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Das Binnen-I steht seinen Mann

Von Clemens Neuhold

Politik
Politisch korrekt und leserlich, geht das überhaupt? Der Streit um die richtige Schreibweise ist so alt wie das Binnen-I.
© WZ/Collage

Neue Norm gegen Binnen-I wird Sturm der Entrüstung nicht überleben.


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Wien. Wir Journalisten wollen es ja schon immer gewusst haben. Das Binnen-I behindert den Lesefluss, deswegen lesen Sie hier in der Regel von Steuerzahlern, Kunden und Bürgern und nicht von KundInnen oder Patient_innen.

Dieser Sichtweise teilt auch das "Komitee zur Regelung des Schriftverkehrs". Deswegen hat das Austrian Standards Institut wie berichtet eine ÖNorm zur geschlechtergerechten Sprache empfohlen, die vom Binnen-I und seinen Verwandten abrät. Nun richtet sich ÖNormen aber nicht in erster Linie an die Journaille, sondern an Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft. Es geht um die Erstellung von öffentlichen Infobroschüren und Regeln für wissenschaftliche Arbeiten an öffentlichen Universitäten und nicht um Zeitungen. Deswegen bekommt die Frage des Binnen-I eine politische Dimension - und deswegen wird die Norm nicht kommen.

Der Rückzieher

"Das ist nicht so klar normierbar wie ein Meter sind 100 Zentimeter. Es kann sein, dass die Frage zu politisch ist für eine Normierung", sagt der Pressesprecher des Normungsinstitutes am Tag nach Bekanntwerden des Vorschlages leicht zerknirscht. Heißt im Klartext: Die Norm, die bis Ende März in Begutachtung ist, kommt so nicht. Zu heftig ist die Gegenwehr von Gewerkschaft, Hochschülerschaft oder SPÖ.

Doch sind wir wirklich noch nicht so weit, dass wir beim Wort "Arzt" auch an eine Ärztin denken oder beim "Bürger" an eine Bürgerin? Und fühlen sich Frauen nicht automatisch angesprochen, wenn sie "Kunde" oder "Wähler" hören? Auf diese Frage (im Büro und auf Facebook nicht repräsentativ in die Runde geworfen) sagt die Mehrheit der Frauen, sie fühlten sich sehr wohl angesprochen.

"Verpflichtende Väterkarenz, Ganztagsschulen und Gehältertransparenz statt Binnen-I", schreibt die Journalistin Marina Delcheva auf Facebook.

"Ändern wir die Welt und die Sprache, trägt das mit oder ist es notwendig, dass wir Frauen in der Zwischenzeit über die Sprache sichtbar machen", formuliert die Sprachwissenschafterin Karin Wetschanow die Kernfrage, die dahintersteckt. Im Zuge des Gleichbehandlungsgesetzes hat sie die "Leitlinien für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch" mitentworfen und bleibt Verfechterin des "Binnen-I". Die psychokognitive Forschung sei sich einig, dass Frauen bei der männlichen Form nach wie vor gedanklich nur in geringem Ausmaß mitgedacht würden.

Und Ihr Lieblingspolitiker?

"Seit den 1950er Jahren hat sich viel geändert. Wann ist die Entwicklung abgeschlossen?" Ihrem Gefühl nach sei das noch nicht der Fall. "An wen denken Sie beim Politiker oder Sportler des Jahres?", fragt sie. Für Österreich ein guter Einwand. Aber, Gegeneinwand: In Deutschland hat sich die Welt schon so weit geändert, dass die Mehrheit beim Politiker wohl an Angela Merkel denkt.

Dem Komitee, das hinter der ÖNorm steht, wirft Wetschanow vor, von einer "antifeministischen Ideologie" geprägt zu sein und auf die Expertise maßgeblicher Wissenschaftler verzichtet zu haben. Die Begründung, bei vermeintlich korrekter Schreibweise würde den Lesern ein "Buchstabensalat" aufgetischt, wertet die Sprachwissenschaftlerin als "Stammtischargumentation". Wetschanow: "Die Diskussion darf nicht sterben, die kann man nicht einfach über eine Normierung abdrehen."

Sie streitet gar nicht ab, dass es auch wissenschaftliche Argumente für das generische Maskulinum gibt. So führe die Ausbreitung von Anglizismen wie "student" oder "manager" dazu, dass diese Begriffe für Frauen eine neutralere Bedeutung gewinnen und sie sich angesprochen fühlen.

Und dann wäre da noch jene Richtung, die eine extra Ausschilderung von Frauen ablehnt, weil das die Geschlechterdifferenz erst wieder betont. Dieser Denkweise entsprechen Begriffe wie die "beamtete Person", die in Gesetzestexten schon jetzt den "Beamten" ersetzt. Historisch lehnten die Sozialisten in der DDR die Unterscheidung in Arbeiterinnen und Arbeiter ganz bewusst ab, weil jeder Mensch gleich sein sollte, Hauptsache er ist "Arbeiter".

Besser texten

Doch wenn die Norm nun wieder abgeblasen wird, wie vermeiden Beamte und Behörden künftig unleserliche Texte?

Für Infobroschüren gebe es gute Möglichkeiten, den massenhaften Gebrauch des Binnen-I zu vermeiden, sagt Wetschanow. Es würde Texte sogar noch verbessern, wenn man den Empfänger direkt anspreche à la "Holen Sie sich Ihr Geld zurück, anstatt "die KundInnen haben die Möglichkeit..." zu schreiben.