Die gute Nachricht: In Amerika heuer kaum Hurrikans. | Massive Regen in den sonst trockensten Wüstengebieten. | Berlin. Tsunamis in der Südsee, Erdbeben in Indonesien und Taifune über den Philippinen - in dieser Kette verheerender Naturkatastrophen kommt eine gute Nachricht zu kurz: Die Hurrikan-Saison in der Karibik, Mittelamerika und dem Süden der USA ist in diesem Jahr so gut wie ausgefallen. Dabei hatten US-Forscher kurz vor Weihnachten 2008 noch eine überdurchschnittlich heftige Sturmsaison im tropischen Atlantik vorhergesagt. Jetzt aber hat das "Christkind" die Berechnungen der Forscher über den Haufen geworfen, die Hurrikan-Saison war unterdurchschnittlich und die Menschen in der Region konnten aufatmen.
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Bei diesem "Christkind" handelt es sich um eine Unregelmäßigkeit des Klimas, die Forscher wie Dietmar Dommenget vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel (IfM-Geomar) unter dem spanischen Namen "El Niño" kennen. Schon vor vielen Jahrzehnten hatten die Fischer Perus einen triftigen Grund für diesen Namen. Alle paar Jahre war das Wasser des Pazifik vor ihrer Küste um die Weihnachtszeit viel wärmer als sonst, und gleichzeitig brachen die Fischbestände zusammen. Leere Netze aber bedeuten automatisch leere Kassen, und die peruanischen Fischer jammerten über eine "schöne Bescherung".
Ursprung vor Peru
Diese Klimaanomalie aber beschränkt sich nicht nur auf Peru, sondern trifft die Hälfte des Globus: Im Atlantik und im westlichen Pazifik gibt es kaum noch Hurrikans, während Indonesien und Australien unter Dürre leiden. In Kalifornien dagegen regnet es dann im Winter ausgiebig, und auch in Ostafrika gleicht so mancher Starkregenfall vorhergehende Dürren aus.
Der Ursprung von El Niño aber liegt vor der peruanischen Pazifikküste. Dort treiben die stetigen Passatwinde das Meereswasser nach Westen. An der Küste steigt daher kaltes Wasser aus der Tiefe nach oben, gleicht diesen ständigen Verlust aus und hält das peruanische Küstenwasser mit nur 24 Grad Celsius für einen tropischen Ozean recht kühl. Vor Indonesien und dem Norden Australiens aber staut sich das nach Westen strömende Wasser, dort liegt der Meeresspiegel vierzig Zentimeter höher als vor Peru.
Die stetig nach Westen wehenden Winde nehmen auf ihrem langen Weg über den Pazifik jede Menge Wasser auf. In der Nähe von Indonesien kollidieren diese feuchten Luftmassen dann mit Winden, die nach Osten in Richtung Südamerika wehen. Beide Luftmassen steigen daher nach oben, die feuchte Luft regnet ab, und die heftigen tropischen Niederschläge setzen ein, die für Indonesien typisch sind.
Haben sich die Wolken ausgeregnet, strömt die Luft in einer Höhe von neun bis zwölf Kilometern wieder nach Osten zurück. Auf ihrem langen Weg über den Pazifik kühlt die Luft ab, wird schwerer und sinkt schließlich über der Küste Südamerikas wieder zu Boden. Dabei sinkt die Luftfeuchtigkeit, und vom Norden Perus bis fast zur Mitte Chiles reicht ein extrem trockener Wüstengürtel.
Die absinkende Luft schafft über dieser Wüste ein anhaltendes Hochdruckgebiet, während die aufsteigenden Luftmassen für Südostasien tiefen Luftdruck besorgen. Wie überall in der Atmosphäre strömt die Luft vom Hoch zum Tief und verstärkt so Passatwinde und Meeresströmung Richtung Indonesien weiter.
Wasser heizt die Luft auf
Im September oder Oktober aber schwächelt in manchen Jahren das Hoch über der südamerikanischen Pazifikküste, gleichzeitig baut auch das übliche Indonesien-Tief ab, und der Kreislauf wird schwächer. Im Westpazifik steht das rund 28 Grad Celsius warme Wasser vierzig Zentimeter höher als vor Südamerika. Bald schwappt eine riesige, aber langsame Welle nach Osten zurück, erreicht typischerweise um die Weihnachtszeit die Küste Südamerikas und unterbricht dort den Strom kalten Wassers, der aus der Tiefe an die Meeresoberfläche quillt. Das aber spült normalerweise jede Menge Nährstoffe nach oben, die dort ein reichhaltiges Meeresleben nähren, und die Fischer haben ihre Bescherung.
Das wärmere Wasser vor Südamerikas Küste heizt auch die darüber liegende Luft. Diese steigt auf, und das Hoch über der südamerikanischen Pazifikküste wird zum Tief. Die aufsteigende Luft kühlt ab, enthaltenes Wasser kondensiert zu Regenwolken, bis in der trockensten Wüste der Welt heftige Schauer niederprasseln. Statt 45 Liter Regen im Jahr gab es in der Wüstenstadt Piura im Norden Perus im El Niño-Jahr 1983 2400 Liter, was dem vierfachen Jahresniederschlag von Wien entspricht.
Diese Umkehr der Druck- und Wetterverhältnisse passiert aber nicht jedes Jahr, sondern nur alle drei bis acht Jahre einmal. "Aus den Pazifik-Temperaturen aber schließt die US-amerikanische Wetterbehörde, dass gerade ein El Niño kommt", erklärt Klimaforscher Mojib Latif vom IfM-Geomar in Kiel. Dann aber dreht die aufsteigende Luft über Südamerika die Höhenströmung um und lässt die ausgeregnete Luft nach Westen strömen. Über Indonesien beginnt diese Luft abzusinken und beschert dem Land ein beständiges Hoch. Dadurch aber fallen die Regenfälle aus, der Wald vertrocknet, und plötzlich fegen Buschfeuer durch das Land. Diese Dürre dehnt sich oft bis nach Australien aus.
Das Hoch über Indonesien und das Tief über Südamerika bringen in El Niño-Jahren auch die angrenzenden Wettersysteme durcheinander. Nach höchstens 15 Monaten aber ist der Spuk vorbei, über Südamerika hat sich das normale Hoch wieder aufgebaut, und über Indonesien sorgt ein Tief für reichlich Regenfälle. Bis El Niño nach ein paar Jahren die nächste Bescherung bringt.