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Das Blackout-Radio läuft auf 88,3 MHz

Von Johannes Greß

Wirtschaft

Feldbach in der Südoststeiermark ist die "Blackout-sicherste Stadt Österreichs". Ein Lokalaugenschein.


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Feldbachs Retter in der Not ist quaderförmig, rot und die meisten rennen trotz seiner Größe achtlos an ihm vorbei. Doch das Monstrum mit dem klingenden Namen "Zapfwellengenerator", das am Eingang des Bauhofs steht, ist das Herzstück der Blackout-Strategie der südoststeirischen Stadt. Ein Zapfwellengenerator ist günstiger und wartungsärmer als herkömmliche Generatoren und lässt sich mit handelsüblichen Traktoren betreiben. Zwei große und ein Dutzend kleine Zapfwellengeneratoren stehen - stets einsatzbereit, wie gerne betont wird - am Feldbacher Bauhof. Die 13.000-Einwohner Stadt gilt als "Blackout-sicherste Stadt Österreichs". Zwischen zehn und 20 Tagen, je nach Jahreszeit, könne man ohne Strom überleben, bekräftigt Josef Ober (ÖVP), seit 2015 Bürgermeister von Feldbach.

Der Österreichische Zivilschutzverband beschäftigt sich seit etwa fünf Jahren mit dem Thema Blackout, erläutert Bundesgeschäftsführer Josef Farda. Medienanfragen würden sich in letzter Zeit häufen. Nicht ohne Grund, denn auch wenn ein langfristiger, überregionaler Stromausfall in Österreich äußerst unwahrscheinlich ist, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario. Durch Entwicklungen wie die Energiewende und länger werdende Transportrouten (beispielsweise bezieht Österreich Windenergie von der Nordsee) wird das Stromnetz anfälliger für Störungen, erklärt Farda. Auch die derzeitige Energieknappheit oder Cyberattacken sind potenzielle Risikofaktoren.

Das europäische Stromnetz ist eng miteinander verbunden und wird synchron mit 50 Hertz betrieben. Weicht die Frequenz um mehr als 200 Millihertz ab, kann das zu einem großflächigen Kollaps führen. Das war beispielsweise am 8. Jänner 2021 beinahe der Fall, als es in einem kroatischen Umspannwerk zu Überlastungen kam. Innerhalb von Sekunden fielen europaweit 14 Leitungen und Netzelemente aus. Ein dichtes Supervisionsnetz und automatisierte Schutzmechanismen sorgten in diesem Fall dafür, dass der Frequenzabfall in Südeuropa schnell behoben wurde.

Die drei B

Die größten Gefahren für unser Stromnetz, so Farda, seien die "drei B: Bagger, Bäume, Blitze"; beispielsweise Sturmschäden, die wie Mitte August in der Steiermark 60.000 Haushalte kurzzeitig im Dunkeln sitzen ließen; oder als Anfang August Bauerarbeiten einen Stromausfall verursachten, von dem 140.000 Tiroler Haushalte betroffen waren. Das Beispiel zeigt auch, welch weitreichende Folgen ein Blackout hat. Nicht nur blieben Häuser dunkel und Fabriken standen still, sondern in Innsbruck fielen Verkehrsampeln aus, in der Hungerburgbahn mussten 50 Fahrgäste aus den Gondeln gerettet werden. Aufzüge, Geldautomaten, Tankstellen, Abwassersysteme oder Intensivstationen funktionieren ohne Strom nicht.

Komme, was wolle, in Feldbach ist man vorbereitet. Vorbei am Zapfwellengenerator führen Bürgermeister Ober und Bauhofleiter Werner Lafer zu einer Tankstelle am anderen Ende des Bauhofgeländes. Darin befinden sich in großen, länglichen Fässern je 30.000 Liter Treibstoff, genug um sämtliche Einsatzfahrzeuge der Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen sowie die kritische Infrastruktur der Stadt für bis zu drei Wochen am Laufen zu halten, betont der Bürgermeister.

