Interview mit jenen Bürgervertretern, die erstmals in einer parlamentarischen Kommission sitzen werden.
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Wien. Am 18. Dezember konstituiert sich im Parlament die Enquetekommission zur Stärkung der Demokratie. Ziel ist eine Modernisierung und Stärkung der heimischen Demokratie. Im Herbst 2013 war ein erster rot-schwarzer Entwurf für einen Ausbau der direkten Demokratie auf massive Widerstände gestoßen.
Das Novum: An den öffentlichen Sitzungen werden erstmals auch acht Bürgervertreter teilnehmen, die aus insgesamt 1200 Bewerbungen ausgelost wurden. Je vier Männer und Frauen sowie Unter-35-Jährige und Über-35-Jährige. Die acht Bürgervertreter werden 18 stimmberechtigten Vertretern der sechs Nationalratsparteien sowie neun weiteren Mitgliedern aus Bundesratsmandataren und Experten gegenübersitzen, die wiederum von den Parteien nominiert werden. Die Bürgervertreter werden über ein Rederecht, nicht jedoch über ein Stimmrecht verfügen.
Die "Wiener Zeitung" traf drei von ihnen und sprach über ihre Erwartungen.
"Wiener Zeitung":Bei der Demokratie-Enquete sitzen Sie einer Mehrheit aus Parteienvertretern und Experten gegenüber. Haben Sie Angst, bloß als Feigenblatt zu dienen?Michelle Missbauer: Ich denke schon, dass ich etwas bewegen kann. Meine großen Anliegen sind Gleichstellung von Männern und Frauen - ich bin selbst lesbisch - und Tierrechte.
Barbara Ruhsmann: Ich bin da grundsätzlich skeptischer. Die Gefahr, als Feigenblatt benutzt zu werden, ist real. Deshalb müssen wir klären, welcher Beitrag von uns erwartet wird. Ich denke schon, dass es angebracht ist, hier sehr genau zu schauen.
Felix Ofner: Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Natürlich werden wir eine gewisse Feigenblattrolle für die etablierte Politik spielen, das ist ja ein Grund, warum wir überhaupt eingeladen wurden. Viel wichtiger ist aber, wie wir selbst damit umgehen. Vielleicht gelingt es uns ja doch, einige Anliegen einzubringen und sogar umzusetzen.
Worüber haben Sie sich zuletzt in der Politik besonders geärgert?Missbauer: Die Verschwendung von Steuergeld, etwa den Umbau der Wiener Mariahilfer Straße zu einer Fußgängerzone.
Ruhsmann: Über den Bericht der Griss-Kommission zum Hypo-Debakel, vor allem die Reaktionen der Verantwortlichen.
Ofner: Die Kürzung der Vorbereitungsstunden für die Zentralmatura. Man führt ein neues System ein, Lehrer, Eltern und Schüler sind völlig verunsichert, der Probelauf eine Katastrophe und dann kürzt man die Vorbereitungszeit. Das ist widersinnig.
Missbauer: Trotzdem bin ich grundsätzlich überzeugt, dass unsere Politik recht gut funktioniert, jedenfalls, wenn man sie mit anderen Ländern vergleicht.
Ofner: Ich glaube auch, dass unser politisches System fast systematisch schlechtgeredet wird, vor allem die Parteien werden überhart kritisiert, mitunter geradezu in den Dreck gezogen. Da ist es kein Wunder, wenn sich niemand mehr engagieren will.
Wer zieht die Parteien in den Dreck?Ofner: Natürlich sind es die Parteien auch selbst, weil sie sich in Themen verbeißen, wo sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Standpunkte keine Einigung schaffen. Eine Teilschuld tragen auch die Medien, die sich immer auf die Konflikte konzentrieren, die Erfolge gehen unter. Der Anteil der einstimmig beschlossenen Gesetze nimmt zwar ab, aber er ist immer noch recht groß - das finde ich gut.
Ist die Politik besser als ihr Ruf?Ruhsmann: Schwer zu sagen, ja und nein. Eine gewisse Art des Politiker-Bashings ist ungerecht, einfach weil die Menschen lieber schimpfen, als sich zu engagieren. Gleichzeitig ist speziell die Bundespolitik nicht sehr erfolgreich, nicht sehr lösungsorientiert. Aber es gibt auch gute Politik, vor allem auf der kommunalen Ebene, wo mit großem Engagement gearbeitet wird. Das vermisse ich auf Bundesebene. Hier bräuchte es ein neues, ganz anderes Verständnis von politischer Arbeit.
