Die EU will Afrika unterstützen. Aber nur, solange es sie nicht selbst schmerzt. Eine Analyse vor dem EU-Afrika-Forum in Wien.
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Wien. Die Geschichte handelt von Blumen und einem ungleichen Kampf. Und sie ist ein Klassiker unter NGOs und Aktivisten, die sich dem Wohl Afrikas verbunden fühlen und dabei Europas Rolle kritisch sehen.
Die EU hatte mit den Ländern der Ostafrikanischen Staatengemeinschaft (EAC) über das Freihandelsabkommen Economic Partnership Agreement (EPA) verhandelt. Doch die EAC-Staaten - Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda, Burundi und der Südsudan - hatten große Vorbehalte, fürchteten, dass durch dieses Abkommen die örtlichen Firmen gegen die europäische Konkurrenz noch weniger Chance haben.
Doch ein Staat bekam während der Verhandlungen ordentlich Stress: Kenia. Denn der 44-Millionen-Einwohner-Staat exportiert jede Menge Blumen und ist dabei stark vom europäischen Markt abhängig. Und die EU hatte die Blumen mit Einfuhrzöllen belegt, wodurch Kenia Einnahmen verlor und in dem Land Arbeitsplätze wegbrachen. Der einzige Ausweg für Kenia war, das EPA zu unterschreiben. Was die Regierung in Nairobi in diesem ungleichen Duell mit der mächtigen EU auch tat.
Sind Europas Versprechen nur eine Maske für den Eigennutz?
"Dieses Beispiel zeigt, dass die EU sehr aggressiv ihre Interessen verteidigt", sagt die Direktorin der Denkfabrik Southern and Eastern Africa Trade Information, Jane Nalunga, die die Regierung Ugandas in wirtschaftspolitischen Fragen berät und selbst an den EPA-Verhandlungen teilgenommen hat.
Beispiele wie dieses führen zu heiß debattierten Fragen, die immer wieder im Zusammenhang mit Afrika gestellt werden. Wie fair ist Europas Umgang mit dem Nachbarkontinent? Ist es ein Partner für die Entwicklung Afrikas, wie europäische Politiker betonen? Oder ist das Entwicklungsversprechen nur eine Maske, die sich europäische Politiker aufsetzen, um zu verbergen, dass es der EU vor allem um Eigennutz geht?
Niemand verfolge eine großzügigere Handelspolitik als Europa, sagte Antonio Texeira, ein für die EU-Kommission tätiger Ökonom, kürzlich bei einer Diskussion im Europa-Haus in Wien. "Europa schaut vor allem auf sich selbst", entgegnet Jane Nalunga. "Es will Zugang zum afrikanischen Markt, Investitionsmöglichkeiten für seine Konzerne und Zugang zu den Rohstoffen."
Für beide Sichtweisen lassen sich Argumente finden. Tatsächlich gilt für die Länder, die die UNO als am wenigsten entwickelt ansieht und das sind in Afrika 34, eine großzügige Regelung: Sie können bis auf Waffen alle Waren zollfrei in die EU exportieren - müssen dabei aber EU-Standards einhalten, was für viele afrikanische Firmen eine hohe Hürde darstellt. Gleichzeitig drängt die EU afrikanische Staaten im Rahmen von Freihandelsabkommen wie den EPAs dazu, ihre Märkte ebenfalls stärker zu öffnen und Zölle aufzuheben.
Die europäische Seite argumentiert hier oft, dass der Freihandel auch dem Westen Wohlstand gebracht habe. Doch in der Realität sieht es oft so aus, dass afrikanische Produkte keine Chance haben, wenn einmal die internationale Konkurrenz auf dem Markt ist.
Beispiel Landwirtschaft: Nicht einmal einen Euro würde ein Huhn aus Europa im Togo kosten, berichtet Angela Dziedzom Akorsu, eine Forschungsdozentin an der Universität von Cape Coast in Ghana, während eines Gesprächs im Wiener Institut für internationalen Dialog (VIDC). Ein Bauer aus Togo hingegen müsse sein Huhn um umgerechnet 15 Euro verkaufen, damit er einen Gewinn macht.
Denn auf der einen Seite steht der afrikanische Kleinbauer, der selbst für Stall, Futter und sonstige Aufzucht des Huhns sorgen muss. Auf der anderen Seite steht der europäische Großbetrieb, der massiv subventioniert wird und so in den afrikanischen Markt einbricht. "Afrikanische Bauern können so nicht konkurrieren", sagt Akorsu. Die afrikanische Landwirtschaft wird somit erdrückt, bevor sie sich überhaupt entwickeln kann.
