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Das digitale Geld, das vom Vertrauen lebt

Von Mathias Ziegler

Wirtschaft

Die Kryptowährung Bitcoin erreicht ungeahnte Höhen. Finanzsoziologe Paul Kellermann warnt vor dem Platzen der Blase.


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Gerade einmal 0,08 US-Cent kostete 1 Bitcoin zu Beginn. Seither hat die Kryptowährung einen spektakulären Aufstieg vollzogen. Wurden bei der allerersten Transaktion am 22. Mai 2010 noch zwei Pizzen gegen 10.000 Bitcoins getauscht, so nähert sich das Finanzprodukt, das zwar viele Menschen digital mittels Blockchain schürfen und einlösen, aber kaum jemand wirklich versteht, bei inzwischen zehn Millionen Transaktionen pro Monat bereits der 25.000-Dollar-Marke. Tesla-Chef Musk erwägt bereits, sein Firmenvermögen in Bitcoin umzuwandeln. Finanzexperten wie dem emeritierten Universitätsprofessor Paul Kellermann, Autor von Büchern wie "Soziologie des Geldes", bereitet all dies Sorgen: Denn bei Bitcoin & Co. basiere alles auf reinem Vertrauen in die Kryptowährung, und die Blase könne platzen, sollte dieses Vertrauen einmal verschwinden.

"Wiener Zeitung": Sie üben immer wieder Kritik an Kryptowährungen. Was stört Sie am meisten?Paul Kellermann: Dass ein Schelm mehr gibt, als er hat. Wenn Sie Geld haben, haben Sie damit eine Forderung gegenüber dem, der es emittiert hat. Und die kann im Fall von nicht-legalem, nicht-staatlichem Geld wie Bitcoin nicht auf ein eigenes Warenangebot bezogen werden, weil es das nicht gibt. Bitcoins und andere Kryptowährungen werden hauptsächlich auf zwei Arten genutzt: als Zahlungsmittel und als Spekulationsobjekt. Als Spekulationsobjekt werden Bitcoins selbst zur Ware, allerdings nur innerhalb des digitalen Finanzhandels, weil sie keine realen Waren schaffen. Als Zahlungsmittel wird aufs breite Warenangebot offizieller Währungssysteme zugegriffen, sobald jemand bereit ist, sie gegen Waren zu tauschen. So erweitert sich die Menge an Zahlungsmitteln ohne entsprechende Erweiterung des realen Warenangebots. Bei einem Verbot von Kryptowährungen als Zahlungsmittel für reale Waren wäre interessant zu beobachten, was mit Bitcoins als Spekulationsobjekt passieren würde.

Manche haben aber - auch wegen der Blockchain-Technologie - bereits mehr Vertrauen in Bitcoins als in etablierte Währungen.

Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto (bis heute ist unklar, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, Anm.) soll gesagt haben - und das ist das Entscheidende für die Akzeptanz -, sein System verdiene mehr Vertrauen, weil jeder es kontrollieren könne, was bei Banken nicht möglich sei. Wenn man ihm also naiv Gutwilligkeit zugesteht, wollte er nur ein überprüfbares, nicht manipulierbares System anbieten. Demgegenüber kann man einwenden, dass es genau deswegen heute zu den größten Spekulationsobjekten gehört.

Aber die Zahl der Bitcoins ist limitiert: Es ist ein geschlossenes System von Angebot und Nachfrage.

Diese Legende wird gerne geglaubt. In Wahrheit gibt es schon sehr viele Derivate von Bitcoin und den weiteren rund viertausend Kryptowährungen weltweit. Auch der gerade geplante Börsengang zeigt das. Es gibt also weder ein geschlossenes Bitcoin-System noch ein beschränktes Angebot.

Wie lukrieren viertausend verschiedene Kryptowährungen Käufer?

Die Schöpfer müssen jeweils einen speziellen Benefit bieten: etwa einen geringeren Energieverbrauch bei der Gewinnung der Coins oder mehr Transparenz.

Kryptowährungen werden mitunter als "digitales Gold" bezeichnet.

Dieser Vergleich wird gerne wegen der ebenfalls behaupteten beschränkten Goldmenge herangezogen. In Wahrheit wird nach wie vor unter unmenschlichen Bedingungen und enormen Naturschäden massig Gold geschürft. Im klaren Unterschied zu Bitcoins ist Gold aber anfassbar, hält ewig, glänzt schön, hat hohe elektrische Leitfähigkeit und ist relativ leicht verarbeitbar. Kurz: Gold hat neben seinem von alters her anerkannten Tauschwert einen hohen Gebrauchswert, Bitcoin hingegen nur einen fragilen Tauschwert. Allerdings haben mittlerweile Produktivität und Produktion sehr stark zugenommen, sodass auch die vergrößerte Goldmenge vor allem für den Handel nicht mehr ausreicht. 1944 wurde mit dem Bretton-Woods-Abkommen die Goldwährung eingeführt und versichert, jeder mit einem Dollarschein bekomme dafür bei der Bank Gold. Doch die benötigte Geldmenge wurde so groß, dass das verfügbare Gold die ausgegebenen Scheine nicht mehr decken konnte. Also wurde das Versprechen 1971 aufgehoben - und es passierte überhaupt nichts, weil der Glaube an die Dollarscheine stark genug war. Ausschlaggebend war also nicht das Gold selbst, sondern das Vertrauen in seine Funktion. Das gilt für alle Zahlungsmittel, ob Euro, Bitcoins, Gold, Muscheln oder Zigaretten.

