren?

Grundsätzlich haben wir dort mit einer sehr renommierten Haustechnik-Gruppe gearbeitet, die für das Funktionieren des Passivhauses voll zuständig ist und auch nachevaluiert hat, als das Objekt fertig war. Das, was Sie sagen, überrascht mich und ist sofort zu überprüfen.

Kritik wird auch immer wieder bei einem anderen Bauwerk von Ihnen geübt. Statt der ursprünglichen 420 Millionen Euro sollen die Kosten für den Bau des Hauptbahnhofes mittlerweile über einer Milliarde Euro liegen. Wie lässt sich das erklären?

Eines meiner Markenzeichen ist, dass ich im Zeit- und Kostenplan arbeite. Das ist einer der schwierigsten Facetten, weil der Architekt von vielen anderen Personen abhängt. Der Hauptbahnhof war am Anfang ein Gleisprojekt auf einem geschütteten Damm. Kosten: 420 Millionen Euro. Wir wollten im innerstädtischen Bereich aber keine Barriere aufbauen, sondern stattdessen abbauen. Nun haben wir ein Gebäude und Brückentragwerk errichtet, das ein Parkgeschoß hat, dann ein Untergeschoß mit Nahversorgung und zwei weitere Geschoße. Aus einem Damm ist also ein Bauwerk geworden. Das kostet auch mehr.

Hat die ÖBB also schlecht kommuniziert?

Nein, die ÖBB arbeitet vorzüglich. Das sind politische Argumente, dass man sagt, 420 Millionen Euro hat es ursprünglich gekostet, jetzt kostet es eine Milliarde. Da ersuche ich um Korrektheit und Objektivität. Die Entscheidung, aus einem Dammprojekt ein Brückenprojekt und darin eine Station zu machen, halte ich für richtig. Das verbindet Stadtteile. Außerdem spült die Station auch Geld zurück. Das sind ja Flächen, die vermietet werden.

Kritisiert wurde beim Hauptbahnhof auch die Vergabe. Ausgeschrieben wurde lediglich ein städtebaulicher Bewerb, der in einen Masterplan für die Bebauung des umgebenden Eisenbahn-Areals mündete, wo Sie und das Duo Hotz und Hoffmann den Zuschlag bekamen. Für die Gestaltung des Bahnhofwettbewerbs soll es hingegen keinen Architektenbewerb gegeben haben.

Das ist nicht richtig. Da gab es auch eine internationale Ausschreibung, die das Wiener Team gewonnen hat. Dabei ging es um die Gesamtreorganisation des Bereiches vom Bahnhof Meidling bis zur Absberggasse. Da bin ich als Planer für die Architektur drinnen. Leider ist dies in der Öffentlichkeit nicht hinreichend bekannt. Ich weiß aber nicht, warum dies untergegangen ist.

Wien wächst um 25.000 Menschen pro Jahr. Welche Herausforderungen gibt es in den Planungen für die Architekten?

Es soll weiterhin generelle Planungen geben. Ein Plan muss aber den permanenten Veränderungen unserer Zeit gerecht werden. Denn wir haben vollkommen geänderte Lebensverhältnisse. Karrieren gehen rauf und runter, Jobs werden öfter gewechselt. Das Bild der heilen Familie ist veraltet. In Wirklichkeit gibt es etwa 50 Prozent Singlehaushalte. Interdisziplinarität und Teamarbeit ist also wichtiger denn je, um mit diesen Herausforderungen zurecht zu kommen.

Was meinen Sie damit konkret?

Man kann aus anderen Disziplinen, wie etwa von Literaten, als Architekt sehr viel lernen. Die schauen ganz genau hin, was in der Gesellschaft passiert. Diese genaue Betrachtungsweise lernt man derzeit mehr in Filmen, in Kunst und Kultur, als bei uns Architekten.