Zwischen Europa und Afrika könne es keine Partnerschaft, keine Verhandlungen auf Augenhöhe geben, sagt der deutsche Ökonom und Buchautor Robert Kappel, der seit Jahrzehnten zu Afrika forscht. Dafür seien die wirtschaftlichen und damit auch machtpolitischen Unterschiede zu groß.
Es geht einmal um etwas anderes als Migration
Und klar sei laut dem früheren Leiter des Giga-Instituts, eine der renommiertesten deutschen Denkfabriken, auch: "Die EU macht in erster Linie immer Politik für sich und ihre Mitgliedstaaten." Doch es sei möglich, "Kooperationen zu finden, von denen beide Seiten profitieren."
Wenn etwa europäische Investoren in Afrika Fabriken aufbauen, wie es gerade H&M in Äthiopien oder Volkswagen in Ruanda machen, dann sind für sie die niedrigen Lohnnebenkosten ein Anziehungsfaktor. Gleichzeitig treiben sie die Industrialisierung Afrikas voran, die dann wiederum auch kleineren lokalen Unternehmen einen Schub gibt. Wenn Europa mehr afrikanische Studenten bei sich studieren lässt, fördert es den Wissensaustausch und baut sich gleichzeitig Netzwerke mit Afrika für die Zukunft auf.
In Wien findet nun kommende Woche am Montag und Dienstag ein hochrangiges EU-Afrika-Forum statt. Unter der österreichischen Ratspräsidentschaft treffen Staats- und Regierungschefs, Minister und Geschäftsleute zusammen. Bei dem Forum soll es um Innovation und technologische Kooperationen gehen, er soll laut Aussendung "die Möglichkeit bieten, darüber nachzudenken, wie die Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa im digitalen Zeitalter vertieft werden kann".
Robert Kappel ist froh "dass es einmal um etwas anderes als Migration geht, auch wenn diese sicher Thema sein wird". Und er findet das Gipfelthema durchaus sinnvoll, ginge es doch um eine der entscheidenden Zukunftsfragen. "Die Entwicklung muss freilich immer von innen kommen, das gilt auch für Afrika", sagt er. "Aber ausländische Investitionen können dort einen Beitrag zur Digitalisierung und zum technologischen Fortschritt leisten."
Anders sieht das Akorsu. Die Forscherin aus Ghana beschäftigt sich in ihren Arbeiten immer wieder mit den Lebensbedingungen der Ärmsten, also der Subsistenzbauern oder Straßenverkäufer. Und sie meint, es gebe Dringlicheres zu besprechen als Digitalisierung. "Für die meisten Menschen in Afrika geht es um das Überleben", sagt sie.
Verschieden Bildereines Kontinents
Dabei hat Afrika auch schon jede Menge Innovationen im Technologiebereich vorzuweisen. So sind rund eine Milliarde Mobiltelefone im Umlauf, über die Millionen Afrikaner auch ihre Finanzgeschäfte tätigen. Oder, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, die kenianische App iCow vernetzt und informiert Viehzüchter, die somit wertvolle Tipps erhalten und sich untereinander austauschen.
Es sind ganz unterschiedliche Bilder, die derzeit von Afrika gezeichnet werden: Das des Armutskontinents, der Hilfe braucht - ein Bild, das gerne NGOs bemühen. Unternehmensberater wiederum sprechen gerne vom künftigen Boom-Kontinent, der jetzt schon hohe Wachstumsraten aufweist. An beiden Bildern ist etwas dran. Afrika ist so divers wie die 54 Länder des Kontinents, der App-Entwickler aus Kenia ist genauso Realität wie das unterernährte südsudanesische Kind.
Europa scheint sich oft nicht klar zu sein, mit welchem Afrika es wie kommunizieren will. Es betreibt dadurch eine sehr widersprüchliche Politik. Die EU gibt dem armen Afrika Entwicklungsversprechen, ist hier aber offenbar nur bereit, so weit zu gehen, wie es ihr selbst nicht wehtut. Der Export subventionierter Nahrungsmittel ist dafür ein Beispiel, ein anderes ist, dass Europa seit Jahr und Tag Druck macht, dass afrikanische Länder keine Exportzolle auf Rohstoffe erheben - was mit dafür sorgt, dass in Afrika Rohstoffe meist nur exportiert und nicht verarbeitet werden.
Europa will auf den afrikanischen Zukunftsmärkten Fuß fassen, wozu der Gipfel in Wien nun auch dienen soll. Gleichzeitig macht es die EU aber afrikanischen Geschäftsleuten enorm schwer einzureisen, weil sie hinter jedem Afrikaner einen potenziellen Migranten sieht.
