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Das Dilemma des Energie-Reichtums

Von Georg Friesenbichler und Franz Steinbauer

Politik

Ölpreis für weitere Entwicklung von enormer Bedeutung. | Enge Verbindung von Wirtschaft und staatlichen Stellen. | Wien/Moskau. Auf den ersten Blick ist die wirtschaftliche Bilanz der Amtszeit von Wladimir Putin beeindruckend: Seit er im Jahr 2000 die Präsidentschaft von Boris Jelzin übernahm, ist die Wirtschaftsleistung um 40 Prozent gestiegen. Gab es unter Jelzin Proteste wegen monatelang ausgebliebener Lohnzahlungen, sind vergangenes Jahr die Reallöhne um neun Prozent gestiegen - auch wenn der monatliche Durchschnittslohn mit umgerechnet rund 300 Dollar pro Monat noch immer niedrig ist.


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Das, was diesen Boom ermöglicht, ist allerdings gleichzeitig der Pferdefuß der russischen Wirtschaft: Zwei Drittel der Exporterlöse kommen aus dem Energiesektor. Und der Preis für die begehrten Rohstoffe ist in Putins Amtszeit steil nach oben geschossen. Dies birgt nicht nur das Risiko schwankender Preise für Öl und Gas. Die sprudelnden Petro-Dollar überdecken strukturelle Schwächen, sagen Wirtschaftsexperten.

Großunternehmen

bestimmen das Bild

Die ökonomische Struktur Russlands ist nach wie vor von Großbetrieben bestimmt, Klein- und Mittelbetriebe gibt es dafür umso weniger. Die ehemaligen Monopolunternehmen aus der Sowjetzeit sind zwar mittlerweile zumindest teilprivatisiert, allerdings ist die Nähe zum russischen Staat kaum zu übersehen. Nicht von ungefähr gibt es Gerüchte, Präsident Wladimir Putin könnte nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit Chef des Öl- und Gasgiganten Gazprom werden. Gazprom steht für rund acht Prozent der russischen Wirtschaftsleistung und für ein Fünftel des Steueraufkommens Russlands.

Vor allem im Energie- und Verkehrssektor gibt es zahlreiche personelle Querverbindungen zwischen der Regierung und großen Unternehmen. Der russische Markt wird von mehreren großen Öl-Konzernen beherrscht: Lukoil, TNK-BP, Rosneft, Surgutneftegas, Sibneft, Tatneft und Slavneft. Rosneft hat Ende 2004 die Fördertochter Yugansk-Nefte-Gaz des inzwischen zerschlagenen Yukos-Konzerns übernommen. Sibneft gehört seit Ende 2005 Gazprom. Daneben gibt es noch etwa zwei Dutzend unabhängiger Produzenten, die sich im Verband Asso-Neft zusammengeschlossen haben. Russland ist nach Saudi-Arabien das wichtigste Öl-Förderland der Welt und der zweitgrößte Erdöl-Exporteur. Laut der "Statistical Review of World Energy" des Energiemultis BP hätte Russland demnach einen Anteil von gut 6 Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölreserven. Weil aber bisher in die Infrastruktur der Energiefirmen zu wenig investiert wurde, besteht hier enormer Nachholbedarf.

Wirtschaftswachstum schwächt sich kaum ab

Prognosen über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung des Landes hängen stark mit dem Ölpreis zusammen. Laut der Österreichischen Nationalbank wirkt sich ein um 10 Prozent höherer Ölpreis für Russland mit einem Plus von zwei bis drei Prozent beim BIP (Bruttoinlandsprodukt) aus. 2007 dürfte sich das Wachstum von 6,7 Prozent im Vorjahr auf rund 6 Prozent in diesem Jahr verlangsamen. Seit 2000 weist das russische Budget Jahr für Jahr einen Überschuss auf. Die Währungsreserven sind 2006 um zwei Drittel auf rund 304 Milliarden Dollar gestiegen. Über höhere Reserven verfügen nur Japan und China. Da die russischen Währungsreserven inzwischen höher sind als die staatliche Auslandsverschuldung, ist Russland in einer Gesamtbetrachtung mittlerweile Netto-Gläubiger gegenüber dem Ausland.

Die ausländischen Direktinvestitionen in Russland betrugen 2006 nach Schätzungen von Experten der UniCredit-Bank 2,2 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukts). Bei einem geschätzten BIP von umgerechnet 742 Milliarden Euro waren das mehr als 16 Milliarden Euro.

Die Wirtschaftslage wirkt sich in gestiegenem privaten Konsum aus - zum einen, weil Sparen eher unüblich ist, zum anderen, weil großer Nachholbedarf besteht. Aber es profitieren bei weitem nicht alle: 16 Prozent der Bevölkerung leben noch immer unter dem Existenzminimum, und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf.