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Das Dilemma der Kirche in der NS-Diktatur

Von Franz Graf-Stuhlhofer

Gastkommentare
Franz Graf-Stuhlhofer ist Lehrbeauftragter an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (www.graf-stuhlhofer.at).
© privat

Papst Pius XI. suchte einen "modus vivendi" mit Hitler und Mussolini.


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Pius der XI. und der XII. waren jene beiden Päpste, die während der zwölf Jahre von Adolf Hitlers Herrschaft amtierten. In ihrem Wirken lässt sich das Dilemma erkennen, in dem kirchliche Verantwortliche standen: Welche Aktionen hatten für bedrohte Menschen eher Nutzen als Schaden zur Folge? Jedenfalls kurzfristig waren die nationalsozialistischen Machthaber stärker und konnten auf jede kirchliche Äußerung im Deutschen Reich mit Gewalt reagieren. Eingeschränkt waren sie nur durch ihre Taktik, einen offenen Konflikt mit der in der Bevölkerung geachteten Katholischen Kirche zu vermeiden. Dies zeigte sich etwa darin, dass in Deutschland zwar viele Priester verhaftet wurden, aber kein einziger Bischof. Die "Endabrechnung" mit der Kirche wurde aufgeschoben für die Zeit nach dem Krieg. Aber dazu kam es nicht mehr, denn der Krieg ging anders aus als erhofft.

Pius XI. starb im Februar 1939, also noch vor dem deutschen Überfall auf Polen, der schließlich zum Zweiten Weltkrieg führte. Seine Amtszeit als Papst begann am 12. Februar 1922. Kurz davor, im Jänner 1922, ließ sich die jüdische Philosophin Edith Stein katholisch taufen. Sie hatte die Autobiografie der Teresa von Ávila gelesen - auch diese spanische Nonne des 16. Jahrhunderts war jüdischer Abstammung. Im April 1933 schrieb Edith Stein an Papst Pius XI. und drängte ihn, die Entrechtung von Juden im Deutschen Reich öffentlich zu kritisieren, was dieser aber nie tat. Vorerst war dem Papst wichtig, als Kirche einen Vertrag (Konkordat) mit dem Deutschen Reich abzuschließen, was im September 1933 auch gelang. Davon profitierten vorerst beide Seiten: Das international beargwöhnte NS-Regime konnte die diplomatische Anerkennung gut gebrauchen, und die Kirche genoss Schutz - aber nur vorläufig.

Auf die häufige Nichteinhaltung des Konkordats wies Pius XI. in einem Rundschreiben (Enzyklika) hin, das nach seinen Anfangsworten "Mit brennender Sorge" benannt wurde. Darin beschrieb er die bedrohte Lage der Kirche im Deutschen Reich. Das umfangreiche, etwa 20 Seiten umfassende Schreiben sollte in allen katholischen Kirchen im Deutschen Reich am Palmsonntag verlesen werden (allerdings benötigt ein vollständiges Vorlesen mehr als eine Stunde). Hierin fand sich Kritik des Papstes an nationalsozialistischen Tendenzen: "Wer die Rasse oder das Volk, oder den Staat oder die Staatsform, [...] die innerhalb der irdischen Ordnung einen wesentlichen und ehrengebietenden Platz behaupten [...], zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge."

Dieses in anspruchsvoller Sprache (viele Schachtelsätze) abgefasste Rundschreiben führte zu scharfen Gegenaktionen der Nazis, unter anderem wurden am Druck der Enzyklika beteiligte Druckereien enteignet. Ein anderes Beispiel war der öffentliche Protest der katholischen Bischöfe der Niederlande gegen die Behandlung von Juden. Als Reaktion wurden dort Katholiken jüdischer Herkunft verhaftet und ermordet, darunter auch Edith Stein (1942). Pius XI. versuchte, mit den jeweiligen Machthabern einen "modus vivendi" zu finden. Mit Benito Mussolini schloss er im Jahr 1929 die Lateran-Verträge ab. Diese sicherten die Vorzugsstellung der Katholischen Kirche in Italien; sie blieb bis 1984 (!) Staatsreligion.

Verhandeln mit Mussolini und Hitler - das gehörte zum Wirken von Pius XI., wobei ihm Stellung und Besitz seiner Kirche ein besonderes Anliegen waren. Was den Einsatz für Menschenrechte betraf, steckte er oft in einem Dilemma gegenüber den irdischen Machthabern: Es war ein Abwägen von voraussichtlichem Nutzen und Schaden; eine ideale Lösung gab es nicht, es ging eher um die Wahl des kleineren Übels.