Hinzu kommt: Eine "Kakophonie von Plänen" verhindert laut Kappel ein einheitliches Vorgehen der EU. Man muss tatsächlich fast schon ein Beamter der EU-Kommission sein, um den Überblick bei all den Initiativen zu bewahren. Es gibt die EPAs, es gibt den Juncker-Plan, der den technologischen Fortschritt fördern soll, es gibt den Marshallplan für Afrika, der in bestimmten Ländern für Infrastruktur und Industrie sorgen soll, es gibt Vereinbarungen zur Entwicklungszusammenarbeit, es gibt bilaterale Abkommen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten.
Ob all diese Pläne umgesetzt werden, ist fraglich. Einige Beobachter, und Kappel ist einer davon, würden sich nicht wundern, wenn die EPAs nicht überleben würden. Denn obwohl schon viele Länder diese unterschrieben haben - in Westafrika ist etwa Nigeria der einzige Staat, der noch nicht unterzeichnet hat -, ist der Widerstand gegen die Abkommen in Afrika enorm.
Dass die europäische Handelspolitik mit Afrika keinen einheitlichen Rahmen besitzt, muss Europa vielleicht teuer bezahlen. Schließlich spielt sie sich vor dem Hintergrund großer Herausforderungen ab. Die erste ist die Migrationsfrage. "Wenn Europa keine Idee hat, wie es mit Afrika strategisch kooperieren will, werden Europa die Probleme dieses Kontinents mit seinem Bevölkerungswachstum und seiner Arbeitslosigkeit einholen", sagt Kappel.
Eine weitere Herausforderung für die EU ist, dass auch andere große Spieler am Kontinent unterwegs sind. Vor allem China gewinnt immer mehr an Einfluss und hat zudem auch eine klare Strategie. Die Volksrepublik schließt mit den einzelnen afrikanischen Staaten bilaterale Abkommen ab, investiert vor allem in die Infrastruktur und vergibt Kredite. Peking verspricht auf diese Weise den Afrikanern Armutsreduzierung und verschafft sich so Aufträge für seine Firmen und so Zugang zu Rohstoffen.
Rücksicht auf Afrika nimmt dabei auch China wenig - es überschwemmt den Kontinent mit seinen Billigwaren, was afrikanischen Kleinunternehmern enorm schadet. Auch die USA, ein anderer großer Spieler, packen, wenn es sein muss, die Keule aus. Sie haben den ostafrikanischen Staaten sofort Zölle angedroht, als diese den Import von Secondhandkleidung einschränkten. Die Afrikaner wollten so eine eigene Textiliindustrie aufbauen, was US-Händlern, die gebrauchte Kleidung nach Afrika verschiffen, ein Millionengeschäft zerstört hätte.
Afrika hat nur eine Chance, wenn es gemeinsam handelt
"Das Problem sind aber nicht die USA, China oder Europa", sagt die ugandische Ökonomin Jane Nalunga. "Das Problem ist Afrika." Bei allen unterschiedlichen Interessen müsse es der Afrikanischen Union gelingen, eine Einheit zu werden, die zumindest gewisse Spielregeln festsetzt, was auf dem Kontinent geht und was nicht.
Ähnlich sieht das auch Kappel. "Afrika war immer ein Spielball von Großmächten", sagt er. Es könne dieser Dominanz von außen nur etwas entgegenhalten, "wenn es mit einer Stimme spricht".
Unter diesem Aspekt betrachtet Nalunga auch hochrangige Treffen zwischen Europäern und Afrikanern wie das Forum in Wien. Für Afrika werde dabei nicht viel herauskommen, "solange es nicht gewisse Forderungen auf den Tisch legt".
Das EU-Afrika-Forum am kommenden Montag und Dienstag in Wien gilt als der letzte Höhepunkt der österreichischen EU-Präsidentschaft. Ausgerichtet wird das Forum von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und dem derzeitigen Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU), dem Präsidenten Ruandas Paul Kagame. Sie werden gemeinsam mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Moussa Faki Mahamat, dem Kommissionsvorsitzenden der AU, das Forum eröffnen. Über 20 afrikanische Staaten werden an dem Forum teilnehmen, 12 davon auf der Ebene von Staats- und Regierungschefs oder Vizeregierungschefs. Angesagt haben sich unter anderem Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der Präsident von Ghana, Nana Akufo-Addo, Äthiopiens Premier Abiy Ahmed Aliy sowie die Spitzen von Äthiopien, Namibia, Togo und Nigeria. Auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi hat sein Kommen zugesichert. Aus der EU werden unter anderem 14 Regierungschefs, fünf EU-Kommissare und EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani erwartet. Auf Unternehmerseite haben sich die CEOs von Siemens, Vodafone, BMW und Nokia angekündigt.