Fünf von sechs Parteien stimmten Ende Juni für die Abschaffung des Pflegeregresses. Jetzt ist alles anders.
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Wien. Nicht immer muss es so sein, dass vordem Beschluss eines wichtigen politischen Projekts die Hacken tief fliegen. Das geht auch danach. Aktuelles Beispiel: die Abschaffung des Pflegeregresses. Was Ende Juni noch nach einem festen, fast parteiübergreifenden Schulterschluss aussah, entwickelt sich nun zusehends zu einem handfesten Streit, in dem die Beteiligten sich gegenseitig vorwerfen, das Pflege-Thema für Wahlkampftaktik zu missbrauchen. Aber der Reihe nach.
Bis auf die Neos stimmten alle Parlamentsfraktionen Ende Juni dafür, dass Pflegebedürftige künftig nicht mehr mit ihrem Eigentum für die Pflegekosten geradestehen müssen. Als Gegenfinanzierung vereinbarten SPÖ und ÖVP, den Betrug mit den E-Cards einzudämmen. Ab 2019 sollen nur noch E-Cards mit Foto ausgegeben werden. Geht es nach der SPÖ, soll zudem eine Erbschaftssteuer auf extrem große Vermögen zur Gegenfinanzierung aufgewendet werden - was bei der ÖVP auf deutliche Ablehnung stößt. So weit, so gut.
Am Donnerstag ließ Finanzminister Hans Jörg Schelling mit einer bemerkenswerten Argumentation aufhorchen: Es sei ein "schwerer Fehler" von Sozialminister Alois Stöger und Bundeskanzler Christian Kern gewesen, den Pflegeregress ohne detaillierte Zahlen, etwa über die Folgekosten, abzuschaffen, sagte er im ORF Radio Vorarlberg. Dass auch die ÖVP die Abschaffungspläne begrüßt und dann auch im Parlament mitgestimmt hätte, stellt der Finanzminister dabei aber gar nicht in Abrede.
Schelling: "Wahlkampftaktik"
Es habe sich dabei nämlich um "Wahlkampftaktik" gehandelt, sagte der Finanzminister, der den Verhandlern gleichzeitig vorwirft, die Ländern nicht eingebunden zu haben. Schelling fürchtet zudem um den Kostendämpfungspfad. Durch die Abschaffung des Pflegeregresses würden Folgekosten entstehen, etwa ein erhöhter Bedarf an Pflegeheimen. Schelling vermisst ein "Gesamtkonzept für die Zukunft".
Schellings Aussagen spaltete den im Juni noch bestehenden Pro-Abschaffungs-Schulterschluss. Während die Neos über ihren Sozialsprecher Gerald Loacker Schelling den Rücken stärken, sind Grüne und SPÖ empört. Es sei "unverantwortlich, die Pflege für wahltaktische Spielchen zu missbrauchen", so Loacker in einer Aussendung. Die Änderungen bei der E-Card als Gegenfinanzierungsmaßnahme werde "letztlich mehr Kosten verursachen, als sie Einsparungen bewirken" könne. Loacker war am Donnerstag telefonisch nicht erreichbar.
Die Grünen-Sozialsprecherin Judith Schwentner betont gegenüber der "Wiener Zeitung", auch sie habe "von Anfang an darauf hingewiesen, dass kein adäquates Gegenfinanzierungsmodell" am Tisch liege. Warum aber gaben die Grünen doch ihr Ja im Parlament? "Weil wir immer für die Abschaffung des ungerechten Systems Pflegeregress waren", betont Schwentner.
Auch die FPÖ nutzt Schellings Aussagen, um der ÖVP wahltaktisches Verhalten vorzuwerfen. Laut dem Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer zeige die neue Position des Finanzministers, dass die ÖVP, gäbe es keinen Wahlkampf, wohl nicht der Abschaffung "dieser unsäglichen und ungerechten Regelung" zugestimmt hätte. Am Rücken der Schwächsten zu sparen, sei eines Sozialstaats nicht würdig, sagte Hofer.
Sozialminister Alois Stöger verlangte am Donnerstag von der ÖVP Klarheit über ihre Haltung zum Pflegeregress. Stöger forderte die ÖVP auf, ihren "Zickzack-Kurs bei so wichtigen Themen wie der Pflegefinanzierung" zu beenden, so der Sozialminister in einer Aussendung. Zur Kritik von Schelling an der fehlenden Gegenfinanzierungsbasis sagte Stöger, die ÖVP habe bei den Verhandlungen vor dem Nationalratsbeschluss gar gefordert, den Einnahmenentfall durch Einsparungen bei den Heimen selbst zu finanzieren.
Stöger will Erbschaftssteuer
Stöger beharrt weiterhin auf einer Erbschaftssteuer auf extrem große Vermögen als Gegenfinanzierungsmaßnahme. Rund 500 Millionen Euro jährlich soll diese bringen. Damit würde laut Stöger nicht nur die Abschaffung des Pflegeregresses kompensiert, sondern auch weiter Verbesserungen der Pflegequalität ermöglicht. So könnte mit der Erbschaftssteuer der Bund die Hälfte der Kostenbeiträge für mobile Pflege übernehmen.