Schon 18 Monate alte Kinder schauen Filme auf Youtube. Das könnte noch weitreichende Folgen haben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Mit Kindern etwas zu erleben, war gestern. Heute steht der Fokus eher auf Ruhigstellen, um die eigenen Bedürfnisse als Erwachsene in aller Ruhe befriedigen beziehungsweise Termine unbeschwert wahrnehmen zu können. So sieht es zumindest aus, wenn man einen Blick zum Beispiel in Arztpraxen, Gastwirtschaften oder Shoppingcenter wirft.
Nicht selten trifft man Kleinkinder an, die mit dem Tablet oder Smartphone vor Augen im Buggy durch Warenhäuser geschoben werden. Ihnen entgehen die dreidimensionale, glitzernde und lebhafte Welt und das bunte Treiben von Geschäft zu Geschäft. Beim Arzt zu warten, ist langweilig. Eine Spiele-App kann Abhilfe schaffen, um die gefühlte Wartezeit zu verkürzen. Es mag auch praktisch sein, im Restaurant in Ruhe speisen zu können, während der Nachwuchs mit der interaktiven Spielewelt beschäftigt ist.
Nutzung wird extremer
Die Nutzung digitaler Medien ist bereits seit einigen Jahren bis ins Kleinkindalter vorgedrungen. "Schon 18 Monate alte Kinder schauen Filme auf YouTube an, Zweijährige spielen mit den Smartphones der Eltern", weiß auch Catherine Walter-Laager, Professorin für Elementarpädagogik an der Universität Graz. Wie sich das auf deren Entwicklung und Gesundheit auswirkt, ist noch nicht klar. Um das herauszufinden, sollen nun die Konsequenzen des Medienkonsums bei Kleinkindern im Detail erforscht werden. Bisherige Arbeiten zeigen zumindest eines ganz deutlich: Die Nutzung wird von Jahr zu Jahr "ein bisschen extremer", schildert Walter-Laager im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Immer mehr Eltern wollen ihre Sprösslinge aber auch bewusst früh an die Medien heranführen, damit sie nicht den Anschluss in die digitale Welt verpassen. Doch erst mit dem achten Lebensjahr sind Kinder in der Lage, zwischen Virtualität und Realität, zwischen Fantasie und Fiktion zu unterscheiden, erklärt der deutsche Psychotherapeut und Autor Bert te Wildt in seinem Buch "Digital Junkies". Das Problem eines zu frühen und langen Konsums von Bildschirmmedien sei in der Regel gar nicht so sehr, was Kinder dabei erleben, sondern vielmehr, was sie in dieser Zeit alles nicht erleben.
Dieses Nichterleben könnte Konsequenzen mit sich bringen. Welche, versucht das Team um Walter-Laager nun herauszufinden. In Tests sollen bei den Probanden etwa die motorischen Fähigkeiten überprüft werden. In Fragebögen werden die Mediennutzung der Eltern als Vorbilder und die Nutzung mit ihren Kindern ermittelt. Das dritte Element der Studie ist eine physiologische Gehirnmessung.
"Wir vermuten, dass es sich zeigen wird, wenn Kinder viel Medien konsumieren. Dass sie vielleicht weniger fit sind, vielleicht unruhiger sind und wir das mitunter auch im Schlaf feststellen können", erklärt die Expertin. Eltern spüren das am eigenen Leib: Verbringen die Kinder vermehrt Zeit im zweidimensionalen Raum, präsentieren sie sich danach unruhiger und auch grantiger. So nach dem Motto: "Mein Kind braucht jetzt ein bisschen frische Luft, damit es wieder normal wird", formuliert die Expertin. Dieses Gefühl, das Eltern vielfach im Alltag beschreiben, "versuchen wir mit unserer Studie zu objektivieren".
Der Einfluss digitaler Medien könnte noch weitreichendere Folgen haben. Auf den Punkt bringt es regelmäßig auch der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer in provokanten Beiträgen. "Die Möglichkeiten zur Entwicklung der Feinmotorik sind sehr eingeschränkt, von der Entwicklung des Verständnisses von Gegenständen und deren Handhabung, des räumlichen Denkens und auch der Kreativität gar nicht zu reden", beschreibt er etwa in seinem Buch "Cyberkrank". Nur durch das Zusammenspiel von Auge (und allen anderen Sinnen) und Hand (als Tastsinn und als Organ des Manipulierens von Objekten) wird vernetzt gelernt und die Welt buchstäblich be-griffen. Ein Tablet liefert all dies jedoch genau nicht. "Es vermittelt keine ganzheitlichen Erkenntnisse, es fordert und fördert nicht - weder sinnlich noch motorisch."
Im Extremfall verbringt so mancher Sprössling bis zu drei Stunden vor dem Bildschirm. Führt man sich die übliche Schlafenszeit in der Nacht, aber auch tagsüber vor Augen, nimmt das schon einen beachtlichen Teil der wachen Zeit eines Kleinkindes ein. In Graz wird allerdings abgewogen, denn wichtig sei letzten Endes auch, was Eltern ihren Kindern als Alternative beziehungsweise andere Aktivitäten bieten: Spielen sie mit Bausteinen, gehen sie in den Garten, besuchen sie einen Tiergarten oder toben sich auf dem Spielplatz aus.
Wichtig ist eine Balance
"Wir gehen davon aus, dass, wenn eine Balance herrscht, das Kind in der Entwicklung nicht wesentlich beeinträchtigt ist", so Walter-Laager. "Aber wir wissen es nicht." Erforscht ist an der Uni Graz jedoch mittlerweile der Umgang mit Lern-Apps. Dabei hat sich gezeigt, dass eine begleitete Mediennutzung - egal ob Bilderbuch oder App - immer die unbegleitete Mediennutzung schlägt, so die Forscherin. Das sind Ergebnisse, die sich mit jenen aus der Bildschirmforschung früherer Generationen durchaus decken. "Sobald jemand gemeinsam mit den Kindern ein Medium nutzt, ist es eigentlich etwas Gutes. Dann kann man es für eine pädagogische Interaktion nutzen." Jedoch: "Was mich stört, ist, wenn es eindimensional wird und die Kinder die richtige Welt nicht mehr erleben und kennenlernen." Aber es ist halt mitunter schon praktisch mit diesem kleinen Kästchen, das wir Erwachsenen mittlerweile konstant mit uns herumführen, die eigenen Kinder im Bedarfsfall hin und wieder "ruhigzustellen". Solange es hin und wieder bleibt, sollte man wohl auch vor einem übertriebenem Abstinenzgebot Abstand halten können.
Mehr zum Thema "Das digitale Ich": www.wienerzeitung.at/das_digitale_ich/