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"Das Cleverste ist, in Frauen zu investieren"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Laut Selim Jahan sind vor allem Frauen der Schlüssel um der globalen Armut zu entkommen.


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"Wiener Zeitung": Sie haben sich den Großteil Ihres beruflichen Lebens mit dem Thema Armut beschäftigt. Wann werden wir Ihrer Meinung nach ein Ende der extremen Armut sehen, also dass Menschen mit knapp zwei Dollar pro Tag leben müssen?

Selim Jahan: In den letzten 25 Jahren haben wir es geschafft, die globale Armut zu halbieren. Das lag vor allem an den Erfolgen in China und Indien, aber auch in anderen Ländern ist die Armut zurückgegangen. In Bangladesch etwa ist die Rate von 42 Prozent auf unter 20 Prozent gesunken. Ich glaube daher, dass wir rund um das Jahr 2030 die extreme Armut auslöschen können. Allerdings gibt es ein "aber". Denn es wird trotzdem relative Armut geben, da die Ungleichheiten stark zunehmen werden.

Laut dem aktuellen "Human Development Report", dessen führender Kopf Sie sind, werden trotz dieser enormen Erfolge aber noch immer viele Menschen zurückgelassen. Was sind die Gründe dafür?

Erfolg wird zumeist anhand von Durchschnittswerten gemessen. Als Maßstab nehmen wir etwa die durchschnittliche Armutsrate oder die durchschnittlichen Einkommenszuwächse in einem Land. Aber wir wissen auch, dass Durchschnittswerte die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen oder Bevölkerungsgruppen zudecken. Und in jeder Gesellschaft gibt es Gruppen, die aus den verschiedenesten Gründen marginalisiert werden, sei es nun wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit. Und an diesen Menschen gehen die Fortschritte bei der Entwicklung oft spurlos vorbei. Mitverantwortlich für diese Marginalisierung sind aber nicht nur soziale Normen, sondern auch diskriminierende Gesetze. So müssen Frauen in 18 Ländern noch immer ihre Männer um Erlaubnis fragen, bevor sie eine Arbeit annehmen. Und in 32 Ländern bekommen Frauen auch heute noch viel schwerer einen Pass als Männer.

Heißt das, dass man Frauen als größte Gruppe der Zurückgelassenen sehen kann und muss?

Ganz genau. In den Entwicklungsländern verrichten Frauen etwa die meiste Arbeit in der Landwirtschaft, trotzdem gehören ihnen weniger als zehn Prozent des Landes. Und es gibt noch viele andere Dinge, von denen man nur betroffen ist, wenn man eine Frau ist. So werden jedes Jahr 15 Millionen Frauen unter 18 Jahren verheiratet und das bedeutet eine Kinderehe alle zwei Sekunden. Eine von drei Frauen erlebt zudem häusliche Gewalt. Dass Frauen auf vielfache Weise zurückgelassen werden, ist ganz besonders bedauernswert, weil Frauen zugleich auch 50 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Allerdings hat sich die Lage der Frauen in den meisten Ländern verbessert, so sind etwa die Einschulungsraten der Mädchen gestiegen und immer mehr Frauen eröffnen ihr eigenes Geschäft oder arbeiten in anderer Weise auf eigene Rechnung. Das Investment in Frauen und Mädchen ist wohl auch das schlauste Investment, das eine Gesellschaft machen kann, denn man bekommt ein Vielfaches heraus. So steigert eine besser gebildete Frau nicht nur das Humankapital, diese Frau wird auch besser über die richtige Ernährung ihrer Kinder Bescheid wissen und das vorhandene Geld effektiver für das Wohlergehen ihrer Familie einsetzen.

Was sind denn die Schlüsselfaktoren, um der Armut zu entkommen?

Ein Hebel, der in vielen Ländern sehr gut funktioniert hat, war der Ausbau von zumindest rudimentären Sozialleistungen. So verbessert etwa eine Grundversorgung im Bildungs- und Gesundheitsbereich das Leben vieler Menschen nachhaltig. Darüber hinaus sind in vielen Entwicklungsländern Jobs genau in jenen Sektoren geschaffen worden, in denen viele arme Menschen arbeiten. Oft haben aber auch der Infrastrukturausbau und NGOs eine große Rolle gespielt. Diese Organisationen haben etwa für Zugang zu sauberem Trinkwasser gesorgt oder mit Mikrokrediten den Menschen bei Unternehmensgründungen geholfen. Es ist also eine Kombination aus staatlicher Politik und dem Wirken der NGOs. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch die Innovationskraft der Menschen selbst.

