Eine vorurteilsfreie Diskussion über alles, was vom Geruch des Konservativen umschwebt wird, ist die seltene Ausnahme.
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Politik ist eigentlich recht einfach: Es gibt Links und Rechts. Links ist alles, was nicht Rechts ist - und Rechts ist alles, was böse ist. So lautet das gängige politische Vorurteil unserer Zeit. Dazwischen tummeln sich viele Phantome. Keines ist so beliebt wie die stolze Chiffre "bürgerlich". Jeder will so sein, in Deutschland die Alt-68er der Grünen ebenso wie der Narrensaum am äußersten Rand der AfD.
In Österreich ist es noch einfacher. Wenn Türkis-Blau eine bürgerliche Koalition war, hat sich unter Türkis-Grün wenig geändert. Und wenn die Neos in den Wiener Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ die Privatisierung von drei Mülleimern durchgesetzt hätten, dann hätte sich auch jemand gefunden, der das als bürgerliche Variante erkannt hätte. Eine Gruppe treibt diese Entwicklung in die Enge: die Konservativen. Sie sollten deshalb anfangen zu definieren, warum sie nicht bürgerlich sind.
Das Bürgerliche
Auf der Suche nach dem bürgerlichen Lager finden sich die deutlichsten Spuren in der Geschichte und die verblassten Konturen in der Zeitgeschichte. Im politischen Farbenspiel Frankreichs nach 1848 stehen die Bürgerlichen zwischen den roten Linken und den weißen Rechten. Sie verkörpern die liberale politische Mitte. Von links wird ihnen vorgeworfen, die Emanzipation der Arbeiterklasse zu verhindern, von rechts der Verrat an der ständischen Ordnung. 100 Jahre später diese Aufteilung überholt: Die soziale Frage ist zugunsten der Linken entschieden und die Rechte als systemwidrig verfemt. Trotzdem wird "bürgerlich" nach 1945 wiedergeboren und ersatzweise als Selbstbezeichnung verwendet - eine gesellschaftliche oder systemische Aussagekraft hat der Begriff nicht mehr. "Bürgerlich" wird zum Synonym einer neuen Tugendhaftigkeit, die im Brustton selbstbewusster Naivität Vernunft, Moral und Anstand als politische Kategorien führt.
An dieser Stelle sei an die Faustregel erinnert: Wenn in der Politik mit moralischen Stehsätzen die Vernunft der Aufklärung und die Haltung der Anständigen beschworen wird, ist der Verdacht begründet, dass die Ratlosigkeit groß ist. Kein Wunder also, dass sich in Deutschland von den Grünen bis zur AfD - in Österreich von Werner Kogler bis Norbert Hofer - jeder gerne als "bürgerliche Kraft" begreift. Warum? Vernunft, Moral und Anstand sind subjektive Kategorien. Sie taugen für die private Lebensführung, für das Politische lassen sie sich nicht objektivieren.
Der Konservative
Das Bürgerliche als moralische Monstranz kann deshalb getrost aufgegeben und denen überlassen werden, die gerne Prätorianer von Luftschlössern sein wollen. Als schlagende politische Kategorie hat es seine Bedeutung längst verloren. Der Konservative kann als Privatperson bürgerlich sein, politisch ist er es nicht. Er steht nicht in der Mitte, sondern rechts von ihr; er glaubt nicht die liberal-bürgerliche Annahme, dass mehr Fortschritt mehr Freiheit bringt. Mit der politischen Linken bildet er in allen Bereichen ein Gegensatzpaar.
Im Grundsatzurteil unterscheidet beide, dass der Konservative sein politisches Denken nicht auf Utopien, sondern auf Wirklichkeit baut. Ein Beispiel gibt die Klimadebatte. Der Konservative tritt selbstverständlich für den Erhalt der Lebensgrundlagen ein. Er fördert regional nachhaltige Produktion, schützt das natürliche Landschaftsbild und weiß um die Bedeutung einer mittelständischen Betriebsstruktur. Dem Linken ist das zu wenig. Er rettet mit Fahrverboten, CO2-Steuern und der Ausrufung von Klimanotständen die ganze Welt (inklusive China, Indien und Russland). Damit argumentiert er utopisch und somit klassisch links.
Neben dem Bezug zur Wirklichkeit ist Ordnung ein zweiter konservativer Zentralbegriff. Dabei ist im Gegensatz zum Liberalen der Bezugspunkt nicht der Einzelne, sondern das Ganze. Dieses Ganze lässt sich nicht abstrakt konstruieren, sondern wächst zusammen. Während also der Globalist von der Weltgemeinschaft ausgeht, in der alle gleich sind, bezieht sich der Konservative auf die historisch gewachsene staatliche Einheit mit der eigenen kulturellen Identität. Dieses Ordnungsprinzip erkennt die Gleichheit der Menschen an Rechten unter Anbetracht ihrer Unterschiedlichkeit nach Fakten an.
In der politischen Auseinandersetzung ist eine vorurteilsfreie Diskussion über alles, was vom Geruch des Konservativen umschwebt wird, die seltene Ausnahme. Bestenfalls verbindet man mit "konservativ" ein paar Kalendersprüche ("Bewahrung des Feuers statt Anbetung der Asche"). Schlechterdings werden die Argumente grundsätzlich als rückständig abgekanzelt. Schuld daran sind diejenigen selbst, die glauben, konservativ zu sein, ohne zu wissen, warum: Jene substanzlosen Nostalgiker, die sich für konservative Edelleute halten, weil sie manisch alles vor Veränderung bewahren wollen, um in Wirklichkeit nur ihren ganz persönlichen Komplex mit der Moderne zu bewältigen.
Mehr Selbstbewusstsein
Wenn etwas um seiner Selbst willen erhalten werden soll, gehört es ins Museum, aber nicht in die Politik, daran sollten sich auch Konservative halten können. Sie tun umgekehrt gut daran, ihre eigene Ideengeschichte in den Mittelpunkt der Argumentation zu rücken, statt sich mit Vergangenheitssentimentalität zum Feindzeugen der politischen Gegner zu machen. Eine selbstbewusste konservative Position weiß, wo sie steht, und sie weiß deshalb auch, wo ihr Platz ist.
Wenn man sich auf die Suche macht, wo man hingehört, ist der Rat des ehemaligen Bundeskanzlers und SPÖ-Chefs Bruno Kreisky hilfreich: "Lernen Sie Geschichte." Das Minimum konservativer Geschichte steckt in folgender Erzählung: Um die Übersichtlichkeit des Abstimmungsverhaltens im Frankreich nach 1789 zu gewährleisten, saßen diejenigen, die für die Ordnung waren, rechts. Diejenigen, die für den Umsturz waren, saßen links. In der Mitte waren für gewöhnlich die, die sich nicht so recht entscheiden konnten. Dass der Platz der Konservativen rechts ist, bleibt auch mehr als 200 Jahre nach der Revolution richtig.