So schön hatten es sich die Chinesen vorgestellt, bis Tibet und die Erde gebebt haben: Olympia sollte China der Welt im Zeichen stolzer "Harmonie" präsentieren: Mit diesem Prinzip hat das Regime schon bisher alle Debatten über Demokratie und Menschenrechte erstickt. | Europäern klingt "Harmonie" als politische Devise eher seltsam. Dennoch wird sie auch im Westen gerne angestrebt, man sagt halt "Diplomatie", wenn man Probleme zudecken will - statt sie zu lösen. Und besonders häufig fand sich westliches Harmoniestreben zuletzt gerade in der Politik gegenüber China.
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Im Grunde wollen nämlich alle Länder das Tibet-Problem rasch wieder vom Tisch haben. Zu viel Geld ist in China zu holen. Solange der Druck der Öffentlichkeit groß war, hat man zwar einige Pseudo-Proteste gegen die Unterdrückung Tibets gesetzt. Jetzt aber will sich kaum noch ein Politiker gemeinsam mit dem Dalai Lama abbilden lassen.
Demonstrativ wird auch die angeblich vorbildliche Reaktion der Chinesen auf die Erdbebenkatastrophe gelobt. Diese Reaktion unterscheidet sich zwar von jener der Steinzeitgeneräle in Burma. Die Offenheit für ausländische Helfer (nicht nur Lieferungen) hat aber noch lange nicht westliches Niveau, wo bei Katastrophen binnen Stunden Helfer in unterschiedlichsten Uniformen Seite an Seite Ruinen durchwühlen.
Im Glanz des chinesischen Wirtschaftswunders wird ignoriert, dass dort noch immer ein striktes Einparteienregime herrscht. Die westliche Konfliktscheu ist aber auch verständlich: China ist zu groß, zu stolz, als dass es sich durch Druck beeinflussen ließe.
Das heißt aber: Wirkliche Änderungen in China können nur von innen kommen. Die Frage ist nur: Wie und Wann?
Auf die Dauer ist der "Harmonie"-Ruf jedenfalls ungeeignet, die Zukunft des Reiches zu sichern. Staatlich verordnete Harmonie ist zwar ein Fortschritt gegen Maos Totalitarismus. Sie ist aber nur ein Schönwetterprogramm und kann die wachsenden Widersprüche nicht lösen. Die da sind: krasse Unterschiede zwischen Arm und Reich, Umweltprobleme, Korruption, galoppierende Inflation, die enge Bindung an die miesesten Regime der Welt (von Afrika bis Nordkorea und Burma), die Unruhe unter den Minderheiten.
Vor allem aber dürfte die sich rasch entwickelnde Wirtschaft Chinas einen Abschied von der Zudeck-Harmonie erzwingen: Sie braucht als wichtigste Infrastruktur eine funktionierende Justiz und ein Ende der Korruption. Mit den bestechlichen Parteikadern aber würde recht bald auch deren ganzes System fallen. Und zugleich wird sich das demokratische Selbstbewusstsein der Bürger weiter entwickeln.
Damit wäre Marx auf den Kopf gestellt: Der ökonomische Unterbau wird zur Voraussetzung der liberalen Demokratie.