Wenn also viele Menschen darauf vertrauen, für ihre Kryptowährung Waren und Dienstleistungen zu bekommen, dann funktioniert sie.

Richtig. Aber nur bis zu einem bestimmten Moment. Es ist wie beim analogen Falschgeld: Solange es nicht als solches erkannt wird, funktioniert es.

Aber Bitcoins tun ja nicht so, als wären sie Dollar oder Euro. Insofern ist es doch kein Falschgeld, sondern bloß eine neue Währung, abgekoppelt vom Bankensystem.

Ja, und solange Menschen daran glauben, funktioniert das System. Es ist sogar multifunktionell: Man kann Bitcoins horten und damit spekulieren. Aber wäre am Ende irgendwann nichts mehr dafür zu kaufen, würde man merken: Das ist ein Schwindel.

Ihre Sorge ist also, dass das Ganze irgendwann kollabieren könnte und die Bitcoins dann womöglich gar nichts mehr wert wären?

Vor mehr als 30 Jahren wäre das richtig gewesen. Damals gab es diese Finanzwelt, wie wir sie heute kennen, noch nicht. Fed-Präsident Alan Greenspan flutete beim großen Crash 1987 - damals völlig richtig - sofort mit Geld, um einen Kollaps zu verhindern. Heute macht man das nach, ohne zu bedenken, dass die Situation ganz anders ist. Denn der vorhandenen Geldmenge können die Sachwerte kaum entsprechen. Das ist möglich, weil damit vor allem Finanzwerte und "Betongold" gekauft werden. Deshalb steigen Börsenwerte und Immobilienpreise und damit Mieten. Ein sehr, sehr großer Anteil der verfügbaren Geldmittel hat mit dem realen Wirtschaftssystem nur noch potenziell zu tun. Würde all dieses Geld wirklich eingesetzt, um reale Waren zu kaufen, bräche eine riesige Inflation aus.

Gerade bei Währungen mit hoher Inflation werden Bitcoins attraktiv.

Natürlich. Bisher flüchtete man vor allem in US-Dollar oder Euro. Gerade der Tausch in eine Fremdwährung nimmt aber der eigenen Währung noch mehr an Wert. Dafür schießt der Bitcoin-Wert nach oben, weil so viele Leute glauben, dass er weiter steigen wird, und am Gewinn teilhaben wollen. Ich werfe das denen gar nicht vor. Die Zusammenhänge sind ja wirklich durch die Globalisierung kaum noch zu durchschauen. Und je mehr solcher Finanzprodukte geschaffen werden, desto weiter wird die Aufdeckung hinausgezögert. Aber auf Dauer wird der Wert nicht so hoch bleiben. Das ist vergleichbar mit der US-Immobilienblase 2008 oder auch mit einem Pyramidenspiel.

Was würden Sie jenen raten, die jetzt schon Bitcoins haben?

Das Gleiche wie bei Aktien. Wenn sie glauben, der Wert wird stärker fallen: Sofort verkaufen!

Sie würden Bitcoins also wie eine Aktie behandeln?

Naja, der Unterschied ist: Bei einer Aktie sind Sie Miteigentümer am realen Unternehmen. Das sind Sie bei einem digitalen Finanzwert nicht. Ich würde Bitcoin ähnlich wie ein Derivat ansehen. Aber auch das ist es nicht wirklich, da es mittels Großrechnern und aufwendigen mathematischen Manipulationen künstlich geschaffen ist. Der Kern der Bitcoins dürfte tatsächlich durch den immer höheren Produktionsaufwand in der Zahl irgendwann beschränkt sein. Hierin läge auch die behauptete Begrenzung der Menge, wenn nicht immer wieder Derivate angeboten würden.

Die Technologie Blockchain selbst bietet aber positive Anwendungen.

Ja. Aber die Frage ist immer: Wie kann das noch kontrolliert werden? Meine Befürchtung ist, dass das immer schwieriger wird. Es wird alles viel komplexer und entwickelt eine gewisse Eigendynamik. In der EZB etwa versucht man, legales Geld mittels Blockchain zu verwalten. Ich fürchte jedoch, dass selbst die Leute in der EZB nicht wirklich wissen, was Geld ist, sondern nur das Vertrauen in Geld als besonderes Organisationsmittel kennen. Denn der Euro ist ja nicht wirklich an die Wirtschaftsentwicklung gebunden. Da wurden nur Hilfskonstruktionen geschaffen. Geld hat freilich den großen Vorteil, die Komplexität der Zusammenhänge stark zu reduzieren. Und solange man dafür etwas kaufen kann, funktioniert das auch. Das Vertrauen hält so lange an, wie tatsächlich am Ende der Kette für das Symbol "Geld" das Gewünschte zu erreichen ist.