Gibt es da Best-Practice-Beispiele, wo es Länder besonders gut gemacht haben?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Heimatland Bangladesch, das ich naturgemäß gut kenne. Dort passieren drei Dinge. So gibt es auf Ebene der nationalen Politik einen starken Fokus auf die Armutsbekämpfung. Und Armutsbekämpfung ist nicht bloß ein einzelnes und für sich stehendes Thema, sondern integraler Bestandteil des gesamten politischen Handelns. Zweitens hat man in Bangladesch sehr viel für Frauen und Mädchen getan, sei es nun bei der Bildung oder auch bei den Arbeitsbedingungen in der traditionell weiblichen Textilindustrie. Für Frauen ist es jetzt auch deutlich einfacher, Geld zu sparen oder es auf elektronischem Weg zu ihrer Familie nach Hause zu schicken. Zum Dritten ist die Infrastruktur in ländlichen Gegenden massiv ausgebaut worden. Dank neuer Straßen gibt es für arme Menschen nun einen viel besseren Zugang zu Märkten.

Welche Rolle kann denn der enorme technologische Fortschritt bei der Armutsbekämpfung spielen?

Ich glaube, das kann eine große Rolle spielen, allerdings müssen dafür Voraussetzungen erfüllt werden. Zum Beispiel muss die zum Einsatz kommende Technologie einfach und kostengünstig sein. Leistbare Telefone oder Computer allein sind allerdings zu wenig, es braucht auch den Zugang zu Elektrizität oder drahtlosem Internet. Wenn das aber sichergestellt ist, dann gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Man kann etwa vergleichsweise einfach herausfinden, welche Preise sich auf den Märkten erzielen lassen und wo die Nachfrage besonders hoch ist. Besonders vielversprechend ist auch der Bildungsbereich, wo mit einem Schlag eine enorme Fülle an Unterrichtsmaterial zur Verfügung steht. Technologie hilft aber auch im Gesundheitssektor. In Ecuador gibt es jetzt etwa einfache Ultraschallgeräte, die sich auch mit einem Fahrrad transportieren lassen. Schwangere Frauen müssen daher für Vorsorgeuntersuchungen nicht mehr ins Gesundheitszentrum kommen. Und zu guter Letzt kann Technologie dafür sorgen, dass die Dinge transparenter werden und die Regierenden Rechenschaft ablegen müssen. Denn wofür Ressourcen eingesetzt werden, lässt sich nun natürlich viel leichter dokumentieren und nachprüfen.

Am Ende des Human Development Index stehen Länder wir die Zentralafrikanische Republik oder der Tschad. Was sind die größten Versäumnisse hier?

Wenn man sich die Länder am unteren Ende der Liste anschaut, wird einiges sehr deutlich. Viele dieser Staaten waren oder sind in Konflikte verstrickt. Und wenn immer es Konflikte gibt, gibt es auch keine normale Entwicklungsmuster. Wenn Sie sich etwa die Lage im Südsudan ansehen, dann werden Sie feststellen, dass bereits die Mehrheit der Bevölkerung geflohen ist. Hinzu kommt, dass diese Länder oft von Dürre oder anderen Naturkatastrophen betroffen sind. Da spielt natürlich auch der Klimawandel eine Rolle. Und drittens ist das eine Frage der Regierungsführung. Die staatlichen Institutionen wurden nie richtig entwickelt und ein Großteil der Ressourcen geht nicht dorthin, wo er hingehen sollte.

Was könnten denn für solche Regierungen Anreize sein, gute Politik zu machen?

Wenn ein Land Fortschritte macht, verleiht das auch der Regierung Legitimität und Ansehen. Nehmen Sie etwa Ruanda als Beispiel, wo vor 25 Jahren noch eine halbe Million Menschen umgebracht worden sind. Heute macht Ruanda große Fortschritte, es gibt genug zu essen und das Land hat weltweit die höchste Quote an weiblichen Parlamentarieren.

Selim Jahan ist Direktor des für den "Human Development Report" zuständigen Büros beim UN-Entwicklungsprogramm in New York. Vor seiner Tätigkeit bei der UNO wirkte er an diversen Universitäten.