Ober, damals noch ÖVP-Landtagsabgeordneter, gab bereits 2013 eine Blackout-Studie in Auftrag. Zu einer Zeit, als das Thema und daher auch Ober noch belächelt wurden. Als er 2015 ins Rathaus einzog, lautete sein Credo: "Eine moderne Gesellschaft muss die Frage ‚was wäre, wenn der Strom ausfällt?‘ beantworten können". Zu glauben, es passiere eh‘ nichts, sei "blauäugig". Ohne Strom könne die Feuerwehr nicht einmal das eigene Gelände verlassen, das Tor funktioniert nämlich elektrisch.

Elf Selbsthilfebasen

Im Jahr 2022 ist die Feldbacher Realität eine andere. Beraten wird die Kleinstadt von Österreichs führendem Blackout-Experten Herbert Saurugg. Der Bauhof der Stadt funktioniert komplett autark. Es gibt elf autarke Selbsthilfebasen, in denen die Feldbacherinnen und Feldbacher kochen, sich versorgen und kommunizieren können. Häuser können im Bedarfsfall mit Notstrom und Wärme versorgt werden, Pumpstationen und Brunnenanlagen sind mit Notstromeinspeisungen versehen. Im Katastrophenfall stellt die Feldbacher Soletti-Fabrik der städtischen Bäckerei Mehl zur Verfügung, diese produziert dann das "Feldbacher Notbrot". Die Liste der Maßnahmen ist lang, insgesamt 34 DIN A4-Seiten umfasst die eigens produzierte Blackout-Broschüre. Das Blackout-Radio läuft auf 88,3 MHz.

Braucht es das oder neigen die Feldbacher zu unbegründetem Alarmismus? Denn das Thema Blackout ist - so wie vielerlei (vermeintliche) Bedrohungen - mittlerweile ein lukratives Geschäft. In der Buckligen Welt in Niederösterreich bietet ein ehemaliger Soldat des Jagdkommandos in seinem "Prepper-Hostel" "Bunker-Training" und "Survival-Kurse" an. Letztere zum Preis von bis zu 490 Euro pro Person. Onlinehändler werben für 594 Euro mit "Blackout-Boxen". Der Roman "Blackout - Morgen ist es zu spät" des Wiener Autors Marc Elsberg wurde zum international gefeierten Bestseller und lief unlängst als Sechsteiler im ORF.

Zivilschutzverband-Geschäftsführer Farda sieht die Situation gelassener. Ein Blackout könne nie ausgeschlossen werden, sei insgesamt aber ein sehr unwahrscheinliches Ereignis. Und international betrachtet sei Österreich gut vorbereitet. Das Stromnetz hierzulande sei gut ausgebaut und verfüge über große Speicherkraftwerke. Sämtliche öffentliche Stellen seien mittlerweile auf das Thema sensibilisiert und erarbeiten Krisenstrategien. Farda pocht auf Besonnenheit: Vorbereitet sein, aber nicht verrückt machen lassen. Anstatt im Handel zu Sonderangeboten zu greifen, rät er, sich mit Freundinnen, Nachbarn und Familie zu besprechen.

Für übertrieben hält Farda den Feldbacher Weg dennoch nicht. Auch wenn es zu keinem Blackout kommt, tue eine Gemeinde oder eine Stadt gut daran, auf Ausfälle der kritischen Infrastruktur vorbereitet zu sein, etwa bei Murenabgängen oder Stürmen. Genauso können die privaten Blackout-Dosenvorräte einmal nützlich sein, wenn unangekündigt hungrige Verwandtschaft vor der Tür steht, fügt Farda schmunzelnd an.

2,5 Millionen Euro lässt Feldbach sich die Blackout-Prävention kosten. "Mir geht’s darum, immer einen Schritt voraus zu sein", betont Bürgermeister Ober. Dem pflichtet auch Lafer bei. Der Bauhofleiter steht in einer großen, nahezu leeren Halle, zu seiner Rechten ein großer Zapfwellengenerator, hinter ihm ein Dutzend kleiner Generatoren. Alle werden, selbstverständlich, regelmäßig gewartet. "Aber das ist alles nur theoretisch - hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht".