Bei den Gläubigern Griechenlands scheint eine Art Kulturwandel stattzufinden. Zum ersten Mal wird auch eine Staatspleite in Betracht gezogen.
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Athen/Brüssel. Es war nicht die beste Begleitmusik für die ohnehin schon angespannte Situation. Am Donnerstag war das Verhandlungsteam des Internationalen Währungsfonds (IWF) überraschend aus Brüssel abgereist und hatte dies mit "großen Differenzen" in den Gesprächen mit den griechischen Unterhändlern begründet. Nur ein paar Stunden später sorgte ein Vorab-Bericht der "Bild"-Zeitung für Unruhe, laut dem sich die deutsche Bundesregierung bereits unmittelbar für eine Staatspleite Griechenlands wappnet und dabei auch offenherzig über Kapitalverkehrskontrollen und einen weiteren Schuldenschnitt diskutiert.
Der Abzug des IWF-Teams und die offenbar schon recht konkreten deutschen Beratungen über die Zahlungsunfähigkeit zeigen aber nicht nur, wie mühsam sich die Verhandlungen gestalten, bei denen die internationalen Gläubiger von Athen für die Auszahlung weiterer Hilfsgelder substanzielle Reformen einfordern. Sie liefern neben vielen anderen Indizien auch einen Hinweis darauf, dass bei den Geldgebern eine Art Kulturwandel stattgefunden hat: Trotz gegenteiliger öffentlicher Beteuerungen scheinen die Gläubiger nun bereit zu sein, sich ernsthaft mit einem Scheitern der Verhandlungen und einem Ausscheiden der Griechen aus der Eurozone auseinanderzusetzen. Die bisherige Position eines "Was nicht sein kann, darf nicht sein" wurde offenbar durch einen faktischeren Blick auf die Wirklichkeit abgelöst.
Börsen auf Talfahrt
Dass die Gläubiger einen "Grexit" zunehmend als Möglichkeit betrachten, zeigt auch eine diese Woche in Bratislava abgehaltene Konferenz, bei der hochrangige Mitglieder der Eurozone erstmals formell über die Folgen eines griechischen Zahlungsausfalls diskutiert haben. Insidern zufolge sehen einige Länder die Staatspleite Griechenlands mittlerweile schon als wahrscheinlichste Variante an. Dass eine Einigung mit der griechischen Regierung und die Auszahlung der letzten Hilfstranche in Höhe von 7,2 Milliarden Euro noch in den kommenden Tagen erreicht wird, galt als unwahrscheinlichstes von drei möglichen Szenarien.
Falls die bestehenden Fristen nicht verlängert werden, gilt derzeit der 30. Juni als Deadline für eine Lösung im Schuldenstreit, da an diesem Tag das aktuelle Hilfsprogramm ausläuft. Zuvor müsste ein griechischer Reformkatalog allerdings noch von der Euro-Gruppe genehmigt werden, die turnusmäßig am 18. Juni tagt.
Anders als in der Politik wird ein Grexit am Markt schon seit längerem als realistische Variante betrachtet. "Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Griechenland aus freien Stücken aus der Euro-Zone verabschiedet, mittlerweile auf fast 50 Prozent", sagt der Leiter des Rentenfondsmanagements bei Union Investment, Frank Engels.
Die Reaktion der Finanzmärkte scheint denn auch die größte und zugleich auch bedrohlichste Unbekannte im Fall eines Grexit. Am Freitag hatten der IWF-Rückzug und die Ausstiegsplanspiele die wichtigsten Weltbörsen auf Talfahrt geschickt. Bereits in den vergangenen zwei Monaten hat der Deutsche Aktienindex DAX mehr als neun Prozent verloren. Wegen des ungewissen Ausgangs der Griechenland-Frage sind in den vergangenen Wochen zudem die Zinsen in den anderen südlichen Euro-Ländern merklich gestiegen - in Spanien etwa haben sie sich binnen zwei Monaten mehr als verdoppelt, was Kredite für Investitionen und den Immobilienkauf verteuert und so den Aufschwung belasten kann. Und bei einem Grexit könnten die Risikoaufschläge weiter steigen.
Doch immerhin stehen heute die Vorzeichen in vielen Bereichen anders als noch beim ersten griechischen Absturz vor fünf Jahren. Damals waren private Investoren stark mit Griechenland verflochten und entsprechend gefährdet. "Heute werden rund 80 Prozent der griechischen Staatsschulden vom Rettungsschirm EFSF, der Europäischen Zentralbank und anderen Euro-Ländern gehalten", sagt Union-Fondsmanager Engels. "Das Ansteckungsrisiko für den Rest der Euro-Zone - insbesondere für Geschäftsbanken - ist daher gering."
Kaum Handel mit Hellas
Vergleichsweise geringe Auswirkungen dürfte eine griechische Staatspleite auch auf die eng miteinander verwobenen Exportwirtschaften Deutschland und Österreichs haben. Laut der Österreichischen Wirtschaftskammer verkauften heimischen Unternehmen im Jahr 2014 Waren und Dienstleistungen im Wert von 412 Millionen Euro nach Griechenland. Das entspricht nicht einmal 0,3 Prozent der gesamten österreichischen Exporte, die sich zuletzt auf 127 Milliarden Euro beliefen. Ganz ähnlich stellt sich die Situation für Deutschland dar. Im Ranking der wichtigsten deutschen Handelspartner nimmt Hellas nur Platz 38 ein, davor liegen unter anderem Luxemburg, Hongkong und Irland. Stark negative Folgen für die Wirtschaft könnten sich allerdings über Umwege einstellen. "Kommt es zu Turbulenzen an den Finanzmärkten, führt das typischerweise zu einer Verunsicherung und Investitionszurückhaltung bei Unternehmen", sagt Ferdinand Fichtner, der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Was ein Grexit für Griechenland selbst bedeutet, scheint dagegen mit weniger Variablen und Einschätzungsunschärfen verbunden zu sein. So sind sich die meisten Experten darin einig, dass dem Land im Falle einer Pleite ein ökonomisches Chaos und eine neuerliche schwere Rezession droht. Begleitet wäre all dies wohl von einer beispiellosen Massenverarmung.