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Das digitale Gefängnis

Von Eva Stanzl

Wissen

Experten sehen eine zweite Welle der Digitalisierung, in der Rechner Daten nicht bloß speichern, sondern sie auch verstehen. Ist das gut oder schlecht?


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Wien. Im Senatssaal feiert eine namhafte Universität ihr 500-jähriges Bestehen. Die Zahl der handverlesenen Gäste ist höher als das Alter der Hochschule - dennoch unterhalten sich Rektoren, Professoren, Sponsoren, Politiker, Vertreter des Forschungsbetriebs und Studenten so angeregt, als würden sie alle einander seit Jahren kennen. Die Technik ermöglicht es: Spezielle Brillen blenden die Identität und das Ranking des Gegenübers ein, eine App erteilt Ratschläge, mit wem man als Nächstes reden sollte und wie man sich dabei anstellen muss, um seine Position im Ranking zu verbessern.

So ähnlich könnte das Leben in Zukunft aussehen. Zumindest, wenn es nach dem heimischen Autor Marc Elsberg geht, dessen Kriminalroman "Zero - Sie wissen, was du tust" solche Szenarien in Aussicht stellt. Hintergrund ist die atemberaubende Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) und der Digitalisierung.

Als Geburtsstunde der KI gilt der Juli 1956, als sich Forscher am Dartmouth College in Hanover im US-Staat New Hampshire trafen. Sie wollten aus Computer-Rechnern, die Kombinationen von Null und Eins verarbeiten, denkende Systeme schaffen, die ihre Umwelt verstehen und flexibel auf sie reagieren. Die Forscher prägten den Begriff "Artificial Intelligence". Jedoch stellten sie bald fest, dass den Rechnerhirnen die menschliche Welt zu komplex war. Zwar wurden die Computer leistungsfähiger, doch sie taten sich schwer, Sprache zu verstehen oder Objekte zu erkennen. Der Durchbruch kam erst mit dem Internet, das plötzlich so viele Daten lieferte, dass Maschinen-Lernen möglich wurde. Nun mussten die Forscher ihren KIs nicht mehr jede Regel erklären, sondern sie konnten sie darauf programmieren, sich die Welt ganz alleine zu erschließen.

Zum Vergleich: "Menschen lernen ab der Geburt. Wenn sie dann später Tennisstunden nehmen, schauen sie sich den Aufschlag ein paar Mal an und verstehen aufgrund ihres Vorwissens, wie er zu machen wäre. Sie müssen üben, aber den Ablauf muss man ihnen nicht 10.000 Mal erklären", sagt Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. "Maschinen müssen von null beginnen. Um so etwas wie Erfahrung aufzubauen, benötigen sie große Datenmengen von 100.000 Bildern aufwärts", erklärt er.

Die Methode namens Deep Learning bringt selbstfahrende Autos, Sprachübersetzungsprogramme oder die immer persönlichere Internet-Suche gehörig weiter. "Viele merken es nicht, aber Künstliche Intelligenz ist im Alltag angekommen", hebt Wahlster hervor. Am Montagabend referiert der deutsche KI-Spezialist zum Thema "Künstliche Intelligenz im Alltag: Besser als der Mensch?" um 18 Uhr im großen Festsaal der Universität Wien. Er befürchtet zwar nicht, dass Maschinen je intelligenter sein werden als Menschen, "weil sie weder unsere Gefühle noch unsere soziale Intelligenz kennen und ihre Denkabläufe auch nicht von Hormonen mitgesteuert werden". Jedoch seien KIs den Menschen bei gewissen kognitiven Leistungen, die einem formalen Ablauf folgen, wie Schach oder das Spiel Go, bereits überlegen.

Digitaler Butler macht alles

Der Informatiker sieht eine "zweite Welle der Digitalisierung", in der Rechner Daten nicht mehr bloß erfassen, speichern und übertragen, sondern auch den Inhalt in Sprache und Bild verstehen. "Das schafft ganz neue Dimensionen. Etwa gibt es mittlerweile digitale Butler, die auf Zuruf Befehle erfüllen - sei es im Internet Waren bestellen, Informationen sammeln oder Flugtickets buchen", sagt Wahlster zur "Wiener Zeitung". Ein Beispiel sei der Lautsprecher Google Home, der über ein Mikrofon seinen Nutzer versteht, ihm assistiert - ihn aber auch abhören kann.

Ob Lautsprecher, Kühlschrank, Fernseher, Auto oder sogar Kinderspielzeug: Der Markt bietet immer mehr Geräte, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und mit dem Internet verbunden sind. Doch was passiert, wenn eine Maschine einen Unfall baut, der Kühlschrank oder die Barbiepuppe Daten an Unternehmen weitergeben und man über das Auto, das man bezahlt hat, gar nicht verfügen kann? "Das Internet der Dinge stellt unsere Rechtsvorstellungen auf den Kopf", warnt Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien im Universitätsmagazin "uni:view": "Bestehende Rechte müssen ganz neu gedacht werden."

Das Internet der Dinge lässt auch ganz normale Alltagsgegenstände miteinander kommunizieren und dabei eine Vielzahl von Daten sammeln, verarbeiten und weiter übertragen. "Das ist gegenüber dem Internet der Menschen, wie wir es kennen, eine andere Dimension der Vernetzung. Während ich bislang etwa beim Verschicken einer E-Mail selbst entscheide, was ich in meinen Computer eingebe und welcher Inhalt an wen gelangt, habe ich im Internet der Dinge kaum noch Kontrolle darüber, was mein Computer, mein Fernseher, mein Auto, meine Uhr, mein Kühlschrank oder meine Waschmaschine an Daten sammeln und an wen sie sie weiterleiten", warnt Wendehorst.

Mein Auto gehört mir nicht

Die Firma Samsung stand jüngst im Kreuzfeuer der Kritik, weil sich ihren Datenschutzerklärungen entnehmen ließ, dass ihre Smart-TVs Gespräche im Wohnzimmer aufzeichnen und an Dritte zur Analyse weiterleiten. Hätte man eine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen? "Wohl kaum", sagt die Juristin. Schon jetzt gibt es unzählige rechtliche Graubereiche, jedoch praktisch keinen neuen Fernseher mehr, der nicht auch internetfähig wäre.

Bald müssen auch alle neuen Autos ans Internet angeschlossen sein. "Das stellt auch klassische Vorstellungen von Besitz auf den Kopf. Ich kann das Auto nicht ohne Software nutzen, die ständig aktualisiert werden muss, ich benötige daher die Verbindung mit dem Server des Herstellers. Wenn er seine Leistungen einschränkt oder es Streit gibt wegen einer Rechnung, könnte er per Fernzugriff meinen Wagen abdrehen."

Demgegenüber steht eine Vision, in der alle ohne Barrieren kommunizieren können. Vielleicht können wir uns sogar dreidimensional beamen, um mit Freunden am anderen Ende der Welt am Kaminfeuer zu sitzen. Vorausgesetzt, wir ertragen es, dass die Welt zuschaut.