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Einrichtung schafft ein Übergangsheim und dient als Lobby für die Zielgruppe.
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Wien. Ein Wohnhaus im 20. Bezirk. Es ist weiß gestrichen mit gläserner Eingangstüre. Nur ein kleines goldenes Schild weist darauf hin, dass es sich bei dem Gebäude um das Wiener Integrationshaus handelt. Hier leben jene Flüchtlinge, die einen erhöhten Betreuungsbedarf haben. Traumatisierte Menschen, unbegleitete Minderjährige, Alleinerziehende und Schwangere.
Das Integrationshaus ist eine Institution. Seit 18 Jahren gibt es die Einrichtung bereits. Die Arbeit des Integrationshauses begann in den frühen 1990ern, zur Zeit der Jugoslawien-Kriege, als tausende Menschen nach Österreich flüchten mussten. "Die Flüchtlingslager waren alle sehr voll. Das waren große Unterkünfte, in denen die Unterbringung nicht optimal war", erinnert sich Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Vereins "Projekt Integrationshaus". Eine Gruppe von Künstlern, Architekten, Juristen und Sozialarbeitern schloss sich damals zusammen, um ein Übergangshaus mit entsprechender Unterbringung und psychosozialer Betreuung für die Flüchtlinge zu schaffen.
Unter den Gründungsmitgliedern waren die Künstler Wilhelm Resetarits, Beatrix Neundlinger und Sepp Stranig. Die Politik habe ihnen damals keine Steine in den Weg gelegt, erzählt die Musikerin Beatrix Neundlinger. "Die Situation in Österreich war einfach so, dass es einen sehr großen Ansturm gegeben hat, dadurch war auch die Politik geneigter, da mitzuspielen." So zogen 1995 die ersten Flüchtlinge im Integrationshaus in der Engerthstraße ein.
Von Anfang an war es den Gründern wichtig, dass es sich bei dem Haus um ein "Zwischenheim", also eine Übergangslösung, handelt. Es sollte nicht zu bequem sein, erklärt Neundlinger. Die Sanitäranlagen befinden sich am Gang. Durch die Umstände soll erreicht werden, dass die Menschen aus eigenem Antrieb heraus schnell in eine eigene Wohnung ziehen. Ziel sei es, Hilfe zu leisten, aber auch so rasch wie möglich eine Verselbstständigung zu erreichen. Dazu gehört auch, dass sich die Bewohner selbst versorgen. In jeder der 38 Wohneinheiten gibt es eine Küche. "Da sie von uns nicht mit Essen beliefert werden, können sie durch das Kochen auch ein Stückerl Heimat leben", meint Neundlinger.
Deutschkurse speziell für Frauen
Neben der Wohnmöglichkeit und psychologischer Betreuung bietet das Integrationshaus auch Kurse an. Dabei handelt es sich einerseits um Deutschkurse und andererseits um Arbeitsorientierungskurse. Das Projekt "F.U.T.U.R.E-Train" organisiert Sprachkurse speziell für Frauen. In diesen Frauenkursen herrsche eine besondere Dynamik, erzählt Andrea Schoberleitner, die einen der Deutschkurse leitet. "Die Frauen unterstützen einander gegenseitig und geben einander Kraft."
Dennoch komme es auch immer wieder zu Spannungen, vor allem aufgrund von kulturellen und religiösen Unterschieden. In den Kursen haben die Frauen Zeit für sich. "Es ist wichtig, einmal einen Ort zu haben, an dem sie keine häuslichen Pflichten erfüllen müssen", erklärt Schoberleitner. In den Kursen wird auf Erfahrungen, Erlebnisse und Herkunft der Frauen Bezug genommen.
Im Klassenraum sitzen Frauen aus China, Afrika, dem Iran und der Türkei zusammen. Sie haben die Aufgabe, in Zweiergruppen ein kleines Rollenspiel vorzutragen: Eine der beiden möchte das Heimatland der anderen bereisen und holt sich von dieser Tipps. Die Frauen sind nervös, keine möchte als Erste vor den anderen sprechen. Zwei Frauen aus dem Iran und aus Nigeria beginnen schließlich. Mit sicherem Wortschatz beginnt Lela, sich über Abuja, die Hauptstadt von Nigeria, zu informieren.
Für die Frauen sei es wichtig, Deutsch zu beherrschen, um nicht davon abhängig zu sein, dass der Mann oder die Kinder übersetzen, sagt Schoberleitner. Die Kursleiterin lobt ihre Schülerinnen. Sie ist überzeugt, dass alle die Sprachprüfung zum Erlangen des Sprachniveaus B2 schaffen werden. Dieses Sprachniveau wird bei vielen Berufen verlangt. Eine Kursteilnehmerin aus China möchte Krankenschwester werden. Für die Ausbildung muss sie B2-Kenntnisse vorweisen können.
Lobbyarbeit für die Zielgruppe
"Ich will nicht Hausfrau bleiben", sagt auch Lela. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen im Integrationshaus. Sie möchte rasch eine Ausbildung machen und dann so bald wie möglich arbeiten, als Verkäuferin vielleicht. Doch das ist momentan nicht möglich - schon einmal hat sie einen negativen Asylbescheid bekommen. Jetzt wartet sie, ob sie nicht doch noch einen positiven Bescheid bekommt. In der Zwischenzeit darf sie keine Ausbildung anfangen und auch nicht arbeiten. "Ich möchte arbeiten, ich möchte nicht nur zu Hause sitzen", sagt sie.
Dass Asylwerber nicht arbeiten dürfen, ist laut Neundlinger ein großes Problem: "Sie wollen ihr Leben selbst gestalten und am liebsten auch selbst verdienen, was sie zum Leben brauchen - aber diese Möglichkeit gibt es nicht." Sie kritisiert, dass sich Europa immer mehr abschotte.
Vonseiten der Politik werde oft sehr zynisch mit den Flüchtlingen umgegangen, findet die Musikerin. Es werde nicht gesehen, dass es auch andere Fluchtgründe gibt als Verfolgung. "Ich habe das Gefühl, das Boot ist nicht voll. Wir können in Österreich noch mehr Menschen aufnehmen."
Eraslan-Weninger ist ebenfalls der Ansicht, dass Europa eine solidarische Aufnahme- und Integrationspolitik brauche. Auch das ist Aufgabe des Wiener Integrationshauses, nicht nur die Betreuung von Flüchtlingen, sondern auch Lobbyarbeit für die Zielgruppe. Das Integrationshaus publiziert Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen, führt Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern, nimmt teil an Diskussionsveranstaltungen und Pressekonferenzen, wickelt Konferenzen, Kampagnen, Veranstaltungen, Bildungs- und Begegnungsprojekte ab - um auch so die Rahmenbedingungen für Asylwerber in Österreich zu verbessern.
Laut Neundlinger wird zu wenig über die Lage der Asylwerber nachgedacht. "Wie soll jemand überleben mit 300 Euro im Monat? Oder jemand mit negativem Bescheid, der nicht einmal das bekommt? Wie soll dieser Mensch hier in Österreich leben?"