Ofner: Man sieht, dass vielen Parteien der Nachwuchs fehlt, der ein neues Denken einbringen könnte. Sobald man erkennt, mit eigenen Ansichten anzuecken, ziehen sich viele Junge lieber zurück. Die Parteien vermitteln nicht das Gefühl, offen für neue Ideen zu sein. Und was mich noch stört: Politiker achten nur noch darauf, ob ihnen diese oder jene Position nutzt, ob sie die eigenen Klientelinteressen bedient . . .
Ruhsmann: Es fehlt die Sachlichkeit . . .
Ofner: Ja, genau. Den Politikern fehlt es an Mut, niemand traut sich mehr etwas.
Ruhsmann: Und alles richtet sich nur nach kurzfristigen Interessen. Der Fokus liegt bei den nächsten sechs Monaten, was in zehn, zwanzig, dreißig Jahren sein wird, ist allen egal.
Eine der Fragen der Enquete wird sein, wie mehr direkte Demokratie unser parlamentarisches System verbessern kann. Welchen Einfluss sollen die Bürger künftig haben?Missbauer: Es gibt viele Themen, bei denen das Volk einbezogen werden kann.
Welche?Missbauer: Etwa die Frage einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Sollen doch die Bürger entscheiden, ob sie das wollen. Ich bin mir sicher, dass einige Österreicher dafür sind.
Einige zweifellos. Aber was, wenn der Vorschlag mehrheitlich abgelehnt wird? Mehr direkte Demokratie ist gerade für Nischenthemen eine riskante Sache, weil eben die Mehrheit davon höchstens am Rande betroffen ist.Missbauer: Das sehe ich nicht so, für mich gilt: Wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen.
Ruhsmann: Entscheidend ist die Aufwertung von Volksbegehren. Es wäre wichtig, wenn ab einer gewissen Unterschriftenanzahl, sagen wir 300.000, ein solches Begehren verpflichtend einer Volksabstimmung zugeführt werden muss. Und wir müssen es den Menschen erleichtern, solche Initiativen zu starten. Hinter jedem Volksbegehren steckt, wenn es wirklich von der Zivilgesellschaft betrieben wird, ein enormer finanzieller und organisatorischer Aufwand (bei Parteien genügt die Unterschrift von acht Nationalratsabgeordneten oder je vier Abgeordneten dreier Landtage, Anm.). Obwohl wir eine Krise der repräsentativen Demokratie erleben, werden fast nur die Parteien gefördert. Die Zivilgesellschaft geht dabei leer aus. Angesichts dieser Ungleichbehandlung sollten wir dringend die organisatorischen und finanziellen Hürden für Volksbegehren senken.
Muss das Parlament geschwächt werden, wenn die direkte Demokratie gestärkt wird?Ofner: Das ist schwer zu sagen. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass wir ein Parlament, eine Regierung wählen, damit diese die notwendigen Entscheidungen trifft. Das ist das Grundprinzip repräsentativer Demokratie und das finde ich auch gut so. Der Haken bei einer gestärkten direkten Demokratie ist, dass am Ende die Interessen derjenigen auf der Strecke bleiben könnten, die von einer Entscheidung besonders betroffen sind, einfach weil sie nicht die Mehrheit in der Bevölkerung stellen.
Kann das Volk irren?Ofner: Ja, sicher.
Ruhsmann: Natürlich, und es gibt ja Grenzen der direkten Demokratie, etwa bei den Menschenrechten. Jetzt aber einfach zu sagen, die Bürger sind zu dumm oder zu uninformiert, deshalb lassen wir direkte Demokratie lieber sein, kann ja nicht die Lösung sein. Wir müssen den Österreichern schon zutrauen, dass sie sich demokratisch weiter entwickeln.
Ofner: Die Bürger müssen die Chance haben, ihre Anliegen auch auf die politische Tagesordnung zu hieven.
Ruhsmann:Und wir dürfen eines nicht vergessen: Die ganze Diskussion über eine Stärkung der direkten Demokratie gäbe es nicht, wenn die gewählten Volksvertreter und politischen Parteien uns alle noch repräsentieren würden. Das Problem ist: Die Parteien vertreten nicht mehr alle Bürger.
Fühlen Sie sich repräsentiert?Missbauer: Schon, teils-teils jedenfalls.
Ruhsmann: Ich habe eine politische Heimat bei einer Partei, von daher kann ich mich nicht beklagen.
Ofner: Bei mir ist das wie bei Frau Ruhsmann, obwohl es Themen gibt, wo ich meine Partei nur als kleineres Übel betrachte.
