Bis 1938 bescherte die Migration aus dem Osten Wien eine Hochblüte des jiddischen Theaters. Das "KleynKunst Theater" knüpft im Zuge der Wienwoche an diese Zeit an und interpretiert sie mit einem provokanten Programm neu.
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Wien. Leopoldstadt, 20er Jahre. Eine der Bühnen auf der Praterstraße. Das Publikum sitzt trinkend, essend und schwatzend im Theatersaal. Vor ihnen läuft die Vorstellung einer jener Truppen aus Russland, Rumänien oder dem Baltikum, die auf ihrer Tour durch Europa auch am Wiener Nordbahnhof aussteigen. War das Ensemble berühmt genug - wie etwa die Wilnaer Truppe oder das Moskauer Jüdische Kammertheater -, haben im Vorfeld schon alle namhaften Wiener Zeitungen berichtet. In dem Fall finden sich nicht nur jüdische Wiener, sondern auch andere Kultur- und Theaterinteressierte im Publikum. Gesungen, getanzt und gespielt wird auf Jiddisch. Musik ist immer dabei. Es geht um Liebe, um Zeitgeschehen und Antisemitismus. Manchmal dominieren Politika, manchmal einfach nur guter Schmäh die Stücke. Die Theater- und Kabarettstadt Wien zeigt sich in einer ihrer vielfältigsten und originellsten Formen.
So spielten sich viele Abende der lebhaften jüdischen Bühnenkunstszene ab, die Wien zwischen den 1910er und 1930er Jahren prägte. Für jiddische Theatergruppen aus Rumänien, Polen, Russland oder der Ukraine war die Stadt eine wichtige Durchzugsstation auf ihren Tourneen. Pogrome und der Erste Weltkrieg verursachten schließlich einen riesigen Migrationsstrom osteuropäischer Juden in Richtung Westen. Viele von ihnen ließen sich im kulturellen Schmelztiegel Wien wieder. Neben jenen Juden, die schon seit mehreren Generationen hier lebten, betraten so immer mehr ostjiddische Migranten die Theaterbühnen der Stadt. Die Jüdische Bühne in der Taborstraße oder das Jüdische Kulturtheater am Franz Josefs Kai etwa waren feste Institutionen der damaligen Szene. Daneben gab es Ensembles wie die Freie Jüdische Volksbühne, die ihre Spielorte stets wechselte.
Brigitte Dalinger hat als eine der Ersten die Geschichte des jüdischen Theaters in Wien erforscht. Durch den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu gewonnenen Wohlstand in manchen jüdischen Gemeinden Osteuropas entstand laut Dalinger plötzlich ein Bedürfnis nach Unterhaltung, und so auch nach Theater. Eine Entwicklung, die sich später durch die Migration in Wien bemerkbar machte. Selbst der Wiener Schmäh ist zum Teil auf diese Fügung zurückzuführen: "In Wien kam die pointierte, kritische nestroysche Komik mit jiddischen Ausdrücken zusammen. Der feine und bewusste Umgang mit Worten und das Zuspitzen von Sprache liegt in der jüdischen Tradition", so Dalinger. Die jüdische Theater- und Kabarettszene des frühen 20. Jahrhunderts entstand derart schnell, dass es meist an Stücken mangelte. "Die Themen waren deshalb oft kurzfristig improvisierte Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse", so die Theaterwissenschafterin. Abisch Meisels etwa, ein Theaterautor, der wie so viele während des Ersten Weltkriegs nach Wien gekommen war, behandelte in seinen Stücken das Dilemma der osteuropäischen Juden, die sowohl im Russischen Kaiserreich als auch in der Habsburgermonarchie als Spione des jeweiligen Kriegsgegners galten.
Letzte Bühnen schlossen 1938
Meisels gab seinen späteren Revuen schließlich einen zionistischen Hintergrund und verbreitete Propaganda für Palästina, bevor er 1938 nach London emigrierte. In den frühen 30ern hatten bereits die ersten antisemitischen Übergriffe begonnen, Spielverbote wegen befürchteter "Hakenkreuzler-Demos" folgten. Ein großer Teil des Stammpublikums ging in die Emigration, solange diese noch möglich war. Schließlich brachte die NS-Herrschaft den absoluten Bruch, 1938 schlossen auch die letzten Bühnen.
Was wäre wenn? - Dieser Frage widmen Lisa Bolyos, Dieter Behr und Benjy Fox-Rosen das von ihnen kuratierte "KleynKunst Theater", eine Varieté-Show, die am 3. Oktober kontrafaktische Geschichte schreiben und an die zerstörte Szene von damals anknüpfen soll.
Gespielt und musiziert, getanzt und erzählt wird im Vindobona am Wallensteinplatz - in jenem Teil der Stadt, in dem vor 100 Jahren das Wiener Publikum noch jiddische Sänger aus Osteuropa um Zugabe gebeten hat. Kuratorin Lisa Bolyos stellt klar: "Wir wollen keinen Romantizismus, sondern fragen: Was wünscht man sich denn zurück? In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben?"
Nach 1945 kamen nur wenige von jenen jüdischen Künstlern, die überlebt hatten, zurück. Erwähnt seien etwa Stella Kadmon und natürlich Gerhard Bronner und Karl Farkas, die an die frühere Bühnenszene anknüpften und damit teilweise Erfolg hatten. "Die 50er waren sehr konservativ. Bis in die 70er war Wien eine halbtote, graue Stadt", so Universitätsdozentin Dalinger.
"Die Nachkriegsjahre waren geprägt von Monotonie, Bourgeoisie, Einsprachigkeit und Hochkultur", sagt auch Kurator Dieter Behr. In den letzten Jahren hätte sich aber wieder eine lebhafte jüdische Musikszene entwickelt - das zeigt etwa das Klezmore Festival in Wien.
Mit ihrem "KleynKunst Theater" wollen die Kuratoren auch darauf aufmerksam machen, wie Wiens Kunst und Kultur wieder von Migration profitieren kann. Dass Migranten auf den großen österreichischen Bühnen heute immer noch kaum Chancen haben, ist auch für Theaterwissenschafterin Dalinger ein Trauerzeugnis. Das "KleynKunst Theater" legt seinen Fokus bewusst auf den Austausch: Der Bezug zur jüdischen Kultur ist nur ein Teil ihres internationalen und bunt zusammengewürfelten Programms. Die Varieté Show bietet etwa dem moldawischen Hochzeitssänger Slava Farber oder Jilet Ayse, der auf YouTube geschaffenen humoristischen Figur einer Kreuzberger Türkin, eine Bühne. Durch den Abend führen wird Didi Bruckmayr, Sänger der brachialen österreichischen Band Fuckhead.
Erinnern braucht auch Humor
Die Melancholie, die Beschäftigung mit jüdischer Kultur oft an den Tag legt, ist für die Kuratoren unangebracht. "Politisches Erinnern braucht auch Humor", so Lisa Bolyos, "aber nicht im Sinn von Schenkelklopfen, sondern von Erkenntnis, worüber ich lachen kann und wo’s mir vergeht." Die Mitwirkenden des Theaters wollen nicht nur unterhalten, sondern auch Raum für Konflikte bieten. Und so werden sie an diesem Abend der zentralen Funktion von Kunst nachkommen und singend, tanzend und spielend vor allem eines tun: stören.