Militärexperte Gerald Karner über die maroden Eurofighter, seinen Notfallplan fürs Pleite-Heer und eine neue Volksbefragung.
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Wien. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) ist nicht zu beneiden. Am Freitag muss er der Öffentlichkeit ein "Reformkonzept" fürs Heer verkaufen, das angesichts des finanziellen Schrumpfkurses ein Überlebenskonzept sein wird. Er muss Kasernen gegen den Widerstand der Länderfürsten schließen. Und nun fliegen ihm auch noch die Eurofighter in die Trauer-Parade. Die in Deutschland bekannt gewordenen Produktionsfehler am Rumpf betreffen auch die heimischen Jets. Der britische Hersteller BAE hat die Intervalle bis zur nächsten Wartung deswegen von 3000 auf 1500 Flugstunden reduziert, Deutschland nimmt vorerst von weiteren Ankäufen Abstand. In Österreich liegt das Intervall wegen der geringen Einsatzzeiten ohnedies schon weit darunter. Trotzdem prüft Klug rechtliche Schritte gegen den Hersteller. Der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz sieht wieder einen Ausstiegsgrund aus dem Kaufvertrag.
Ist der Eurofighter "Schrott", wie manche Kommentatoren schon meinen? Was wären die Alternativen? Und wie ist das Bundesheer noch zu retten, fragt die "Wiener Zeitung", den Militärexperten Gerald Karner.
"Wiener Zeitung": Kaum einsatzbereit, Ersatzteilmangel, keine Neubestellungen und nun technische Probleme "am Hinterteil": Ist das europäische Gemeinschaftsprojekt Eurofighter am Ende?Gerald Karner: Gewöhnlich sind die Mängel nicht, völlig ungewöhnlich aber auch nicht. Soweit ich das einschätzen kann, sind solche Produktionsmängel rasch behoben. Das ist fast ein Routinevorgang. Das passiert bei derartig komplexen Produkten immer wieder - sogar beim US-Vorzeigeflieger F22. Nach der F22 zählt der Eurofighter noch immer zu den technisch fortschrittlichsten Fliegern der Welt.
Aber Werbung ist das keine. Und solange es keine Neubestellungen gibt, heißt es bei EADS, bleibt offen, ob überhaupt noch in die Sparte investiert wird.
Dass derzeit nicht 100 Staaten den Eurofighter bestellen, ist klar. Die, die ihn brauchen wie Saudi-Arabien, haben ihn.
Die Lebensdauer soll sich durch die Mängel drastisch reduzieren.
Das bezieht sich auf die Zeit bis zur nächsten Wartung. Das Flugzeug ist für 40 Jahre gebaut. Bis 2050 fliegt es. Das war beim Draken auch so.
Die Mängel könnten dem klammen Heer einen Grund liefern, weiter bei den Eurofightern zu sparen.
Das kann ich mir nicht vorstellen. Schon jetzt wurden die Flugstunden auf ein nicht unbedenkliches Minimum reduziert.
Nicht unbedenklich?
Weil es schon unter der Norm liegt, die Piloten erreichen müssen, damit sie ihre Fähigkeiten nicht verlieren. Von 15 Stück sind nicht mehr als fünf einsatzbereit, der Rest ist in Wartung. Dazu kommen Gerüchte über Ersatzteilprobleme. Ich wüsste nicht, wo da noch gespart werden kann.
Wenn die Flotte stillgelegt wird?
Das ist für mich denkunmöglich. Das wäre die Aufgabe der Luftraumüberwachung. Auch wenn Peter Pilz jetzt wieder hofft, dass die Flieger zurückgeschickt werden können - die Alternativen sind nicht überzeugend: Ausborgen von anderen Ländern? Die haben ebenfalls ihre Stückzahl reduziert. Als wir uns vor dem Eurofighter von der Schweiz die F-5 ausborgten, wollten sie diese rasch wieder zurück. Leasen? Nicht billig. Und so lange wir neutral sind, können wir auch nicht die Nato bitten, den Luftraum zu überwachen.
Es gibt das Modell der Nacheile.
Ungarische Kampfflieger, die bis in den zentralösterreichischen Raum fliegen? Wollen wir das?
Am Freitag präsentiert Verteidigungsminister Gerald Klug sein Reformkonzept. Wie beurteilen Sie den Zustand des Heers?
Als absolut alarmierend. Schon seit Jahren. Nun ist das Heer bankrott. Und weil immer vom erdrückenden Kostenanteil des Eurofighters gesprochen wird: Dass der Eurofighter nicht billig ist, wusste man vor zehn Jahren. Das wäre aber kein Problem gewesen, wenn das Heeresbudget an die Inflation angepasst worden wäre. Das geschah nicht. Klar stieg dadurch der Anteil des Eurofighters.
Ist der Eurofighter die Hauptlast?
Nein. Das wirkliche Problem ist die Personalstruktur. Die Personalkosten machen 70 Prozent des Budgets aus, das sind 1,4 bis 1,5 Milliarden Euro für 23.000 Personen. Für den Betrieb und Investitionen in Kasernen, Gerät oder Personal bleibt dann natürlich nichts mehr übrig. 2004 hat die Bundesheerreformkommission empfohlen, neues Personal nur noch mit befristeten Verträgen auszustatten. Das wurde verabsäumt. Es war somit jedem klar, dass das Heer spätestens bis 2015 bankrott sein wird.
Wie sähe ein Notfallplan aus?
Man müsste Beamte, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, in Würde aber in aller Deutlichkeit in den Ruhestand verabschieden. Ohne radikale Kürzungen aller höheren Stäbe und Einrichtungen bis hin zum Ministerium wird es nicht gehen. Man muss Strukturen radikal straffen. Damit befreie ich mich von jenen, die sich selbst verwalten. Gleichzeitig kann ich Junge mit befristeten Verträgen reinholen, die die Heeres-Substanz wieder verbessern.
Soll man Beamte auch degradieren oder das Gehalt kürzen?
Nein. Es kann nicht darum gehen, Leuten etwas wegzunehmen. Es gab einmal die "Chance 55". Dabei konnten 55-Jährige wie mit 60 in Pension gehen. In Konzernen würde das "Golden Handshake" heißen.
Dann wird das Problem nur verschoben, für die Frühpensionen zahlt erst recht der Steuerzahler.
Ja, aber wir reden nicht von Hunderttausenden ...
Und die Kasernenschließungen?
Die sind absolut wichtig. Dass es zu viele Kasernen gibt, auch das weiß man seit 15 Jahren. Aber nur die wenigsten wurden geschlossen. Man wird sehen, ob sich Klug gegen den Widerstand der Länder durchsetzt.
War der nicht erfolgte Wechsel von Wehrpflicht auf Berufsheer eine vertane Jahrhundertchance?
Die Chance wird schneller kommen. Es ist klar, dass die Volksbefragung ein Imperativ für eine Dekade ist. Aber die Frage wird sich wieder stellen. Ein Berufsheer macht Mittel frei, die jetzt für Rekruten verwendet werden. Außerdem würde ein derartig radikaler Systemwechsel zur Einsparung einiger hoher Kommanden und Stäbe führen.
Zur Person:
Gerald Karner (geboren 1955) war Brigadier des Bundesheeres und Leiter der Abteilung Militärstrategie. Heute ist Karner Sicherheitsexperte bei Aventus.