Und wie ist es mit Europa: Fühlen Sie sich von den Institutionen der EU, dem Parlament, der Kommission, dem Rat, politisch vertreten?Missbauer: Ich muss gestehen, dass ich bisher mit Europa nicht so viel zu tun gehabt habe.
Ruhsmann: Europa wird zu 95 Prozent als Ausrede verwendet. In der Bildungspolitik oder der Raumordnung kann die EU nichts dafür, dass in Österreich seit zwanzig Jahren nichts weiter geht. Trotz EU-Mitgliedschaft gibt es mehr als genug Themen, die in Österreich selbst erledigt werden müssen. Und auch EU-Beschlüsse sind ja nicht gottgegeben, auch dagegen kann man ankämpfen.
Ofner: Ich fühle mich von Europa repräsentiert, auch wenn man theoretisch als Bürger in einem Land mit acht Millionen Einwohner mehr Einfluss hat als in einer Union mit 500 Millionen. Darin sehe ich aber auch eine große Chance. Bei Europa fehlt es einfach an Aufklärung und Information.
Werden Sie jetzt eigentlich als offizielle Bürgervertreter im Freundeskreis schief angeschaut?Missbauer: Überhaupt nicht, im Gegenteil: (lacht) Eine Bekannte hat mich, als sie gehört hat, dass ich jetzt in der Politik bin, gleich gebeten, ob ich ihr nicht ein Reihenhaus mit Garten organisieren könne.
Ruhsmann:Das ist fast schon bezeichnend für das Verständnis von Politik hierzulande: Politiker sind dazu da, mir einen Gefallen zu tun. Alle erwarten, dass Vater Staat für alles sorgt. Was fehlt, ist ein demokratisches Bürgerbewusstsein: Wir alle sind der Staat, jeder ist mitverantwortlich für das System, das er miterschaffen hat. Meine Aufgabe als Bürgervertreterin habe ich nicht an die große Glocke gehängt, einfach weil ich doch die Gefahr eines Missbrauchs sehe. Mein Mann hat gemeint, das Ganze klingt nach einem Begräbnis erster Klasse. Aber was mein sonstiges politisches Engagement angeht, da ist das Feedback schon positiv.
Sie werden in der Enquete ein Rederecht haben, aber kein Stimmrecht. Ob das, was Sie sagen, aufgenommen werden wird, ist offen. Haben Sie bestimmte Ziele, die Sie umsetzen wollen?Ruhsmann: Ich will vor allem ernst genommen werden. Worauf ich keine Lust habe, ist, als Inkarnation der Bürgernähe herumzusitzen, ein Symbol, das man hübsch abfotografieren kann.
Ofner: Ich glaube, es geht um ein Bewusstsein, dass die Bürger danach auch wirklich die zur Verfügung stehenden Instrumente direkter Demokratie auch wirklich und ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen.
Missbauer: Ich will erreichen, dass die Tierrechte in die Verfassung kommen.
Zu den Personen
Barbara Ruhsmann
Die Wienerin Jahrgang 1969 ist studierte Germanistin und ist als Öffentlichkeitsarbeiterin in der Baubranche tätig. Sie engagiert sich für Wohnbaupolitik und ist bei den Grünen bezirkspolitisch aktiv.
Felix
Ofner
Der Mödlinger des Jahrgangs 1994 studiert Kommunikationswirtschaft an der Fachhochschule Wien; Ofner ist niederösterreichischer Landesobmann der ÖVP-nahen Schülerunion.
Michelle Missbauer
Die Wienerin, Jahrgang 1981, ist derzeit in Ausbildung (Tiermedizin); mit klassischer Parteipolitik kam sie bisher nicht in Berührung, sie ist Aktivisten der Tierschutzgruppe "Vier Pfoten". Fotos:WZ/M. Ziegler
Barbara Ruhsmann
Die Wienerin Jahrgang 1969 ist studierte Germanistin und ist als Öffentlichkeitsarbeiterin in der Baubranche tätig. Sie engagiert sich für Wohnbaupolitik und ist politisch aktiv bei den Grünen.
Felix Ofner
Der Mödlinger des Jahrgangs 1994 studiert Kommunikationswirtschaft an der Fachhochschule Wien; Ofner ist niederösterreichischer Landesobmann der ÖVP-nahen Schülerunion.
Michelle Missbauer
Die Wienerin, Jahrgang 1981, ist derzeit in Ausbildung (Tiermedizin); mit klassischer Parteipolitik kam sie bisher nicht in Berührung, sie ist Aktivisten der Tierschutzgruppe "Vier Pfoten".