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Das blinde rechte Auge

Von Georg Friesenbichler

Analysen

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Nachdem Anders Breivik seinen grausamen Massenmord in Norwegen begangen hatte, wurde in Deutschland und Österreich schnell der Ruf nach besserer Vernetzung von Internet und Geheimdienstinformationen laut. Denn der Terrorist sei ein islamfeindlicher Einzeltäter fernab der üblichen rechtsextremistischen Strukturen gewesen, und einem solchen Mann sei nur durch bessere Überwachung beizukommen.

Angesichts dessen mutet es erstaunlich an, wenn in Deutschland eine Terrorzelle jahrelang unbehelligt operieren konnte, deren Verbindungen zu durchaus herkömmlichen, angeblich genau beobachteten Neonazi-Gruppen bekannt waren und deren Taten in den einschlägigen Kreisen sogar musikalisch bejubelt wurden. Mittlerweile ist von 20 Unterstützern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) die Rede. Und täglich veröffentlichen Medien neue Berichte über die enge Vernetzung der rechtsextremen Szene, die im Internet recht einfach nachzurecherchieren ist. Von den Behörden heißt es in Reaktionen aber, dass ihnen von solchen Verbindungen nichts bekannt sei.

Das kann nicht nur mit Schlamperei und schlechter Koordination der Ermittler zu tun haben. Man muss auch gar nicht bewusste Vertuschung vermuten, weil manche Verfassungsschützer insgeheim Sympathien für diejenigen hegen, die sie beobachten sollen, wie dies im Fall des thüringischen Ex-Verfassungsschutzpräsidenten gemutmaßt wird. Dieser publiziert in einem österreichischen Verlag, der unter anderen rechtsextremistische Schriften vertreibt. Auffällig ist aber, dass in Deutschland weit weniger Fahnder auf Neonazis angesetzt sind als auf islamistischen Terror. Das ist ein Versagen genau der Politik, die jetzt lauthals das Scheitern der Behörden beklagt.

Dabei ist das Gewaltpotenzial der Neonazis weit größer, als man wahrhaben will. Seit der Wiedervereinigung sind unabhängigen Zahlen zufolge 182 Todesopfer (inklusive der 10 Morde des NSU) infolge von rassistischer Gewalt zu verzeichnen, offiziell war bisher nur von 47 die Rede. Und dahinter verstecken sich noch ungezählte Menschen, die von Neonazis und Geistesverwandten bei Überfällen teilweise schwer verletzt worden sind. Solch alltäglicher Einschüchterung sind ganze Stadtbezirke oder Landstriche ausgesetzt - nicht nur in Ostdeutschland, sondern beispielsweise auch in Dortmund.

Von solchen Zuständen ist Österreich glücklicherweise weit entfernt. Aber niemand glaube, die Vorgänge in Deutschland hätten mit uns nichts zu tun. Schließlich war hierzulande der antikommunistische Konsens stets stärker als der antifaschistische.